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Wie Sinn zum lebendigen Bestandteil von Unternehmenskulturen wird
Sinn braucht verstärkte Aufmerksamkeit in der Führung und Steuerung von Firmen. So weit so gut. Die wirklich interessante Frage ist jedoch, wie man das am effektivsten und effizientesten erreicht. Wer Sinn ernst nehmen will, muss anderen die Freiheit lassen, sich selbst zu verwirklichen. Sinn lässt sich nicht stiften! Wir können nur unsere Aufmerksamkeit darauf schulen, ob unser Gegenüber sinngekoppelt ist oder nicht bzw. entkoppelt.

        


 
n unseren zunehmend dynamisch komplex verwirrenden Zeiten fragen sich immer mehr Menschen, wie Sinn eine stärkere Rolle in der Wirtschaft einnehmen kann. Ob Manager, Journalist, Politiker, Medienmacher oder wir, die Konsumenten ihrer Botschaften, wir alle suchen nach dem Sinn in unserem Leben – und in der Arbeit.

Trendforscher aller Art sind sich darin einig, dass die Frage nach dem Sinn geeignet ist, für gute Entscheidungen sowie langfristigen Erfolg zu sorgen. Angefangen vom Gallup Engagement Index über Arbeiten zur Corporate Social Responsibility oder die aktuelle Studie der stiftung neue verantwortung »Jeder für sich und keiner fürs Ganze?« – alle kommen zu diesem Schluss.

Kaum zu dieser Erkenntnis gelangt, scheint die Lösung in der praktischen Umsetzung eindeutig: Führung muss in Zukunft vor allem Sinnstiftung sein!

Führung als Sinnstiftung ist Schwachsinn!
Seit über zehn Jahren beschäftige ich mich mit der Frage, wie man mit einer sinnvollen Betriebswirtschaft Mitarbeiter binden, gute Entscheidungen treffen und unternehmerisch erfolgreich sein kann. In meiner Arbeit habe ich gelernt, dass kein Mensch einem anderen Menschen gewollt Sinn stiften kann.

Natürlich kann es Sinn haben, für einen oder mit einem anderen Menschen zu arbeiten. Dieser andere Mensch dient dann meinem Streben nach dem eigenen Sinn. Dabei entscheidet jede⁄r für sich, ob, wer und für wie lange andere Menschen Teil der eigenen Sinnerfüllung sind.

Ein Fremd-Sinnstiften ist unmöglich. Damit ist auch die Forderung an Führungskräfte, in Zukunft verstärkt Sinnstifter zu sein, anmaßend und dumm.

Sinngekoppelt oder nicht, das ist hier die Frage
Anstatt Sinn stiften zu wollen, können wir darauf achten, ob jemand sinnkoppelt oder nicht bzw. entkoppelt. Der Unterschied zwischen Sinnstiften und Sinnkoppeln ist der Unterschied zwischen Philosophieren und Wahrnehmen. Zwischen Doktrin und Freiheit. Sinnerfüllung ist viel zu individuell, umfassend und komplex, um damit kontrolliert arbeiten zu können. Jeder Mensch ist ein eigenes Universum. Daher können Dritte über den Sinn eines Menschen, seinen Weg zur persönlichen Erfüllung und den Möglichkeiten ihm Sinn zu stiften, nicht mehr als philosophieren. Das ist unterhaltsam und unverfänglich. Am Ende, so wissen wir alle, liegt es jedoch an diesem Menschen selbst, sich zu verwirklichen.

Anders verhält es sich mit der Beobachtung, ob unser Gegenüber sinnhaft in der gemeinsamen Arbeit ankoppelt, nicht ankoppelt oder gerade entkoppelt. Schult man die eigene Aufmerksamkeit für solche Momente, beginnt man mit Sinn zu arbeiten. Sinnkopplung und -entkopplung können wir konfrontieren. Wir können sie hinterfragen, uns eine Meinung darüber bilden und Handlungskonsequenzen daraus ableiten. Die Wahrnehmung für Sinnkopplung kann trainiert werden. Mit ihren Kenntnissen können wir praktisch wie auch pragmatisch umgehen.

Hier ein Beispiel:
Carmen, Anton, Berta und Dora arbeiten in einem gemeinsamen Projekt. Es geht um die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in ihrem Unternehmen. Die Geschäftsführung hat sie beauftragt zu prüfen, welche Angebote es bei anderen Unternehmen aus der Branche gibt. Sie sollen darüber hinaus aufzeigen, ob, wie und bei welchen Programmen der Staat die Firma unterstützt. Als Resultat soll ein Bericht entstehen, in dem sie der Geschäftsführung vorschlagen, welche Angebote eingeführt werden sollen und wie diese umzusetzen sind.
Heute treffen sich die vier zum dritten Mal. Anton stellt vor, welche Programme staatlich unterstützt werden. Kaum beginnt er, holt Berta ihr Smartphone hervor und widmet ihm ihre volle Konzentration. Anton ist in seinen Erklärungen davon merklich genervt. Nach ein paar Minuten fragt Carmen Berta mit einem Nicken in Richtung ihres Smartphones: »Ist es wichtig für unser Projekt?« Berta schüttelt den Kopf: »Nein, hat damit nichts zu tun.« und konzentriert sich wieder auf den kleinen Bildschirm. Die Sitzung geht angespannt weiter. Als das Gespräch seinem Ende zugeht, löst sich Berta von ihrem Telefon. Sie stimmt den Ergebnissen nickend zu, trägt noch den Termin des nächsten Treffens in ihren Kalender ein und verabschiedet sich.
Kaum hat sie den Raum verlassen, beginnt die hoch emotionale Auseinandersetzung über ihr Verhalten. Carmen und Anton sind sehr verärgert und lassen sich ausgiebig darüber aus, was für ein Mensch man sein muss, um sich so respektlos zu verhalten. Dora ist zurückhaltender und spekuliert über plausible Erklärungen für diese Ignoranz-Demonstration. Sie sucht nach dem Sinn, den es für Berta machen könnte, sich so verhalten zu haben. Keiner kommt jedoch auf die Idee, Berta zu fragen.

