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Ulrich Beck:
Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit

ISBN: 3518414259
Erscheinungsjahr: 2007
Suhrkamp

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Es geht ums Ganze

        


 
ls Ende April 1986 die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl die Menschen Mitteleuropas für ein paar Monate in Angst und Schrecken versetzte, lieferte Ulrich Beck noch im Herbst desselben Jahres den passenden Theoriebackground dazu. Sein Buch Risikogesellschaft machte den Soziologen über Nacht bekannt. Mit diesem Begriff brachte er das allgemeine Unbehagen, das seinerzeit die Bewohner westlicher Demokratien an Dynamiken der Modernisierung zweifeln ließ, zeitgeistig auf den Punkt. Seitdem ist es, wie der Autor in nicht uneitlem Selbstlob im Vorwort des neuen Buches erwähnt, in über dreißig Sprachen übersetzt.

Den Fachsoziologen mag das erstaunen. Zumal die Hauptthese der Risikogesellschaft damals mehr als schlicht war. Im Kern meint sie nämlich nichts anderes, als dass der Siegeszug der Moderne Katastrophen zeitigt, die sie selbst produziert. Anders als die Frankfurter Dialektiker der Aufklärung wollte Ulrich Beck deren Untergangsgesänge jedoch nicht mitmachen. Wie Jürgen Habermas pochte er auf die Kraft der Reflexion, darauf, dass (getreu der Devise Hölderlins) in der Gefahr das Rettende wachsen und die Kräfte des Lichts über die Kräfte des Dunkels obsiegen würden.

Global statt national
Allzu optimistisch scheint der Autor diese Macht aber nicht eingeschätzt zu haben. Sonst wäre zwanzig Jahre später wohl kaum ein Nachfolgeband nötig, der all jene Motive wieder aufnimmt, die damals noch, wie er sagt, unter einer nationalen Perspektive standen. Anders als Luhmann scheint er nicht mehr darauf zu vertrauen, dass Lösungen für die Probleme von Nebenfolgen der Modernisierung aus dem Kompetenzrahmen der Modernisierung selbst hervorgehen. Terrorismus, Marktgeschehen und Umweltzerstörung erzeugen Kapitalschäden, die die Grundlagen der Gesellschaft und das Selbstverständnis unseres Daseins untergraben. Durch singuläre Gegenmaßnahmen können sie jedenfalls nicht mehr bewältigt werden.

Die Wendung ins Fundamentale verwundert. Zwang nicht schon die Katastrophe in der Ukraine dazu, eine grenzüberschreitende Perspektive einzunehmen? Haben nicht schon vorher der Bericht des »Club of Rome« und der »Global 2000« Report die Meere sterben, Landschaften veröden und die Welt »friedlich in die Katastrophe« (Holger Strohm) stolpern sehen? Sei’s drum, seitdem die Mauer gefallen, die Spaltung Europas überwunden und die Welt zunehmend flach geworden ist, spitzt sich die kritische Lage, in der sich laut Beck die Weltgesellschaft befindet, weiter zu. Die Industrialisierung ist in einen »Prozess der Selbstauflösung« eingetreten. Der Traum immerwährender Prosperität ist ausgeträumt. Fortan geht es ums Ganze, um alles oder nichts.

Die desaströsen Folgen aller möglichen Risiken, Bedrohungen und Gefahren unter die globale Lupe zu nehmen und ihre Effekte neu zu bewerten und zu gewichten, ist daher unausweichlich. Vor allem seitdem der »Ausnahmefall«, wie Giorgio Agamben noch vor Beck vermutet, längst zum Normalfall moderner Gesellschaften geworden ist.

Auf den ersten Blick scheint ein solches Upgrade durchaus sinnvoll zu sein. Gleich auf den ersten Seiten schockt der Soziologe seine Leser mit einem Bündel neuer Gefahrenherde und Risikoquellen, denen sich die Weltgesellschaft fortan gegenübersieht. Terroristenanschläge rangieren neben Genscreening, der Untergang Londons und Tokios durch meterhohe Flutwellen neben Glaubwürdigkeitskrisen der Banken.

