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Revolution unter der Motorhaube: Mehr Elektronik zum gleichen Preis
Käufer vor allem von Klein- und Mittelklassewagen verlangen in Zukunft immer mehr Auto für das gleiche Geld. Der Elektronikanteil im Auto wird sich daher von heute etwa 20 Pozent auf rund 40 Prozent im Jahr 2015 verdoppeln. Das treibt die Automobilindustrie in einen dramatischen Innovationswettlauf. Gleichzeitig ist sie gezwungen, die Kosten weiter spürbar zu senken - denn die Kunden sind nicht bereit, für den Mehrwert auch mehr zu bezahlen. Unter diesem Druck entwickeln sich neue Strategien und neue Formen der Kooperation - ein revolutionärer Prozess, in dem sich die Wertschöpfung in der Branche weiter von den Herstellern (Original Equipment Manufacturer, OEM) zur Zulieferindustrie verlagert.

        


 
as Auto im Jahr 2015 - was bietet es? Wie sieht es aus? Sicher ist: Es wird eine Fülle von zusätzlichen Ausstattungsmerkmalen besitzen. Doch die wesentlichen Funktionalitäten werden sich kaum verändert haben. Auch in Zukunft wird der Fahrer sein Fahrzeug eigenständig fahren, lenken und bremsen wie bisher. Schwebende Autos oder völlig autonomes Fahren bleiben auf absehbare Zeit Utopie.

Ein großer Teil zukünftiger Innovationen wird dem Endkunden verborgen bleiben oder sich ihm erst auf den zweiten Blick offenbaren, weil sie unsichtbar unter dem Fahrzeugblech wirken oder in der Produktion stattfinden. Kostensenkende Prozessoptimierungen und neue Verfahrensweisen in der Herstellung bieten den Unternehmen markante Vorteile, die der Kunde nicht bemerkt.

Dennoch: Die steigenden Ansprüche der Käufer führen dazu, dass sich in den nächsten zehn Jahren zahlreiche Innovationen, vor allem in den Bereichen Infotainment, Komfort, Sicherheit und Antrieb, auch in der Kompaktklasse durchsetzen. Der Elektronikanteil im Fahrzeug verdoppelt sich daher von heute bis zum Jahr 2015 auf 40 Prozent. Folge: Grundlegende Veränderungen in der Struktur der Automobilindustrie.

Im Rahmen der Studie HAWK1 entwickelten McKinsey und die TU Darmstadt eine Industrieperspektive bis zum Jahr 2015. Entscheidend war dabei die Frage, welche Wertschöpfungsstruktur sich mit dem Einzug neuer Technologien in die Automobilindustrie in zehn Jahren als kostenoptimal erweisen könnte. Untersucht wurde, welche technologischen Innovationen bis 2015 auf breiter Front in die Kompaktklasse einziehen werden und welchen Einfluss diese auf die Kostenstruktur des Fahrzeuges sowie auf die Wertschöpfungsarchitektur haben.

Als Basis dafür erarbeitete McKinsey eine weltweite empirische Studie und befragte mehr als 250 internationale Experten der Automobilindustrie in Tiefen- und Breiteninterviews. Zusätzlich fragte McKinsey rund 5.000 Endkunden nach ihrer Bereitschaft, mehr Geld für Innovationen zu bezahlen. Im Mittelpunkt standen dabei Käufer von Volumenmodellen, also Fahrzeugen der Kompaktklasse, wie etwa Volkswagen Golf, Opel Astra, Toyota Corolla oder Ford Focus. Wegen der hohen Stückzahl dieser Modellgruppe lassen sich allgemeine Aussagen für die gesamte Automobilindustrie ableiten.

Aus diesen Befragungen entstand ein quantitatives Simulationsmodell, das kostenbasierte Aussagen für über 250 Einzelteile bis 2015 ermöglicht – und zwar für jedes einzelne Jahr. Damit haben diese Prognosen einen normativen Charakter und heben die Studie HAWK deutlich von anderen Untersuchungen zur Zukunft der Automobilindustrie ab. Die jeweiligen Daten für die einzelnen Systeme, Komponenten und Teile beruhen auf einer Best-Practice-Kostenstruktur. Sie sind mit Benchmarkdaten aus bisherigen veröffentlichten McKinsey-Studien hinterlegt und wurden in den Interviews bestätigt und vervollständigt.

Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die Kunden verlangen zwar neue Technologien und eine höhere Funktionalität, sind aber nicht bereit, dafür mehr zu zahlen. Für ein Fahrzeug der Kompaktklasse dürfte nach Einschätzung von McKinsey & Company bis zum Jahr 2015 der Preis inflationsbereinigt in etwa auf dem heutigen Niveau verharren. Die Stagnation der Endpreise und der Wettbewerbsdruck, dem Kundenwunsch nach mehr Funktionalität nachzukommen, zwingt die Automobilhersteller, unter den derzeit ohnehin schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin Kosten zu sparen und eine höhere Produktivität zu erzielen.

