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Holm Friebe, Sascha Lobo:
Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohéme oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung

ISBN: 3453120922
Erscheinungsjahr: 2006
Heyne

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achdem die heiße Luft aus der New Economy draußen war, wurde es unbequem für jene, die scheinbar gar nicht anders konnten als immer auf die Butterseite des Lebens zu fallen. Gutbezahlte Jobs, durchdesignte Büros und der Latte Macchiato in der Mittagspause gehörten zum Standardrepertoire nach dem BWL-Studium – bis die New-Economy-Blase platzte. Weil man den Traum aber so schnell nicht aufgeben mochte, war Vogel-Strauß-Politik angesagt: Es wird schon wieder werden, erst mal überbrücken wir die Zeit eben mit Praktika – und wenn sie unbezahlt sind. Merkwürdig jedoch, dass sich nach dem x-ten unbezahlten Praktikum immer noch keine Alternativrezepte gegen die Krise einstellten.

Warum glauben so viele junge Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung, dass Bewerbungen und Praktika die einzigen Mittel seien, um eine (bezahlte) Beschäftigung zu finden? Um eben diese Frage kreist das Buch Wir nennen es Arbeit von Holm Friebe und Sascha Lobo, in dem sie Alternativen zum Angestelltendasein beleuchten. Und ihrer Meinung nach gibt es bereits mehr Menschen, die solche Alternativen leben, als man gemeinhin denkt: »Digitale Bohéme« werden sie von Friebe und Lobo genannt. Darunter verstehen die Autoren Menschen, die sich ihr Arbeitsfeld ausgesucht haben, die selbst entscheiden, was, wann und wo sie arbeiten.

Das alleine ist noch nichts Neues; auch die analoge Bohéme hat früher schon so gelebt und gearbeitet – wenn auch kaum Geld damit verdient. Und genau dies fällt heute bedeutend leichter: mit Hilfe der digitalen Medien wie dem Internet kann man inzwischen sogar Geld verdienen als Bohemien. Ein Online-Shop sei schnell eröffnet, ein Blog sorge dafür, Idee und Produkte bekannt zu machen und überhaupt gäbe es immer irgendein Projekt, an dem man mit Freunden und Bekannten zusammen arbeiten könne. Vernetzung sei das A und O des Arbeitens jenseits der Festanstellung. Umfangreiche Kontakte sorgen dafür, dass über kurz oder lang ausreichend Aufträge an Land geschwappt werden, dass es auch irgendwann zum Überleben reicht.

Die beiden Autoren wissen, wovon sie sprechen: Aus eigener Erfahrung kennen sie, was die digitale Bohéme ausmacht und fanden in ihrer eigenen Umgebung immer mehr Anzeichen dafür, dass immer mehr Menschen so lebten wie sie, nämlich »so [zu] arbeiten, wie man leben will, und trotzdem ausreichend Geld damit verdienen«. Wir nennen es Arbeit kann daher als Versuch betrachtet werden, diese individuellen Erfahrungen auf einen größeren gesellschaftlichen Rahmen zu übertragen.

Gleichzeitig ist das Buch ein Loblied auf die neuen Medien. Der Entwicklung des Internet sowie allgemein dem Übergang von einer analogen zu einer digital orientierten Kultur sei es nämlich zu verdanken, dass jene Menschen, die sich zu einem selbstbestimmten Leben entschlossen haben mit Hilfe der neuen Technologien ihre Handlungsspielräume erweitern können. Der analogen Bohéme blieb dies verwehrt, war doch die Gesellschaft noch starrer und die Arbeitswelt restriktiver. Wer sich nicht in die Strukturen fügte, war dazu verdammt, arm zu bleiben.

So weit, so gut. Dass das Konzept einer digitalen Bohéme als allgemeine Lebensform noch etwas wackelig auf den Beinen steht, geben die Autoren zu und auch, dass das selbstbestimmte Arbeiten nicht immer ausreicht, um damit seine Miete zu bezahlen. Wenn auch Durststrecken mit »Brotjobs« überbrückt werden müssen oder auf die Familie als Finanzierungspolster zurückgegriffen werden muss, dann sind Friebe und Lobo dennoch davon überzeugt, dass das Leben in der digitalen Bohéme allemal besser sei als eine vage Aussicht auf eine Fünftagewoche inklusive Dauerangst vor betriebsbedingter Kündigung und sie behaupten, dass die ernüchternden Verdienstverhältnisse der digitalen Bohemiens durch »ein hohes Maß an innerer Motivation« aufgewogen werden – Motivation alleine macht allerdings auch nicht satt.

