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Michael Hirsch:
Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft. Eine politische Philosophie der Arbeit

ISBN: 3658099305
Erscheinungsjahr: 2016
Springer VS

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Nach der Arbeitsgesellschaft
        


 
ie technischen Fortschritte der jüngsten Zeit bescheren der Frage, ob uns Maschinen die Arbeit wegnehmen, Hochkonjunktur. Eine Vielzahl von Tätigkeiten und ganze Berufe, so ist in den Medien zu vernehmen, seien vom Aussterben bedroht. Natürlich besteht kein Zweifel, dass Technik immer mehr in die Arbeitswelt vordringt. Auch stimmt, dass längst nicht mehr nur manuelle Tätigkeiten von Maschinen ausgeführt werden, denn Maschinen greifen Ärzten bei der Diagnose unter die Arme genauso wie sie Zeitungsartikel schreiben. Werden wir also bald alle arbeitslos und zum Nichtstun verdammt sein?

Bei der Diskussion rund um den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen angesichts der überbordenden Maschinenkonkurrenz fällt zweierlei auf: Zum einen wird zwar unentwegt über Arbeit und das angebliche Weniger-Werden von Arbeit gesprochen, gleichzeitig aber fehlt es an einem akzeptierten Arbeitsbegriff. Was verstehen wir eigentlich unter Arbeit? Zum anderen ist die Debatte geprägt von einer derartigen Fokussierung auf Arbeit als Notwendigkeit, wie mit Scheuklappen blicken wir auf das Arbeitsleben, dass völlig in Vergessenheit gerät, dass Arbeit eben nicht das alleinig glückselig machende Lebenselixier sein muss, als das es gemeinhin in unseren Köpfen verankert ist.

Michael Hirsch nähert sich dem Thema Arbeit von philosophischer Seite und der Titel seines Buches verrät schon, worauf es ihm ankommt: Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft wagt den Blick über den Tellerrand und betrachtet die gegenwärtige Situation mit dem Mut, die Welt auch ohne die herrschende Arbeitsauffassung zu denken. Auch für Hirsch stellt sich selbstredend die Wirklichkeit so dar, wie sie nun eben ist: Die kapitalistische Wirtschaft hat dafür gesorgt, die menschliche Arbeitsproduktivität zu steigern und immer mehr in immer kürzerer Zeit herzustellen. Das Resultat allerdings – die Erzeugung des gesellschaftlichen Reichtums mit einem schrumpfenden Gesamtvolumen an Arbeit – ist für den Autor nicht Grund, in die Elegien der Arbeitsgesellschaft einzustimmen, sondern gibt Anlass zu einem Perspektivenwechsel. Die Frage nach der Freiheit und die soziale Frage stellen sich neu: Wie werden die Zugewinne an Reichtum und potentiell freier Zeit verwendet? Und wie werden die verschiedenen Arten sozialer Arbeit und sozialer Belohnungen innerhalb einer Gesellschaft verteilt? Ist die Folge der erhöhten Arbeitsproduktivität eine gesteigerte Furcht vor »Arbeitslosigkeit«, ein Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden oder aber tragen die Zugewinne an Arbeitsproduktivität dazu bei, mehr soziale Sicherheit, freie Zeit und Freiheit zu erreichen? Hinter all diesen Fragen steht aber noch etwas viel Grundsätzlicheres: Werden wir dem Wandel der Arbeit weiterhin, wie es als Grundtenor die gegenwärtige Debatte untermalt, wie eine über unsere Gesellschaft hereinbrechende Naturgewalt begegnen oder aber werden wir die Zukunft der Arbeitswelt als etwas betrachten, deren Beschaffenheit wir durchaus selbst gestalten können? Für Michael Hirsch besteht kein Zweifel: Weil die Ausgestaltung des Wandels der Arbeit eine gesellschaftliche Aufgabe ist, ist neben der sozialen Frage und der Frage der Freiheit auch die Frage nach der Demokratie aufgeworfen. Denn demokratische Freiheit wird in Zeiten freigesetzter menschlicher Arbeitskraft nicht zuletzt auch vom Umgang mit dieser Herausforderung abhängen. Und dabei wird es eine Rolle spielen, ob politische Entscheidungen mit der Zielrichtung »Schaffung von Arbeitsplätzen« oder »Vermeidung nutzloser Arbeit« getroffen werden.

Wenn in der heutigen Debatte radikale Arbeitszeitverkürzungen einerseits und Existenzsicherheit durch ein bedingungsloses Grundeinkommen auf der anderen Seite gefordert wird, dann geht es dabei natürlich um mehr als um die Reduktion der Arbeitslast und die Verteilung des durch den Fortschritt erwirtschafteten Reichtums. Es geht bei diesen Forderungen wesentlich auch um die Frage der herrschenden sozialen Grundnormen. Denn die Arbeitsgesellschaft mit ihrem Regelmodell des »Normalarbeitsverhältnisses« bringt ja auch ein bestimmtes Sozialmodell mit sich. Erwerbsarbeit wird alles andere untergeordnet, sie ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Gesellschaft – aber muss das denn notwendigerweise so sein? Wird also das Prinzip der Vollzeitbeschäftigung in Zweifel gezogen, so bedeutet dies immer sogleich auch ein Rütteln an althergebrachten Ordnungsvorstellungen und Herrschaftsverhältnissen, tradierte Arbeits- und Lebensverhältnisse geraten ins Wanken. Mit seinem Buch verlässt Michael Hirsch die ausgetrampelten Pfade und stellt ganz bewusst die etablierte Sicht auf Arbeit in Frage, animiert zum Überdenken der glorifizierenden Haltung gegenüber Lohnarbeit.

Wie schon André Gorz und auch andere lenkt Michael Hirsch abermals den Blick auf Eigenarbeit und plädiert damit für eine Neudefinition von Arbeit. Denn aus welchem Grund sollten nicht auch Tätigkeiten abseits der Erwerbsarbeit, wie etwa Sorge- oder Hausarbeit, Arbeit sein und folglich gleich bewertet werden wie bezahlte Formen von Arbeit. Mit der Aufwertung solcher vorrangig von Frauen ausgeführten Tätigkeiten wäre man einen Schritt in Richtung einer geschlechtergerechten Arbeitswelt vorangekommen. In letzter Konsequenz geht es aber darum, die durch die Arbeitsgesellschaft zementierten Normalitätsmaßstäbe aufzulösen und mehr Pluralität zuzulassen. Nicht mehr die Erwerbsarbeit soll das Maß aller Dinge sein, sondern die Anerkennung verschiedener Arbeits- und Lebensweisen. Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft bedeutet neben der Umgestaltung der Arbeitswelt vor allem eine Neujustierung sozialer Normen. Insofern bietet Michael Hirsch einen hochinteressanten Blick auf Arbeit, wenn er das Projekt der Befreiung von überflüssiger Arbeit zusammenbringt mit dem Projekt der Befreiung von unnötiger Herrschaft.