Diese Szene ist zwar sehr überspitzt dargestellt, dennoch kennen wir sie alle mehr oder weniger stark ausgeprägt aus unserem Arbeitsalltag. Ich gebe zu, ich habe mich bereits wie Berta verhalten und ich habe mich schon häufiger gerade so wie Carmen und Anton über einen Dritten aufgeregt. Auch die Rolle der Dora ist mir nur allzu vertraut. Als Berta war ich im Gespräch schlicht und einfach nicht sinngekoppelt und somit wollte ich meine Zeit während des Meetings mit etwas für mich Sinnvollerem zubringen, als an der Besprechung wirklich teilzunehmen. Als Carmen, Anton oder Dora, verlor ich mich nach solchen Terminen in den gemeinsamen Spekulationen über die Frage: Wie kann man sich nur so verhalten? Die Konsequenzen daraus waren sich sehr ähnlich.

Warum verhalten wir uns so wie wir uns verhalten?
Als Berta ging ich meiner Wege ohne mir viel Gedanken über die anderen oder das Projekt zu machen.

Als Anton verlor ich jede positive Erwartung an Berta. Ich legte mich bereits vor dem nächsten Meeting mächtig ins Zeug, um sie dieses Mal so richtig mit dem Thema zu konfrontieren. Und regte mich erneut auf, wenn sie wieder derart gleichgültig war. Und das bei einem Projekt, das wir doch zum Wohle aller durchführen! Zudem trug ich meine schlechte Laune in die Kollegenschaft und ließ bei sich bietenden Gelegenheiten kein gutes Haar an Berta. Anders ausgedrückt: Ich philosophierte nach meinem Gusto darüber, wie arrogant, ignorant oder gar dumm Berta ist. Ich war mir – aus meinem eigenen Blickwinkel betrachtet – sicher: So kann kein sinnvolles Arbeiten aussehen.

Natürlich ist diese Analyse der Reaktionen beispielhaft schwarz-weiß. Dennoch, tendenziell habe ich sie fast immer so oder vergleichbar erlebt. Abhängig vom Temperament der Beteiligten mal etwas lauter oder auch sehr leise. So spekulieren wir über den Sinn eines anderen. Wir erwarten, dass der⁄die andere unseren eigenen Sinn teilt oder wollen ihn⁄sie davon überzeugen. Anton toleriert zu keinem Zeitpunkt, dass Berta nicht sinnkoppeln muss. Berta toleriert zu keinem Zeitpunkt, dass Carmen, Anton und Dora einen Sinn in etwas finden, dem sie offensichtlich nichts dergleichen abgewinnen kann.

Egal um welche Inhalte es auch immer gehen mag, hätte jemand die Sinnkopplung der Teammitglieder aufmerksam wahrgenommen und thematisiert, wäre mehr Energie in Leistung aufgegangen und weniger in Klatsch, Tratsch, Frustration und Ignoranz.

Konsequenzen für eine Führung, die Sinn ernst nehmen will
Mit den Verfechtern der Sinnstiftung habe ich gemein: Sinn braucht verstärkte Aufmerksamkeit in der Führung und Steuerung von Firmen. Völlig uneins sind wir uns in der Frage, wie man das am effektivsten und effizientesten erreicht. Während dort den Führungskräften einfach Sinnstiftung ins Aufgabenheft diktiert wird, bin ich überzeugt: Es geht um Freiheit. Nämlich um die Freiheit sinnhaft anzukoppeln, nicht zu koppeln oder zu entkoppeln.

Sinnstiftung klingt plausibel, ist sie aber nicht. Stattdessen ist sie völlig irrational, weil als Auftrag unmöglich. Es braucht nicht noch mehr Missionare, Revolutionäre oder Diktatoren für die eigenen Inhalte. Stattdessen brauchen wir:
:: Menschen, die den Sinn ihres Gegenübers auch dann respektieren, wenn sie ihn nicht verstehen.
:: Kommunikationskulturen, -methoden und -werkzeuge, die uns einen konstruktiven Austausch zwischen sinngekoppelten und -entkoppelten Menschen ermöglichen.
:: die ständige Suche nach und den Abbau von Strukturen und Ritualen, die andere von Inhalten überzeugen wollen, anstatt ihnen die Möglichkeit zu geben, sinnhaft anzukoppeln oder eben nicht.
:: die Forderung an alle Menschen, eigenständig zu denken, persönliche Haltungen anderer wertzuschätzen und zu respektieren sowie auch in der Selbstverwirklichung das Gemeinwohl einzubeziehen.
:: die Freiheit, unsere Abhängigkeiten selbst wählen zu können.

Fängt man an darüber nachzudenken, was im eigenen Umfeld notwendig ist, um auch nur einen der vorgenannten Punkte zu erreichen, stellt man schnell fest: Arbeiten mit Sinn geht. Viel mehr noch: Es geht ohne Vorbedingungen, ohne Gesetze und Regelungen. Ist man ein Stück des Wegs gegangen, erkennen wir, dass es gar nicht so schwer ist, zumindest die eigene Welt aus den Angeln zu heben.