Damit ist ein Tableau möglicher »Weltrisiken« erstellt, das dem pädagogischen Ziel dient, den Leser aus seiner Lethargie zu reißen und ihn für mögliche Krisenszenarien zu sensibilisieren. Ob dies dem Soziologen gelingt, scheint fraglich. Zu sehr sind Leser und Zuschauer mittlerweile an solche Horrorgemälde gewöhnt. Dank medialer Berichterstattung ist der Ernstfall längst eingetreten. Tagtäglich werden sie damit aufgeschreckt und konfrontiert. Gleich, ob es sich um Bombenattentate auf Vorortzüge oder Bahnhöfe handelt, um Tsunamis, die Touristen- und Inselparadiese zerstören, oder um Wirbelstürme, die Millionenstädte verwüsten – immer sitzt der Beobachter mittendrin oder in der ersten Reihe.

Informiert, wie er ist, hat er mit den Katastrophen des Lebens zu leben gelernt. Er weiß, dass es ihn jederzeit, hier und an diesem Ort treffen kann oder könnte. Wäre es anders, würde er wohl kaum ein Flugzeug besteigen, sich ins Auto setzen oder im Haushalt Gardinen aufhängen. Die Medien, deren aktive Rolle Beck bei der Risikoheraufbeschwörung merkwürdig unerörtert lässt, machen ihm bewusst, dass eine politische Krise in einem erdölfördernden Land, der Anschlag auf einen Kronprinzen oder der Crash einer Terminbörse unmittelbar Auswirkungen auf seinen Alltag haben kann.

Alle in einem Boot?
Das weiß natürlich auch Beck. Letztlich will er damit nur sagen, dass wir alle, gleich, ob reich oder alt, arm oder schwarz, weiß oder religiös, im gleichen Boot sitzen. Katastrophen kennen nationale, ethnische, ideologische oder sonstige Grenzen. Dank weltweiter Verflechtung und Vernetzung ist der Planet Erde zur Arche Noah geschrumpft. Die Folgen der ökologischen Krise, des fanatischen Terrors und der Volatibilität der internationalen Finanzmärkte treffen ausnahmslos. Die Risikofixierung, glaubt Beck, wirkt gemeinschaftsstiftend. Sie zwingt uns, die kulturell Anderen in den Blick zu nehmen.

Andererseits, so möchte man dem Soziologen zurufen, trifft es aber nicht alle gleich hart und zu jeder Zeit. Der Wirbelsturm Katrina verwüstetete vor allem die küstennahen Behausungen der schwarzen Ghetto-Bewohner. Und auch der Klimawandel wird, so er denn überhaupt stattfindet und jene Ausmaße annimmt wie prognostiziert, weder London noch Tokio in dem Ausmaß heimsuchen wie er jene Gegenden, die schon jetzt zu den ärmsten und benachteiligtesten der Erde gehören, die Himalaya-Region, die Sahelzone und die südpazifische Inselwelt treffen wird.

Ähnliches könnte man auch über die Kriegsgefahren, Kriegsfolgen oder den Zusammenbruch von Börsen sagen. Das Risiko, davon direkt getroffen zu werden, steigt erst und vor allem enorm entlang der hinlänglich bekannten Freundschafts-, Armuts- und Luxusgrenzen. Doch mit solchen Widersprüchen und sozialen Verwerfungen hält sich der Soziologe nicht lange auf. Ihm geht es um die Großperspektive, darum, eine bislang für die »Apokalypse blinde Soziologie« zu alarmieren und Krisen-Reaktions-Kräfte zur Krisenabwehr zu stimulieren. Das Stilmittel der Emotionalisierung dient deshalb noch einem anderen Zweck, nämlich dem der Politisierung.

Risiko ist bekanntlich nicht gleichzusetzen mit dem Eintreten einer Katastrophe. Risiken sind immer zukünftige Ereignisse, die einen Zustand vergegenwärtigen, den es noch oder so noch nicht gibt. Beck glaubt, dass globale Risiken sich einer wissenschaftlichen Herangehensweise oder methodischen Berechnung entziehen. In diesen Bereichen regiert das Nichtwissen, das auch durch weitere Expertisen oder Expertenmeinungen nicht minimiert werden kann.

