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Management 2020: Es muss einfach einfacher werden

Organisationen müssen einfacher, transparenter und schneller werden. Die überholten Organisationen anhaftende Trägheit durch nahezu unüberschaubare Komplexität, vermeidbare Konflikte und Tool-Überfrachtung passt nicht mehr in die heutige Zeit. Insbesondere die weitläufig verbreitete Matrixorganisation stammt aus einer Zeit, als die Zukunft noch überschaubarer, die Weltwirtschaft unbedeutender, das Tempo der Veränderungen gemäßigter und der Wettbewerb beherrschbarer waren.

        


 
eutlich mehr als die Hälfte aller in Deutschland ansässigen Firmen haben eine Matrixorganisation. Es handelt sich dabei um ein Strukturprinzip, nach dem Zuständigkeit und Verantwortlichkeit aufgebaut werden. Die Leitungsfunktion ist auf zwei voneinander unabhängige, gleichberechtigte Dimensionen (z. B. Verrichtung und Produkte) verteilt. Die Mitarbeiter berichten an zwei gleichrangige Weisungsbeziehungen, z. B. die Leiter der verrichtungsbezogenen Abteilungen Beschaffung, Produktion und Absatz und gleichzeitig an die objektbezogenen Produktmanager. Eine Matrixorganisation ist somit eine Mehrlinienorganisation. Matrix bedeutet: Leben im ständigen Dilemma, mit zähen Entscheidungsprozessen, in einer von Konfliktstoff geladenen Umgebung. Einige Firmen haben versucht, die Matrixorganisation durch ein firmeneigenes Facelift geschmeidiger zu machen. Wirklich überzeugend im Sinne der Zukunftstauglichkeit sind die dabei herausgekommenen Strukturen nicht. Das Problem wurzelt darin, dass auch noch so optimierten Strukturen Steifheit anhaftet.

Gespräche mit Vorständen⁄Geschäftsführern zeigen dasselbe Ergebnis wie die Austausche mit der zweiten Führungsebene: Die typische Organisation von heute hat Fett angesetzt und ist träge geworden. Das wird nicht nur durch die Struktur an sich, sondern mehr noch durch die der Organisation anhaftenden Tools deutlich. Als Beispiel mag die Balanced Scorecard dienen. Wenn ein Vorstandsmitglied eines Konzerns aus seinem Sideboard ein DIN-A-3 Blatt mit gerade noch lesbarer Computerschrift zieht, um mir die kaum noch zu durchdringenden Vorschriften, Regeln, Normen mit der Bemerkung »Wer soll da noch durchblicken?« vorzulegen, dann wird drastisch deutlich, was geändert werden muss. Wenn im selben Konzern seit Jahren die ungelösten Probleme – nicht neue, alte! – nicht weniger werden, so zeigt sich das Problem an seiner Quelle. Und diese Quelle ist die Organisation, die sich den Menschen zum Untertan macht. Dabei muss es umgekehrt sein. Nicht der Mensch muss der Organisation dienen. Die Organisation muss dem Menschen dienen. Davon haben wir uns im Laufe der Jahre immer weiter entfernt. Die Matrix ist zum Albtraum zwischen zwei Dimensionen geworden.

Bei der Organisationsgestaltung werden wir im Denken steif
Unternehmen haben zudem Mammut-Zielbilder, die oft in Teilen bereits hinfällig geworden sind, bevor sie von allen Adressaten gelesen und verstanden wurden. Das ist so, weil die Ereignisse an den Märkten nicht stehen bleiben, nur weil einer der Marktteilnehmer gerade ein neues Zielbild verfasst hat. Man könnte es auch so nennen: Wir haben alles getan, um uns zu beruhigen, aber genau das kann uns nicht beruhigen.

Stellen- oder Funktionsbeschreibungen sind auch so ein Relikt aus alter Zeit. Dort steht oftmals mehr drin als nötig, aber nicht unbedingt das, was wichtig wäre: die Festlegung der Verantwortung. Das Wesentliche ist oftmals unter nichtssagende Allgemeinplätze gemischt. Was soll »Imagepflege der Firma und Branche« aussagen?

Wie soll das gehen, »Imagepflege der Branche«? »Korrekte Betriebsabläufe« und »Auftragserfüllung« sind banale Selbstverständlichkeiten, ebenso wie bei einer Führungskraft »Führung, Motivation und Instruktion der unterstellten Mitarbeiter« in etwa den Wert haben, als würde man in die Stellenbeschreibung einer Führungskraft »Mitarbeiter begrüßen und verabschieden« schreiben. Mehrfachnennungen und Selbstverständlichkeiten überfüllen zusätzlich solche Papiere.

Dabei bleibt übersehen, dass aus solchen Papieren nur das in Handlung umgesetzt wird, was der sogenannte Stelleninhaber im Kopf hat. Alles andere sind Intuitivaktionen des Handelnden, die durch den gesunden Menschenverstand genährt werden. Wenn einige Theorievertreter oder Praxisanwender trotzdem behaupten, dass man Stellenbeschreibungen brauche, so halte ich dagegen: Rollenbeschreibungen mit eindeutiger Klärung der Verantwortung des Rollenträgers und seiner Einordnung in das Netzwerk: ja. Funktions- oder Stellenbeschreibungen mit Auflistung aller möglichen Aufgaben: nein. Nicht einmal Kindern hängt man Bilder an den Waschtischspiegel, die aufzeigen, wie man Zähne putzen soll. Man zeigt es ihnen und lässt es sie danach eigenständig tun. Später, im Erwachsenenalter, gehen wir in den Betrieben her und entmündigen die zum verantwortlichen Denken und Handeln erzogenen Menschen, indem wir ihnen filigranste Aufgabenpakete in die Schublade geben, anstatt den Rahmen ihrer Verantwortung abzustecken.