Im Bereich der Fertigung und der Prozesstechnologien werden daher vermehrt kostensenkende Verfahren wie Hydroforming, Klebetechnologien und die Verwendung hochfester Stähle Einzug halten. Auch das Color Matching – ein Prozess, bei dem verschiedene Fahrzeugteile an unterschiedlichen Standorten zu unterschiedlichen Zeiten lackiert werden und nach der Montage aller Einzelteile dennoch einen vollkommen einheitlichen Farbeindruck ergeben – wird die Kosten für aufwendige Kombinationsprozesse spürbar senken.

Die Umwälzungen in der Automobilindustrie – so das Simulationsmodell der Forschungsinitiative HAWK – gehen jedoch vor allem von den Produktinnovationen aus, die anders als in der Vergangenheit nicht nur die vorhandenen Module verbessern und deren Arbeitsweise optimieren. Im Auto der Zukunft werden zunehmend traditionell mechanische Komponenten mittels Elektronik vernetzt. Ein Zuwachs an Sensorik beispielsweise vermittelt ein genaueres Bild der Fahrparameter und der jeweiligen Situation des Fahrzeugs. Dieser Informationsstand lässt sich dann über eine Software in ein individuelles Fahrverhalten von »ruhig« bis »sportlich« übersetzen.

Bis 2015 werden so genannte X-by-Wire-Technologien ganze ehemals mechanische oder hydraulische Systeme ersetzen. Beim Steer-by-Wire könnten auf lange Sicht die Lenksäule und jede mechanische Verbindung vom Lenkrad zur Achse wegfallen. Es bliebe lediglich ein Kabel, das die vom Lenkrad aufgenommenen Sensordaten an eine Steuereinheit überträgt, die ihrerseits über Elektromotoren die Achse ansteuert. Mittelfristig wird eine elektrisch unterstützte Lenkung bereits einen großen Teil der durch Steer-by-Wire möglichen Kundenvorteile, wie das Aussteuern von Seitenwind, realisieren können.

Der zunehmende Elektronikanteil in Antrieb, Ausstattung, Fahrwerk und Karosserie und die Revolutionierung ganzer Systeme durch X-by-Wire-Technologien ist ein Meilenstein für die Automobilindustrie und verlangt nach völlig neuen Kompetenzen in der Fahrzeugentwicklung. Weniger der traditionell in der Mechanik ausgebildete Ingenieur wird gefragt sein, als vielmehr Know-how im Bereich Mechatronik, der Überschneidung von Feinmechanik und Elektronik. Mit dem zunehmenden Einsatz von Steuergeräten steigt in den nächsten zehn Jahren zudem der Bedarf an umfassenden Kompetenzen im Bereich der Software-Programmierung. Es sind solche Kompetenzen, die zukünftig für die Aufgabenteilung innerhalb der automobilen Wertschöpfungskette von entscheidender Bedeutung sein werden.

Die neuen elektronikbasierten Technologien führen dazu, dass Elektrik/Elektronik als eigenes Segment verschwindet und in den übrigen Segmenten - Ausstattung, Antrieb, Fahrwerk und Karosserie, aufgeht. Antriebs- oder Fahrwerkskomponenten sind schon heute ohne integrierte Elektronik nicht mehr vorstellbar.

Als Hauptfaktor für die Durchsetzungsfähigkeit einer Produktinnovation sehen die im Rahmen der HAWK-Studie befragten Unternehmen die höhere Funktionalität für das gesamte Fahrzeug (36 Prozent) beziehungsweise für einzelne Komponenten (26 Prozent). Der Aspekt des Kostenabbaus spielte immerhin noch für 23 Prozent der Befragten eine entscheidende Rolle, während die übrigen im vereinfachten Zusammenbau und in einer geringeren Anzahl der an Entwicklung und Produktion beteiligten Unternehmen den größten Nutzen sahen.

Kosten der Innovation
Die bis zum Jahr 2015 erwarteten Innovationen verteuern die Herstellkosten eines gut ausgestatteten Kompaktwagens von heute etwa 11.000 Euro um etwa 4.000 EUR. Die Unternehmen können diesen Kostenanstieg von mehr als einem Drittel nur teilweise durch höhere operative Exzellenz auffangen. Weitere Veränderungen sind notwendig, um die Mehrkosten wenigstens teilweise zu kompensieren. Selbst bei einem durchschnittlichen Kostensenkungspotential von netto ca. 1,5 Prozent pro Jahr durch verbesserte operative Exzellenz sind die Unternehmen nicht in der Lage, den Kundenforderungen nach mehr Funktionalität bei gleichem Preis gerecht zu werden.