Um diese Lücke zwischen aktueller und möglicher Katastrophe zu schließen, braucht es Risikowahrnehmungen. Dies soll der Begriff der »Inszenierung« leisten. Ihre Rolle wird vom Soziologen durchweg positiv beurteilt. Beck ist der wahnwitzigen Überzeugung, dass durch Inszenierungen Zukünfte gegenwärtig werden. Nur durch Überzeichnungen werden Bedrohungen für politische Entscheidungen zugänglich und möglicherweise abwendbar.

Alle werden Kosmopoliten
Kein Wunder, dass Al Gores Bilderopus auf das uneingeschränkte Wohlgefallen des Soziologen trifft. Erst durch derartige »Realitätsinszenierungen des Weltrisikos« wird Bewusstsein für die Unteilbarkeit globaler Risiken geschaffen. Aus diesem Mehrwert lassen sich laut Beck Machtchancen, neue Institutionen und Kooperationsmöglichkeiten im transnationalen Rahmen gewinnen. Die Einsicht in die »Weltrisikogesellschaft« könnte der Politik neues Prestige und neue Dignität verleihen und ihr eine neue Sinnressource an die Hand geben. Fortan könnte sie sich für weltbürgerliche Absichten, Ziele und Verantwortung stark machen und die Menschheit vor sich selbst retten.

Was Beck hier reitet, ist sein bekanntes Steckenpferd einer »Weltbürgergesellschaft«, die von transnationalen Institutionen getragen wird, die sich mit Nichtregierungsorganisationen zwecks Gefahrenabwehr und Durchsetzung guter Absichten gegen gewählte Regierungen verbünden. Zur Diskussion steht ein »Zwangskosmopolitismus«, der die allseits gefährdete Menschheit trotz aller Unterschiede auf eine gemeinsame Perspektive festlegt. So wird aus dem Zusammenprall der Kulturen ein Zusammmenprall von Risikokulturen, und aus dem drohenden Weltbürgerkrieg eine neue »Weltinnenpolitik«, die kein Außen kennt und kein »Denken des Außen« mehr zulässt.

Wie jedoch diese neue »Weltbürgergesellschaft« beschaffen ist, wer darüber befindet und wie sie weltweit durchgesetzt werden soll, diese Antwort bleibt Beck erneut schuldig. Weder wird sie empirisch belegt noch politisch begründet, allenfalls herbeigeredet und akklamativ behauptet. Das ist auch naheliegend. Washington wird sich vom Soziologen Beck kaum die Weltmacht streitig machen lassen. Zumal man sich in Washington, Brüssel oder Peking noch nicht einmal einig ist, wie man die Klimaprobleme zu bewerten hat. Und schon über die Frage, welche globale Gefahr die drängendere und wichtigere ist, die schmutzige Bombe in Händen von Terroristen oder ein Grad mehr auf der Temperaturskala, gibt es politischen Streit.

Wie überhaupt man bei Beck wenig Belege für die drohenden Katastrophen findet. Statt detaillierter Analysen und Faktenwissen liefert der Soziologe Vermutungen und Szenarien, an die der Leser glauben soll oder muss, wenn er das Schlimmstmögliche noch verhindern will. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass hier die Umkehrung des bekannten Hölderlin-Spruches gilt, wonach die Gefahr dort wächst, wo uns Rettung versprochen wird.

Beck erweist sich erneut als guter Geschichtenerzähler, der Erklärungen und tiefer gehende Analysen durch bloße Behauptungen und metaphysische Spekulation ersetzt und tatsächlich glaubt, explizites Nichtwissen durch die Inszenierung von Horrorspektakeln überholen zu können. Das ist, bei aller Wertschätzung für seine unbezweifelbar narrativen Fähigkeiten, ein bisschen wenig für einen Soziologen, der uns den Ernst der Lage nahe legen und uns zum Handeln zwingen will.