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Fritz Böhle, G. Günter Voß, Günther Wachtler (Hrsg.):
Handbuch Arbeitssoziologie

ISBN: 353115432X
Erscheinungsjahr: 2010
Vs Verlag

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Arbeit im Wandel
        


 
eit den 1970er Jahren sehen sich die westlichen Industrienationen mit steigenden Arbeitslosenzahlen konfrontiert. Die fortschreitende Technologieentwicklung führte zu enormen Produktivitätssteigerungen bei immer weiter sinkendem Bedarf an menschlicher Arbeitskraft. Die Schere zwischen Beschäftigung und Wirtschaftswachstum öffnet sich immer weiter. Weil diese Entwicklung nicht mehr in den Griff zu bekommen scheint, hat sich der Ausspruch vom »Ende der Arbeitsgesellschaft« fast schon zum geflügelten Wort gemausert.

Die Soziologen Fritz Böhle, G. Günter Voß und Günther Wachtler wollen sich der Diagnose einer Krise der Arbeitsgesellschaft nicht anschließen, weil Arbeit immer noch tiefgreifend die Gesellschaft kennzeichnet. Auf knapp tausend Seiten versammeln die drei Herausgeber des Bandes Handbuch Arbeitssoziologie Beiträge, die den Schluss zulassen, dass die Vermutung von der Krise der Arbeitsgesellschaft voreilig war.

Zwar ist richtig, dass sich die Arbeitswelt gewandelt hat, von einer Krise muss aber noch lange nicht die Rede sein. Der Übergang zur postfordistischen Arbeitswelt führte einen Strukturwandel herbei, sodass sich auch die Soziologie der Arbeit in einer Umbruchsituation befindet, schlicht weil ihr Gegenstand im Umbruch ist. Eben dies berücksichtigt das Handbuch nicht nur, sondern stellt den Umbruch der Arbeitswelt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. So befassen sich die Beiträge etwa auch mit Arbeitsformen außerhalb des traditionellen industriellen Sektors bis hin zur Haus- und Familienarbeit, gehen auf die Genderfrage ein, thematisieren die Subjektivität des Arbeitenden und berücksichtigen den Wandel der arbeitsbezogenen Technologien.

All diese Veränderungen resultieren in einer Vervielfältigung von für die Arbeitssoziologie relevanten Themen und Konzepten. Die Abgrenzung zu anderen Fächern wird unscharf und folglich nimmt die multidisziplinäre Zusammenarbeit zu. Dennoch machen die Herausgeber einen Kern der Arbeitssoziologie aus, der sich ausdrückt durch beispielsweise folgende Merkmale: der Blick auf Arbeit als tätiges Handeln von Menschen und die Arbeitenden selbst als lebendige Personen und nicht als nur betrieblich funktionale »Human Ressources«; die systematische Berücksichtigung der gesellschaftlichen Einbindung der arbeitenden Menschen; die Analyse der gesellschaftlichen und individuellen Folgen veränderter Arbeitsformen. Auch einen kritischen Anspruch, der sich ausdrückt in politischer Positionierung und dem Aufzeigen von Missständen, zählen die Herausgeber zum Kern der Arbeitssoziologie.

Das Handbuch eröffnet mit Beiträgen zum allgemeinen Verständnis von »Arbeit« als vielgestaltiger menschlicher Tätigkeit und Grundlage von Gesellschaften. Zwar herrscht intuitiv ein mehr oder weniger klares Verständnis, was mit »Arbeit« gemeint sein soll, jedoch wird diese Frage in der Arbeitssoziologie kaum behandelt. G. Günter Voß macht sich in seinem Beitrag zunächst daran, den Begriff der Arbeit zu bestimmen und spannt einen Bogen vom physikalischen Arbeitsbegriff (Arbeit = Kraft x Weg) bis zu sprachgeschichtlichen Befunden.
Das gesellschaftliche Arbeitsverständnis hat sich allerdings historisch gewandelt. Was bei aller Veränderung aber immer galt, war ein ambivalentes Verhältnis des Menschen zur Arbeit: die Einschätzung von Arbeit schwankte stets zwischen mühevoller Last und Prozess menschlicher Selbstverwirklichung.
Um darzulegen, was »Arbeit« ausmacht, wird auch dem Strukturwandel der Arbeit im Tertiarisierungsprozess Beachtung geschenkt. Die Veränderungen der Produktionsprozesse und gesellschaftlichen Verhältnisse machen nicht halt vor Formen und Inhalten der Erwerbsarbeit. Vor allem die zunehmende Bedeutung des tertiären Sektors wirkt sich darauf aus, wie Arbeit heute organisiert und geleistet wird.

Ein weiterer Teil widmet sich einem breiten Spektrum von Fragestellungen rund um die Gestaltung des »Arbeitsprozesses«. Wie trägt die Technisierung von Arbeit zu ihrem Wandel bei? Welche Herrschafts- und Kontrollmechanismen werden wirksam? Schließlich wird auch das Augenmerk auf die betriebliche Lohn- und Leistungspolitik sowie die Gestaltung von Beschäftigungsverhältnissen gerichtet.

Eine Reihe von Beiträgen befasst sich mit den gesellschaftlichen Akteuren und Institutionen von Arbeit: Gefragt wird etwa nach einer angemessenen Thematisierung des Subjekts in der Arbeitssoziologie. Welche Belastungen und Risiken sowie Möglichkeiten der Humanisierung von Arbeit kennen wir? Wie kann eine gelungene »Balance« von Arbeit und Leben zum Erhalt von Arbeits- und Lebenskraft beitragen? Dem Einzelnen steht die betriebliche und überbetriebliche Organisation von Arbeit gegenüber: Untersucht wird etwa die Bedeutung von Netzwerken oder die Strukturen und Strategien multinationaler Unternehmen.

Mit dem Handbuch Arbeitssoziologie ist ein hervorragender Überblick über die soziologische Beschäftigung mit Arbeit auf der Höhe der Zeit gelungen. Die Auswahl der Beiträge trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Soziologie der Arbeit auf allen Ebenen soziologischer Analyse bewegt: beleuchtet werden gesamtgesellschaftliche Momente, organisatorische und institutionelle Bedingungen, unmittelbare soziale Zusammenhänge kooperativen Handelns, konkrete Personen und ihre Lebensbedingungen. Das Buch ist eine beachtliche Informationsquelle für alle, die sich für die vielfältigen Veränderungen in der Arbeitswelt interessieren. Auch vor dem ansehnlichen Umfang des Werks braucht niemand zurückzuschrecken: die Herausgeberlösung garantiert, dass die Beiträge auch unabhängig gelesen werden können.