Neue Technologien sind gefragt: Allein durch die dadurch entstehenden Synergiepotentiale ist eine weitere Kostensenkung von rund 1.500 Euro möglich. Damit würde im Jahr 2015 der Preis für einen Kompaktwagen trotz erheblicher Mehrinhalte nur im Ausmaß der Inflation um etwa 1.000 Euro ansteigen. Inflationsbereinigt bliebe der Preis für den Endkunden also gleich.

Das Segment mit dem größten Kostenanstieg ist die Ausstattung im In- und Exterieur. Die neuen Komfortausstattungen und Infotainmentanwendungen verdoppeln den Elektronikanteil nahezu. Während heute die Kosten für Elektronik im Segment Ausstattung schon 13 Prozent der Gesamtkosten des Fahrzeugs ausmachen, werden sie in den nächsten zehn Jahren auf 24 Prozent ansteigen. Damit erhöht sich der Kostenanteil des gesamten Segments Ausstattung auf 44 Prozent der Gesamtkosten.

Wenn aber die Ausstattung eines Kompaktwagens schon fast die Hälfte der Herstellungskosten umfasst, müssen in den übrigen Segmenten die Kosten deutlich sinken. Beim Antrieb und der Karosserie wird der Kostendruck besonders stark sein. Beim Antrieb, das zeigen aktuelle Entwicklungen, werden sich die Hersteller künftig die Entwicklungs- und Produktionslast für Motoren teilen müssen, um durch Volumenvorteile und geringere Produktdifferenzierung zu sparen. Die Differenzierung für die Endkunden erfolgt über Software, indem das gleiche Bauteil je nach Softwarekonfiguration mehr oder weniger Leistung bietet. Die Computerindustrie praktiziert dies schon seit einiger Zeit. Beispielsweise ist die maximale Brenngeschwindigkeit eines CD-Brenners oft nur eine Frage der im Gerät gespeicherten Software, nicht aber der Hardware.

Diese unvermeidlichen Innovationskosten führen zu einer Neuordnung der Wertschöpfungsstruktur – anders lassen sich die Mehrkosten für neue Technologien nicht auffangen. Die Kosten der Innovationen sind somit einer der wesentlichen Veränderungstreiber in der Automobilindustrie.

Wandel der Wertschöpfungsstruktur
Wer ist in der Automobilindustrie am ehesten in der Lage, die für die neuen Technologien erforderlichen Kompetenzen aufzubauen und anzubieten? Nach den Erkenntnissen der HAWK-Studie wächst der Entwicklungsanteil der Automobilzulieferer am Gesamtfahrzeug, der schon in den vergangenen zehn Jahren im Verhältnis zu den Herstellern deutlich zugenommen hat, weiter. Die Entwicklungsleistungen der Zulieferer könnten – so die Prognose – durch den Vorsprung bei Schlüsselkompetenzen in Kürze die der Hersteller sogar übersteigen.

Einzelne Zulieferer werden schon bald in der Lage sein, durch ihr Elektronik- und Software-Know-how heute noch separate Funktionen, wie etwa Bremse, Lenkung und Dämpfung, zu integrieren und selbst komplett anzubieten. Mittelfristig werden die Schnittstellen im Fahrzeug stärker standardisiert und somit leicht miteinander zu vernetzen sein. Von systemübergreifenden Kompetenzen und neuen Synergien könnten Zulieferer künftig auch in anderen Bereichen profitieren. Ein Zulieferer mit Know-how im Bereich Oberflächenstrukturen könnte beispielsweise heute noch separat gelieferte Module wie Türinnenverkleidung, Cockpit, Mittelkonsole oder Lenkrad visuell miteinander »verbinden«.

Klar ist, der erhöhte Anteil der Zulieferer an der Entwicklung wird sich nachhaltig auf die Wertschöpfungskette auswirken. Der Anteil der Fahrzeughersteller an der Wertschöpfung des Gesamtfahrzeugs wird von heute etwa 35 Prozent in Zukunft auf lediglich 25 Prozent zurückgehen.

Fazit
Die eigentliche Revolution in der Automobilindustrie findet unter der Motorhaube statt. Nicht die Funktionalität des Automobils an sich, sondern die zur Realisierung der Funktionen herangezogenen Technologien verändern sich grundsätzlich. Die Wettbewerbsfähigkeit der Akteure in der Automobilindustrie hängt künftig vom Know-how in einzelnen Anwendungsfeldern ab. Die Entwicklungsleistung der Zulieferer wird steigen. Hersteller können auch weiterhin profitabel arbeiten, wenn sie sich auf ihre Kernkompetenzen, etwa im Produktdesign oder Marketing konzentrieren.

Die Erkenntnisse der HAWK-Studie können bei der Analyse spezifischer Unternehmenssituationen und der Bewertung individueller strategischer Handlungsoptionen eine wertvolle Unterstützung leisten.  

 

1 Dieser Artikel basiert auf Ergebnissen der HAWK-Studie (Herausforderung Automobile WertschöpfungsKette) von McKinsey & Company und dem Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) an der TU Darmstadt.

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