Home         Autoren         Newsletter         Kontakt         Impressum
Warum wir eine neue Denkkultur brauchen
Die Methoden und Gedanken von Smith, Taylor und Ford prägen bis heute unsere Unternehmen. In unserer Industriegesellschaft finden wir deshalb die herrschende logisch-rationale Denkkultur in die Praxis umgesetzt. Fast alle arbeiten immer noch nach den zentralen Leitlinien: extreme Arbeitsteilung, Spezialisierung und entsprechende Fragmentierung der Arbeit, ihrer Abläufe und der Arbeitsvorgänge. Sie sind im Planen, im autoritären Führen und im übertriebenen Misstrauen aus dieser abendländischen Denkkultur heraus zu erklären. Aber in Zukunft brauchen wir eine andere Ausrichtung, ein anderes Denken.

        


 
ie Einflüsse unserer Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte lassen sich im Unternehmensalltag ausfindig machen. Die preußische Obrigkeitsgläubigkeit und die aus den preußischen Erfolgen resultierenden Tugenden wie Fleiß, Tüchtigkeit, Treue, Gehorsam, Pflichtgefühl oder Wahrhaftigkeit haben lange das Geschehen in unseren Unternehmen bestimmt. So ist es auch zu erklären, dass sich Führungsgehorsam, autoritäre Strukturen, Hierarchien oder patriarchalische Führung so lange halten und Wohl und Wehe in unseren Unternehmen bestimmen konnten.

Diese abendländische Denkkultur findet natürlich auch ihren Niederschlag in unseren Ausbildungssystemen. Die vermittelten Inhalte sind immer noch geprägt von einer starken Betonung eines einseitigen Denkens, also Ausrichtung auf die linke Hirnhälfte. Sie sind geprägt von der Betonung des Faktenwissens, der mathematischen Analyse, der reinen Wissensvermittlung, der Logik und Kausalität. Vernachlässigt werden immer noch das analoge Denken, ganzheitliche und vernetzte Erfahrungen, zum Beispiel in der Gemeinschaft oder im Team. Das Streben nach Ergebnissen in Form von Noten steht an erster Stelle. Soziales Lernen und Verhalten sowie Zusammenarbeit, Zusammenwirken und Miteinander werden in dieser Ausbildungsform kaum vermittelt – alles jedoch Fähigkeiten, die zum Management und zum »richtigen« Führen notwendig wären. Ein Menschenbild zum besseren Miteinander wird in unseren Ausbildungssystemen nicht gelehrt und nicht vermittelt. So wird auch zu Recht beklagt, dass es für den Beruf »Management« keinerlei ernstzunehmende Ausbildung gibt.

Ein neues Karriereverständnis
Wir müssen den Begriff Karriere deshalb neu definieren. Er muss einhergehen mit Verantwortung und Nachhaltigkeit. Wir brauchen zwar weiter Führungskräfte, aber mit ganz besonderen Fähigkeiten im Umgang mit den vorhandenen Energien und Ressourcen. Sie müssen in der Lage sein, Freiräume zu gewähren, also die Mitarbeiter wirklich loszulassen. Nur so können sich die notwendigen Wissensnetzwerke entwickeln.

Karriere werden wir künftig nicht mehr als vertikalen Aufstieg in der Organisationshierarchie bewerten, sondern sie muss auch definiert werden als die Möglichkeit des Gewinnes zusätzlicher Erfahrungen, als Möglichkeit für neue Herausforderungen und Aufgabenfelder oder auch als Möglichkeit zur Wahrnehmung besonders interessanter Aufgaben. Karriere wird einhergehen mit Gestalten und Bewegen. Nur wird sich dies nicht mehr ausschließlich auf Hierarchie und Organisation beschränken, sondern auf Aufgaben, Prozesse, Projekte und Bereiche. Neben der bisherigen Führungskarriere wird in Zukunft die Fachkarriere ein sehr viel stärkeres Gewicht erhalten. Im Zeitalter lernender Organisationen und flacher Hierarchien hat sich das traditionelle Karrieremodell überlebt. Und wie Peter M. Senge es formuliert, »ist die lernende Organisation ein Ort, an dem Menschen kontinuierlich entdecken, dass sie ihre Realität selbst erschaffen.«

