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David Gelernter:
Gezeiten des Geistes. Die Vermessung unseres Bewusstseins

ISBN: 3550080492
Erscheinungsjahr: 2016
Ullstein

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Denkmaschinen
        


 
erden Maschinen bald denken können wie Menschen? Werden sie eines Tages gar schlauer sein als wir? Was wie Science Fiction klingt, ist heute Gegenstand realer Debatten. Weil die Künstliche Intelligenz rasende Fortschritte macht und es höchste Zeit ist, Antworten zu finden. Schon heute schlagen uns die Maschinen in Schach, Jeopardy! und Go, immer öfter dringen sie in menschliche Arbeitsfelder vor und bald schon, so die beinahe täglich vernehmbare Befürchtung, verdrängen sie Menschen gänzlich aus ihren Arbeitsplätzen. Nicht nur Fabrikarbeiter werden den Vormarsch der Roboter zu spüren bekommen, auch Zeitungsreporter, Rechtsanwälte und andere Geistesarbeiter werden künftig durch Maschinen ersetzt werden. Medien überbieten sich regelrecht mit immer neuen Meldungen, wie stark die Arbeitslosigkeit ansteigen werde.

Gegenwind erhalten diese Thesen ausgerechnet von einem Pionier der Informatik. Für David Gelernter gibt es keinen Zweifel, dass die Warnungen voreilig sind. Denn an der Überlegenheit des menschlichen Geistes kommt auch der schlaueste Roboter nicht so schnell vorbei. In seinem Buch Gezeiten des Geistes holt er die hochfliegenden Pläne der KI-Forschung wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz sind seiner Ansicht nach die zentralen Fragen nie gestellt worden: Welche Rolle spielt es für das Denken, dass das menschliche Gehirn in einem Körper sitzt? Was immer übersehen wird, aber nach Gelernter ganz entscheidend ist, um den menschlichen Geist zu entschlüsseln: »Der Geist wandelt sich ständig«, im Laufe jedes Tages ändern sich die »Rolle der Gefühle für das Denken, der Gebrauch unseres Gedächtnisses, das Wesen des Verstehens, die Qualität unseres Bewusstseins«. Der Mensch durchläuft täglich ein Spektrum, das »für alle Aspekte von Geist, Denken und Bewusstsein von entscheidender Bedeutung ist«. Morgens, wenn wir ausgeruht sind, funktioniert der Geist anders als abends, wenn die Schläfrigkeit einsetzt. Die physischen Zustände wirken auf das Funktionieren und die Gestaltung des Geistes. Denn der menschliche Geist entsteht nicht schlicht durch die Verarbeitung von Gedanken und Daten. Auch Gefühle spielen eine Rolle. Der menschliche Geist entspringt einem einzigartigen Gemisch aus Erfahrungen, die ein Individuum macht; und diese werden während der gesamten Lebensspanne weiterverarbeitet – durch bewusstes Denken, aber auch im Traum.

Weil all dies in einem nachgebauten Computergehirn keine Rolle spielt, glaubt Gelernter nicht daran, was die KI-Enthusiasten prophezeien: dass die Unterschiede im »Denkvermögen« zwischen Mensch und Maschine schon bald verschwunden sein werden, dass der menschliche Geist, das Gedächtnis und jemandes Persönlichkeit bald zum Download bereitstehen werden und dass menschliche Gehirne Upgrades erhalten können. Gezeiten des Geistes ist nicht zuletzt ein Buch gegen die Technikgläubigkeit unserer Zeit. Auch wenn Gelernter nicht abstreitet, dass Maschinen leistungsfähiger werden, mehr und mehr Aufgaben übernehmen und daher immer bedeutender und unser Leben verändern werden, so ist es ihm wichtig zu betonen, dass man die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kennen muss. Aber erst wenn man den menschlichen Geist versteht, wird man genau einschätzen können, was Computer nicht können.

David Gelernters Gezeiten des Geistes ist ein schönes und sicherlich das poetischste Buch gegen das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine. Denn nicht nur Wissenschaftler werden zitiert, immer wieder bemüht Gelernter auch Passagen aus Werken großer Dichter, um seine Argumente zu unterstreichen. Weil es auch nicht immer der streng rationale, wie ein Computer arbeitende Geist ist, der zu Höchstleistungen imstande ist, wie die Geschichte des Neurowissenschaftlers Otto Loewi belegt: Ein entscheidender Einfall, der ihm den Nobelpreis einbrachte, kam ihm im Traum.