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Kai-Uwe Hellmann:
Fetische des Konsums. Studien zur Soziologie der Marke

ISBN: 3531169335
Erscheinungsjahr: 2010
Vs Verlag

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Ersatzreligion Konsum
        


 
enn es um die Sinn- und Lebensorientierung geht, dann hat Religion längst nicht mehr den Stellenwert vergangener Tage. Orientierung und Lebenssinn sucht der moderne Mensch heute anderswo. Marketing und Werbung machen sich diese Lücke zunutze und springen ein bei der Sinnsuche: sie bedienen Menschen mit Ideen und Werten, welche ehedem die Religion lieferte, sie helfen dabei, dem Leben eine Deutung, ein Ziel, einen Zusammenhang zu geben. Längst hat der Markt erkannt, dass Produkte für sich allein nicht mehr zu verkaufen sind. Was heute zählt, ist nicht der Gebrauchswert von Waren, sondern die Inszenierung, ein spiritueller Mehrwert, Erfahrungen und Geschichten. Konsumgüter versprechen heute Selbstfindung und Individualität. Das Marketing versteht es hervorragend, die Produkte zur bloßen Beigabe zu degradieren – was wir eigentlich kaufen ist die kultische und rituelle Aufladung der Produkte. Konsum wird auf diese Weise zur Ersatzreligion.

Konsumtempel sind demnach die Orte moderner Religiosität, in denen Marken wie Fetische behandelt werden. Schon 1921 schrieb der Philosoph Walter Benjamin: »Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, das heißt der Kapitalismus dient essenziell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben.« Aber auch Karl Marx hatte sich davor schon mit der Frage des Fetischcharakters der Ware befasst. Marx schreibt Waren etwas Mystisches, Geheimnisvolles zu, das sie dadurch erlangen, dass der Mensch durch seine Tätigkeit die von der Natur gegebenen Stoffe verändert. Ein Stück Holz wird etwa zum Tisch. Trotzdem der Tisch Holz bleibt, verwandelt er sich in etwas Übersinnliches, sobald er als Ware auftritt. Um den Fetischcharakter der Waren zu erklären, stellt Marx Vergleiche mit der religiösen Welt auf.

Diese Einsichten sind in der heutigen Konsumgesellschaft aktueller denn je. Heute sind es vor allem Marken, die Fetischcharakter tragen: Bestimmte Marken üben auf viele Menschen eine große Faszination aus, verbreiten eine Aura um sich, die viele in ihren Bann zieht. Mit dem reinen Gebrauchswert der Produkte hat das längst nichts mehr zu tun. Kai-Uwe Hellmann widmet sich in dem Band Fetische des Konsums aus soziologischer Sicht den Funktionen und Folgen, die Marken für Konsumenten haben. Die Aufsatzsammlung enthält eine Zusammenstellung von Texten zu den Themen Marke, Konsum, Werbung und Marketing, die sich allesamt um das Forschungsfeld »Soziologie der Marke« drehen.

An den Beginn stellt der Autor die Feststellung, dass sich das Markenwesen auf alle erdenklichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt hat. Nicht mehr bloß alltägliche Konsumgüter werden als Marken vermarktet, die Anwendbarkeit der Markenidee hat sich über das System der Wirtschaft im engeren Sinne hinaus erweitert: Auch Kultur, Sport, Städte und Regionen, gesellschaftliche Institutionen bedienen sich der Konzepte der Markenführung. Denn bald schon hat man festgestellt: Was die Markenidee im Konsumgüterbereich schafft, nämlich die Mobilisierung des Kunden, kann auch in anderen Bereichen gelingen.

Oft stellen wir heute fest, dass der Unterschied zwischen Produkt und Marke vollends verwischt. Dem hält Kai-Uwe Hellmann entgegen, dass Marke immer auch die Kommunikation mit dem Kunden beinhaltet und die Unterscheidung deswegen konstitutiv sei. Dabei ist eine Evolution im Markenwesen beobachtbar: Im Laufe der Zeit schob sich immer weiter die Produktkommunikation gegenüber dem jeweiligen Produkt selbst in den Vordergrund, dies geht teilweise so weit, dass »das Produkt gegenüber der Marke als völlig entbehrlich behauptet wird«. Dieser Vorgang wird dadurch begleitet, dass seit den 1990er Jahren Marken zunehmend mythisch-religiös aufgeladen werden. Marken religiös zu deuten, hält der Autor für völlig abwegig, denn »was ist trivialer als Marken?« Kai-Uwe Hellmann lässt es allerdings nicht dabei bewenden und liefert sogleich einen interessanten Erklärungsansatz: Weil das Management von Marken immer komplexer wird, bedient man sich gerne Konstrukten wie Mythos, Magie und Götter, da sie auf höhere Mächte bezogen und der Kontrolle durch Menschen entzogen sind. Beim Trend zur Sakralisierung von Marken handelt es sich daher »gewissermaßen um einen schieren Akt der Ratlosigkeit«.

Aber auch die Konsumenten tun ihr Übriges, damit Konsum zum Fetisch wird: Kai-Uwe Hellmann beschreibt das Aufkommen devotionaler Konsumenten und plädiert für eine stärkere Verschränkung von Fan- und Konsumforschung. Erst in jüngster Zeit befasst sich die Konsumforschung mit »fanatical consumers«, die wie Sport- oder Musikfans eine »längerfristige und leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen Objekt eingehen«.

Der Band schließt mit einem Blick auf Anti-Konsum-Aktionen und nimmt im Besonderen die Anti-Weihnachtsbewegung ins Visier und ist Beleg dafür, wie abwechslungsreich die Auswahl der Arbeiten rund um den Themenkomplex »Soziologie der Marke« gelungen ist. Der Autor entwirft ein kenntnisreiches Bild des modernen Konsums aus der Perspektive der Soziologie und regt zum Nachdenken über den heute herrschenden Markenfetischismus an.