Lange wurde unser Karriereverständnis von dem Bild der Karriereleiter bestimmt, bei der es galt, eine Hierarchiestufe nach der anderen zu erklimmen, um schließlich an die Spitze der Pyramide oder zumindest ins obere Feld zu gelangen. In Zukunft wird die Frage nach der Karriere lauten: Möchte ich Menschen auf ein Ziel hin bewegen und dazu die Möglichkeiten schaffen, oder möchte ich ein breites Feld von Aufgaben und Problemstellungen bearbeiten und beherrschen? Dabei wird die eigentliche Gestaltungsaufgabe mehr und mehr nach unten verlagert. Oben muss dafür gesorgt werden, dass das Zusammenspiel im Miteinander funktioniert und mögliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Unser neues Karriereverständnis muss Fachaufgaben sehr viel stärker aufwerten, wollen wir Frustration und Perspektivlosigkeit bei den Mitarbeitern vermeiden und deren Engagement gewinnen. Die persönliche Kompetenz rückt stärker in den Mittelpunkt. Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, Führen sei mehr wert als Ausführen. Karriere heißt in Zukunft Kompetenzentwicklung. Dies wird auch seinen Niederschlag in den zukünftigen Entlohnungssystemen finden. Diese werden sich nicht mehr danach richten, wie viele Mitarbeiter jemand unter sich hat oder wie groß das von ihm verwaltete Budget ist. Zukunftsweisende Karrierekonzepte müssen berücksichtigen, welchen Beitrag eine Person, ein Team oder eine Gruppe zur Wertschöpfung des Ganzen erbringen.

Als ernstzunehmendes Resultat nicht zuletzt unserer Ausbildungs- und Weiterbildungssysteme sind auch die immer wieder anzutreffenden Lernblockaden und die hartnäckige mentale Besitzstandswahrung zu sehen. Die europäischen Länder hatten mit der ersten industriellen Revolution eine Überlegenheit gewonnen, die sie dazu verleitete, verächtlich auf alles herabzusehen, das ihnen nicht ähnlich war. Heute besteht für die Europäer die Gefahr, eine Gesellschaft von zukünftigen Armen zu werden. Wir bilden uns weiterhin ein, in jeder Hinsicht Vorbild zu sein: von den Menschenrechten bis zum sozialen Fortschritt, von der Kreativität bis zur Technik, von der Handhabung der Macht bis zur feinen Lebensart.

In dem Maße, wie unsere Werte uns zusagen, meinen wir immer noch, ihre Allgemeingültigkeit propagieren zu können. Tatsächlich war unsere wirtschaftliche Vormachtstellung eng mit unserer Kultur verzahnt. Mit dem enormen Technologietransfer der vergangenen Jahrzehnte in andere Kulturkreise wird aber unsere Führungsrolle in Frage gestellt, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst werden. Die technologische Entwicklung und Qualifizierung in Asien zeigen deutlich, dass diese Länder uns ebenbürtig geworden sind. So wird zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt der Schwellenländer in diesem Jahrzehnt das der Industrieländer überrunden.

Der Abschied vom Kausalitätsprinzip
In der sich abzeichnenden Netzwerk- und Dienstleistungsgesellschaft stößt die aufgezeigte Denkkultur zunehmend an ihre Grenzen. Sie reicht nicht mehr aus. Die Welt von Adam Smith und ihr Geschäftsgebaren sind das Paradigma der Vergangenheit. Quantenphysik, fraktale Geometrie, Molekularbiologie und die Nanotechnologie markieren den Abschied vom Kausalitätsprinzip.

Um dem Vorwurf der Schwarz-Weiß-Malerei entgegenzutreten, sei aber auch betont, dass unsere europäische Denkkultur natürlich unseren derzeitigen Lebensstandard ermöglicht hat. Sie hat uns viele Errungenschaften beschert, die wir heute als selbstverständlich betrachten. Sie hat uns auch von vielen Naturkatastrophen und Krankheiten befreit. All diese Errungenschaften reichen aber nicht mehr aus, um die Zukunft in gleicher Weise zu bewältigen, wie wir das bisher getan haben. Besonders krass macht sich dies im Management von Unternehmen bemerkbar. Denn oft sind Mitarbeiter und Manager derzeit Gefangene antiquierter Theorien der Arbeitsorganisation – Theorien, die aus der Frühzeit der Industrialisierung stammen. Die Prinzipien der Arbeitsteilung, der ausgefeilten Kontrollmechanismen oder der Führungshierarchie passen nicht mehr in eine Welt des ständigen Wandels, des globalen Wettbewerbs und der grenzüberschreitenden Kooperation.