Es stimmt ja: Für viele ist die abhängige Lohnarbeit nichts anderes als eine »milde Krankheit«, eine Zeit, in der man nur darauf wartet, dass sie vorbeigeht, um es mit den Worten des Philosophen Frithjof Bergmann auszudrücken. Durch den monatlichen Scheck wird das alles nicht schön, nur erträglicher. Und nicht die einzelnen Jobs bringen diese Unlust hervor, sondern das System Festanstellung an sich. Ganz in diesem Sinne lassen Friebe und Lobo kein gutes Haar an der Festanstellung. Nur leider übertreiben sie es mit ihrer Systemkritik teilweise allzu stark, worunter dann die Glaubwürdigkeit ihrer guten und auch richtigen Thesen leidet. Wenn zum Beispiel davon die Rede ist, dass dreizehntes Monatsgehalt und Urlaubsgeld, Kranken- und Rentenversicherung die Gefahr einer mentalen Abhängigkeit in sich tragen und als Resultat »lacht man [irgendwann] nicht mehr nur über die Witze des Chefs, sondern man findet sie auch lustig«, dann mag das bestimmt für einige übereifrige Festangestellte gelten, aber jene Zwangsläufigkeit und Pauschalität, mit der Friebe und Lobo das Abgleiten in eine mentale Abhängigkeit durch die Festanstellung vorhersehen, ist sicherlich nicht zu rechtfertigen.

Kein Zweifel – die Festanstellung hat ihre Tücken und dass ein großes Maß an Abhängigkeit damit einhergeht, ist auch nicht zu bestreiten. Jedoch manchmal beschleicht einen beim Lesen schon das Gefühl, dass da allzu krampfhaft Argumente an den Haaren herbeigezogen werden, mit denen die Festanstellung schlecht und das Arbeiten in der freien Wildbahn rosig geredet werden soll. Etwa, wenn es da heißt, dass die Möglichkeit, bei Computerproblemen auf einen Systemadministrator zurückzugreifen ein vergifteter Luxus sei, weil er in eine Technologie-Unmündigkeit führe, die einen schwer wieder in einer Welt ohne solche Helferlein zurechtkommen lässt. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass uns erst die Arbeitsteilung zu dem Wohlstand gebracht hat, den wir heute genießen.

Die Beschreibung einer neuen Bohéme als klassischer Gegenspieler der Bourgeoisie kann auch als – in der deutschen Medienlandschaft längst überfällige – Replik auf den Ausruf einer »neuen Bürgerlichkeit« gesehen werden. Dass die Bourgeoisie (scheinbar) wieder Aufwind bekommt, entlarven die Autoren schließlich als Medienhype, da sie schon aufgrund ihrer inneren Widersprüchlichkeit nicht zu neuem Leben auferstehen kann: die Propagierung guter alter Werte wie Sparsamkeit, Bescheidenheit und Gemeinsinn verträgt sich nicht mit dem Streben nach einem dynamischen Kapitalismus, den Familienmenschen zu predigen und ihm gleichzeitig allergrößte Flexibilität auf den Arbeitsmärkten abzuverlangen, ist ebenfalls ein Widerspruch.

Aufgrund dieser Ungereimtheiten gewinnt die Bohéme als Leitbild und Rollenmodell immer stärker an Aktualität und Attraktivität. Ihr Siegszug beschränkt sich allerdings bisher auf die Gesellschaftsbereiche Konsum und Freizeit, während in der »Produktionssphäre« der Volkswirtschaft immer noch die Logik der Bourgeoisie herrscht: das Konstrukt des Arbeitsvertrages sorgt dafür, dass Angestellte sich der Funktionslogik des Unternehmens unterwerfen und darin funktionieren. Auch wenn sich das äußere Erscheinungsbild (man denke nur an Sofa und Tischkicker im Empfangsbereich als Metapher der New Economy) dem Zeitgeist angepasst haben mag: von selbstbestimmter Lebensweise keine Spur!

Holm Friebe und Sascha Lobo lassen keinen Zweifel daran, dass sie die digitale Bohéme als das Arbeitsmodell der Zukunft sehen. Das Arbeits-Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und dabei mehr Wert auf Selbstbestimmung und individuelle Freundschaften zu legen als auf karrierefördernde Anpassung, das ist zwar bisher nur die Motivation einer (noch) recht kleinen Gruppe von Menschen. Die Übergänge sind jedoch fließend und viele, die nach wie vor einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen, sind bereits innerlich bereit, die Lager zu wechseln – die immer häufiger in Anspruch genommene Auszeit namens Sabbatical ist ein deutliches Indiz.
Dass allerdings herkömmliche Konzernstrukturen für die Herstellung bestimmter Produkte unerlässlich sind, erwähnen Friebe und Lobo eher beiläufig. Zurück also auf den Boden der Tatsachen: Ohne die Leute, die von Montag bis Freitag jeweils von neun bis fünf im Büro sitzen, wäre eine digitale Bohéme gar nicht denkbar.

Selbst wenn manche Gedanken des Buchs nicht zu Ende gedacht sind und insbesondere die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen des digitalen Arbeits- und Lebensmodells zu kurz kommen, bleibt doch ein imponierend gezeichnetes Bild der vielfältigen Möglichkeiten der zukünftigen Arbeitswelt. Mag das im Vorwort etwas großspurig formulierte Ziel, einen Gegenentwurf zu Neoliberalismus und neuer Bürgerlichkeit zu formulieren, nicht vollständig erreicht sein, so bietet Wir nennen es Arbeit doch eine umfassende, packend geschriebene Analyse der neuen Trends im Internet samt ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, die anderswo abstrakt unter dem Schlagwort »Web 2.0« vereint werden.