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Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein:
Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt

ISBN: 3430200814
Erscheinungsjahr: 2009
Econ

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ann immer Menschen vor Auswahlentscheidungen stehen, werden sie dazu tendieren, den Status Quo zu präferieren und nur dann zu einer anderen Alternative wechseln, wenn diese signifikant besser ist als der gegenwärtige Zustand. Dieses Phänomen kann bedeutende Konsequenzen haben, was sich beispielsweise bei der unterschiedlichen Handhabung von Organspenden in verschiedenen Ländern zeigt: In den USA wie auch in Deutschland werden Menschen im Todesfall nur dann als Organspender in Betracht gezogen, wenn sie sich zu Lebzeiten ausdrücklich zur Organspende bereit erklärt haben. In Frankreich hingegen müssen Menschen ausdrücklich widersprechen, wollen sie nicht zum Organspender werden. Es überrascht nicht, dass in Frankreich die Zahl der Organspender viel höher ist.

Darüber, wie Trägheit unsere Entscheidungen – oder eigentlich Nicht-Entscheidungen – beeinflusst, haben der Ökonom Richard H. Thaler und der Jurist Cass R. Sunstein ein Buch geschrieben: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. »Nudge« ist ein Schubs, ein kleiner Anstoß, ein zurückhaltender Hinweis, der das Verhalten von Menschen zu beeinflussen vermag.

Die Eigenart von Menschen, am Status Quo festzuhalten, könne nun von der Politik nutzbar gemacht werden, so Thaler und Sunstein. Die Idee hinter »Nudge« löse das Dilemma, wie in Demokratien Menschen ihre Entscheidungsfreiheit belassen werden kann, gleichzeitig aber gesellschaftlich wünschenswerte Entscheidungen herbeigeführt werden können. Mit der Wahl eines entsprechenden Grundzustandes gebe man den Menschen einen kleinen Schubs, ohne sie zu bevormunden. Der Gegensatz von eigenem Wollen und Bevormundung soll ausgeschaltet werden. Und welch großen Effekt solcherart kleine Eingriffe haben können, zeigt das Beispiel der Organspenden. Für die Politik könnte das Konzept der Nudges große Bedeutung haben: nicht nur lässt sich die Bereitschaft zur Organspende beeinflussen, sondern Menschen lassen sich durch Nudges etwa auch dazu bringen, Energie zu sparen, das Rauchen aufzugeben oder für das Alter vorzusorgen.

Thaler und Sunstein bezeichnen dieses Vorgehen als »libertären Paternalismus« und schlagen damit einen Mittelweg zwischen zwei älteren, gescheiterten Modellen ein: Auf der einen Seite der auf den Ideen von John Maynard Keynes beruhende bürokratische Paternalismus, welcher davon ausgeht, dass intelligente Menschen in der Regierung alles am besten wissen; und auf der anderen Seite ein ungezügelter Liberalismus, der darauf baut, dass die Menschen über den Marktmechanismus alles selbst regeln. Zweifellos hatten beide Systeme ihre Erfolge gefeiert, doch in Reinform waren sie letztendlich zum Scheitern verurteilt. In Nudge beschreiben Thaler und Sunstein einen dritten Weg und plädieren dafür, immer freie Entscheidungen zuzulassen, aber dennoch kleine Nudges zu erlauben, die das Verhalten der Menschen in die richtige Richtung drängen. So hindert etwa das Wissen darüber, wie viel Energie man im Haushalt verbraucht, niemanden daran, so viel Energie zu verwenden wie man möchte, dennoch bewirkt dies genau das Gegenteil. So geschehen in einer kalifornischen Stadt, in der den Bewohnern mitgeteilt wurde, wie viel Energie sie im Vergleich zu ihren Nachbarn verbrauchen und prompt senkte sich deren Energieverbrauch. Rational ist das nicht – aber effektiv.

Nudge basiert auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie, die im Gegensatz zur klassischen Ökonomie die Irrationalität von Menschen als gegeben annimmt und sich gar nicht erst eines stets rational agierenden Homo Oeconomicus zu Modellzwecken bedient. Menschen sind vom Kontext beeinflusst und verhalten sich in vielen Situationen auf eine Art und Weise, wie es keine rationale Analyse jemals vorausgesagt hätte. Will man das Handeln der Menschen in eine bestimmte Richtung lenken, so muss man den Handlungskontext entsprechend gestalten: als Entscheidungsarchitektur bezeichnen Thaler und Sunstein das Arrangieren der Entscheidungslage, sodass ein Ergebnis wahrscheinlicher wird als andere Ergebnisse. Eine kontextfreie Wahl gibt es nicht, meinen die Autoren. Die Umstände einer Entscheidung kann man daher entweder dem Zufall überlassen – oder aber man gestaltet sie ganz bewusst und führt gewünschte Verhaltensweisen herbei.

In unserer Welt der überwältigenden Informationsmassen, die uns jeden Tag aufs Neue eine Vielzahl von Entscheidungen abverlangt, dabei aber viel zu wenig Zeit lässt, die Alternativen abzuwägen, kann man den kleinen »Nudges«, die uns in Richtung von klugen Entscheidungen schubsen, ja sogar einen gewissen Charme abgewinnen. Umso mehr als Entscheidungen durch eine weitere menschliche Eigenheit oft falsch getroffen werden: Menschen neigen nämlich dazu, zu optimistisch und selbstsicher in die Zukunft zu blicken. Diese Verzerrung führt dazu, dass sich 94 Prozent der Professoren an großen amerikanischen Universitäten besser einschätzen als der »durchschnittliche Professor«. Auch aus diesem Grund könnte man »Nudges« für hilfreich halten: Wir schätzen uns klüger ein als wir sind, wenn es um schwierige Entscheidungen geht. Zwangsläufig treffen wir also nicht nur kluge Entscheidungen.

Rechtfertigt dies also den kleinen Schubs? Die wesentliche Frage ist ja gar nicht, ob solche »Nudges« berechtigt sind oder nicht, vielmehr muss man sich fragen, wer bestimmt denn, welche Entscheidungen in aller Interesse sind, wohin geschubst werden soll? Haben die Entscheidungsarchitekten denn tatsächlich mehr Ahnung davon, was gesellschaftlich sinnvoll und notwendig ist? Und handeln sie dabei auch noch uneigennützig?

Dies sind schwer wiegende Fragen und ausführliche Antworten bleiben die Autoren leider schuldig. Zwar ist das Buch eine Ansammlung einer Vielzahl von Beispielen, in welchen Situationen »Nudges« eingesetzt werden können und wie dabei vorzugehen ist, um bestimmte Verhaltensweisen herbeizuführen. Aber stattdessen wünscht man sich eine tiefer gehende Darstellung der zentralen Idee und vor allem auch ein Wort über die damit verbundenen Implikationen. Alles in allem aber ist das Buch sehr lesenswert, da es unsere Aufmerksamkeit auf ein Thema lenkt, das kaum beachtet wird, aber immer wieder weit reichende Folgen hat.