Die überwiegend rationale, analytische und reduktionistische Denkweise konzentriert sich vor allem auf das Quantitative, das in der Regel in ein maximierendes Verhalten mündet. Dieses Verhalten betrachtet eine Variable isoliert und versucht, ausschließlich diese zu maximieren. Analyse, Strategie, Planung und Kontrolle im herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Sinn beruhen ja gerade auf der logisch-rationalen Denkweise. Sie führen fast automatisch zu dem eben beschriebenen Verhalten. Ein einleuchtendes Beispiel dafür ist das Gewinnmaximierungs-Streben vieler Unternehmen. Dass ein solches Maximierungs-Streben meist ein »Nullsummen-Spiel« ist, ergibt sich heute fast zwangsläufig. Das heißt, dass der durch das Maximierungsverhalten angestrebte Gewinn oft nur durch den Verlust an anderer Stelle entsteht. Das erst in jüngster Zeit wachgewordene Nachhaltigkeits-Bewusstsein und das Streben nach Energie- und Ressourcenproduktivität machen deutlich darauf aufmerksam.

Eine zweite Gedankenkette möchte ich zur Verdeutlichung anfügen. Das Denken in Entweder-Oder-Kategorien ist reduktionistisch und schafft dadurch willkürlich isolierte Einheiten. Gemeinsamkeiten werden verwischt. Dieses Denken führt komplexe Ereignisse auf eine einzige Ursache zurück, so dass sich eine scheinbar klare Ursache-Wirkungs-Beziehung ausmachen lässt.

Das Denken im Entweder-Oder-Muster ist auch einseitig dualistisch, das heißt, es entstehen bei der Beobachtung und Analyse immer zwei entgegengesetzte Teile wie gut und böse, groß und klein, hell und dunkel, oben und unten, hart und weich, warm und kalt, langsam und schnell, innen und außen, schwarz und weiß. Wieder werden wie bei der reduktionistischen Betrachtungsweise Gemeinsamkeiten verwischt, die sich etwa in den verschiedenen Schattierungen zwischen schwarz und weiß oder hell und dunkel ergeben.

Monochrone und polychrone Kulturen
Das Entweder-Oder-Denken ist einseitig analytisch und das Organische und eher einem Gewebe oder Netzwerk Entsprechende der Realität kann dabei kaum erfasst werden. Schließlich konzentriert sich das Entweder-Oder-Denken auf das vordergründig Rationale und Produktive, das heißt, exakt definierbare Begriffe, mathematische und logische Schemata stehen im Vordergrund. Und damit sind wir wieder beim rein Quantitativen unseres obigen Ausgangspunktes. Diese eher europäische Kultur wird denn auch als monochron bezeichnet, im Gegensatz zur polychronen. In monochronen Kulturen ist die Kommunikation unter vier Augen im direkten Zweiergespräch die bevorzugte Art des Umgangs miteinander. Dies äußert sich unter anderem darin, dass jeder durch sein eigenes Büro zunächst einmal von Kollegen und Mitarbeitern getrennt ist. Sicherlich ist dadurch ein effizientes, ruhiges und ungestörtes Arbeiten möglich, das für viele kreative Aufgaben auch dringend erforderlich ist.

Aber auf der anderen Seite müssen in diesen monochronen Kulturen andere Möglichkeiten geschaffen werden, um den durch die Isolierung behinderten Informations- und Kommunikationsfluss lebendig zu halten. Die dazu eingerichteten Konferenzen und Besprechungen haben meist eine feste Tagesordnung, die strikt Punkt für Punkt abgehandelt wird. Kein Teilnehmer verlässt den Besprechungsraum außerhalb der per Tagesordnung festgesetzten, offiziellen Pausen. Ohne dies zunächst bewerten zu wollen, sei also festgehalten, dass diese Merkmale die Arbeitsweise unserer Gesellschaft und Arbeitswelt immer noch weitgehend prägen.

Polychrone Kulturen, wie wir sie beispielsweise in den romanischen Ländern Südeuropas, aber auch in Asien finden, zeichnen sich durch eine hohe Informations- und Kommunikationsdichte und einen ungehinderten Informationsfluss aus. Bestätigt wird die polychrone Ausrichtung auch, wenn wir in einem südeuropäischen Land durch die Orte und Städte gehen: Wie viele Menschen sind dort unterwegs, treffen sich und tauschen alle möglichen Informationen aus! Man lebt viel mehr miteinander als wir dies etwa in Deutschland gewohnt sind. Das Ergebnis sind dann auch besser oder gleichermaßen informierte Menschen, die über viele Dinge auf dem gleichen Kenntnisstand sind, auch wenn sich dies oft im privaten Bereich abspielt.

Dieser andere Umgang miteinander überträgt sich fast selbstverständlich auch auf die Unternehmen, auf die Arbeit und auf die Arbeitsweise. Entscheidungen können so auch leichter auf mehrere Schultern verteilt werden, da alle beteiligt sind. Die offene Atmosphäre, in der polychrone Menschen leben und arbeiten, ermöglicht fast von alleine einen intensiveren Informationsaustausch und eine echte Kommunikation.

Gegenwärtige und künftige Veränderungen oder Entwicklungen können aufgrund der Komplexität und der weitreichenden Auswirkungen meistens nicht mehr von Einzelnen, sondern nur gemeinsam im Miteinander bewältigt werden. Diese Erkenntnis haben zum Beispiel viele Asiaten als kulturelles Erbe und als Prinzip verinnerlicht.

Was zeichnet dieses Denken aus? Worauf basiert es? Welches Menschenbild liegt ihm zugrunde? Und wie unterscheidet sich dieses von dem europäischen? Man kann dieses polychrone »Sowohl-als-auch« als Denken und Menschenbild wie folgt charakterisieren:
:: Handlungen bestehen nicht nur aus dem Tun, sondern auch dem Gegenteil, aus Unterlassungen.
:: Für die individuelle Entfaltung und Entwicklung ist »sich bescheiden können« genauso wichtig wie sich befriedigen können.
:: Zielorientiertes Handeln muss durch das höherwertige pflichtorientierte Handeln ergänzt werden.
:: Das Menschenbild ist geprägt von der Vorstellung, dass die Gesamtheit der Menschen aus den Unterschiedlichkeiten des einzelnen Menschseins zusammengesetzt ist.

Erinnern wir uns an die Quellen des Entweder-Oder-Denkschemas, so ist festzustellen, dass vieles von dem, was wir oft zu Recht als Mangel empfinden, im Sowohl-als-auch-Denken selbstverständlich und tief in der Kultur verankert ist. Schauen wir uns nur einmal die Begriffe und Muster an, die im westlichen Denken vorherrschen und das Handeln bestimmen. Wir haben den Dualismus und eine einseitige Logik im Denken, streng analytische Vorgehensweise, rationales Handeln, die Zerlegung der Arbeit in kleinste Einheiten und eine genaue Kontrolle dieser unselbständigen Einheiten ausgemacht. Wir haben es überwiegend mit dem Denken in Polaritäten oder in den Kategorien Schwarz und Weiß zu tun, welches die letzten 2000 Jahre geprägt hat.

Wir haben das Gewicht auf Linearität, Vernunft und Fakten gelegt. Schließlich haben wir eine überwiegend reduktionistische Betrachtungsweise in Ursache-Wirkungs-Kategorien festgestellt, die voraussagbare, auf Einfachheit reduzierte und strikt kausale Zusammenhänge sucht. Wir haben ein Streben nach Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit der Welt ausgemacht. Zusammengefasst können wir sagen, dass wir überwiegend eine operative Vereinfachung vorfinden, die unterstellt, dass alles planbar, organisierbar, kontrollierbar und beherrschbar ist, und zwar quer durch alle Bereiche unserer Gesellschaft, also auch durch unsere Unternehmen und quer durch das Management.

Bilden wir dazu die Gegenbegriffe, so erkennen wir sehr schnell, dass genau dies die Grundlagen einer polychronen Kultur und Gesellschaft sind. So beruht zum Beispiel die prägende Tradition im fernen Osten auf einer ganz anderen Basis als die abendländische. An erster Stelle ist das intuitive Denken zu nennen, welches das Problem der dualistischen Spaltung nicht kennt. So sind zum Beispiel die europäischen Gärten geometrisch angelegt – übersichtlich, gradlinig, wohlgeordnet. Dahinter steht die Vorstellung, der Mensch müsse die Natur beherrschen und gegen sie kämpfen. Japanische Gärten versuchen dagegen, die Natur darzustellen, fast zu zelebrieren. Auf kleinstem Raum wird die Schönheit und Harmonie des Ganzen nachempfunden und gestaltet. Dieses Einbeziehen des Ganzen, das Bewusstsein des Zusammenhalts, ist dafür typisch. Das östliche Denken und Handeln wird demnach nicht so sehr von Gegensätzen, sondern sehr viel stärker von Harmonie geprägt. Es vermeidet das Vorgehen in logischen Ketten. Logisches Denken stellt nur eine Verhaltensform dar, neben der es jedoch noch viele andere gibt und geben muss.

Daraus folgt auch direkt die ausgeprägte Offenheit für Neues, für Andersartiges, für Wandel und Veränderung. Statt des individuellen Drangs nach Selbstverwirklichung steht so eine evolutionäre Entwicklung im Zentrum, das Zusammenleben also, das Kooperative, Gemeinschaftswille und Miteinander. Aus diesem Grund wird auch dem Menschen und damit den Führungsinstrumenten Kommunikation, Koordination und Organisation der größte Stellenwert für eine Produktivitätssteigerung beigemessen. Auf diesem Wege könnten auch wir eine andere Denkkultur in unseren Unternehmen einführen.