Wir verlieren unsere Zeit im Mikromanagement
Führung per Aufgabe? Dem Mitarbeiter – oder gar der Führungskraft – sagen, was zu tun ist? Das gehört ein für alle Mal ausgemerzt. Damit kann man vielleicht Hilfskräften kommen, die simple Arbeiten zu verrichten haben. Führung per Ziel? Schon besser, aber heute nicht mehr gut genug. Verändert sich die Situation, können die Ziele nicht einfach unangetastet bleiben. Bleiben sie aber in aller Regel, weil man unterjährig nicht erneut eine Zielvereinbarungsrunde drehen will, die man in manchen Branchen – wenn schon – dann monatlich drehen müsste.

Die klassische Matrixorganisation einschließlich ihrer zahlreichen Tools funktioniert nur dort, wo sie zwar auf dem Papier verbrieft ist, aber in Wirklichkeit nicht gelebt wird. Halten wir fest: Das Besondere einer Matrix ist die angebliche Entscheidungssicherheit dadurch, dass zwei Linien aufeinander treffen. Zum einen die hierarchische Linie von oben nach unten, zum anderen die fachliche Linie von der Seite. Die Begründer der Matrix waren offenbar der Auffassung, dass man Verantwortung teilen kann und so mehr Verantwortung entstehen würde. Das war schon zu Beginn der Matrix ein Irrtum und hat sich mehrfach als solcher bewiesen. Verantwortung ist eine Primzahl, die sich nicht ohne Brüche teilen lässt. Die Erfinder des Automobils haben das sehr früh richtig erkannt, indem sie nur einen Arbeitsplatz für einen Fahrer vorgesehen haben. Man möge sich vorstellen was passiert, wenn man das Lenken, Gas geben und Bremsen funktional voneinander trennt und auf zwei Personen überträgt. In der Matrix passiert das täglich. Mit einem einfachen Ergebnis: Entweder es entscheidet doch einer und der zweite tut so, als hätte er mitentschieden. Das funktioniert, ist aber keine Matrix.

Oder man legt die Sache auf Eis. Das funktioniert, wenn man auf Taten verzichten kann. Oder es kracht gewaltig. Damit ist das Handeln in der Matrix ähnlich, wie es beim Autofahren wäre mit der Verantwortungsteilung von Lenkung und Motorsteuerung. Nur, dass man in Matrixorganisation en die Beulen besser verstecken kann als beim Auto.

Haben wir Angst vor dem Einfachen?
Wir müssen nicht mit dem Staubwedel durch die Organisationen. Auch Restaurierungsarbeiten können wir uns ersparen. Selbst das im Hochbau gängige Entkernen schafft nicht die dringend benötigten Lösungen in Richtung Einfachheit, Überschaubarkeit, Geschwindigkeit von Entscheidungen und Prozessen. Abreißen und neu bauen! So und nicht anders sieht die Lösung aus, die auf dem Fundament von Denkbeweglichkeit den scheinbaren Widerspruch von Statik und Optik auflöst.

Das heißt: nicht modifizierte Organisationsstrukturen schaffen, sondern in systemischen Organisationen denken und diese einrichten. So einfach, dass sie für jeden überschaubar, begreifbar und lebenswert werden. Das ist mit einem großen Einmalaufwand verbunden, der den Mitgliedern der Organisation von der Fachkraft bis zum Topmanager einiges an Denkbeweglichkeit und Umstellungsbereitschaft abverlangt. Der Vorteil einer solchen radikalen Umbildung stellt sich schnell ein. Denn systemische Organisationen sind dynamische Organisationen, die Prozesse beschleunigen, anstatt sie auszubremsen; die das unternehmerische Risiko überschaubarer machen, anstatt mangels Übersichtlichkeit zu Fehlentscheidungen oder zur Entscheidungsvermeidung zu verführen; die Verantwortung in den Mittelpunkt stellen, anstatt die Anzahl der Absicherungen ins Grenzenlose zu treiben. Wir brauchen mehr gelebte Spontaneität in fluiden Systemen, die sich schnell an jeweils neue Herausforderungen anpassen lassen. Und »jeweils« kommt zukünftig häufiger, als uns lieb sein kann.

Der Weg von der Organisationsstruktur hin zum Organisationssystem eröffnet eine Welt maximaler Anpassungsbeweglichkeit in einer fließenden Organisation. Keine steifen Stellenbeschreibungen, sondern kurzfristig anpassbare Rollenskripte. Keine Aufgabendelegation oder Zielvereinbarungen, sondern Netzwerke mit Rollenverantwortlichen, die aus der Identifikation mit ihrer Verantwortung die richtigen Konsequenzen ziehen. Keine Protokolle oder Skripte in Prosa, sondern kompakt formuliert in Stichworten. Anleitung zu mutigem Entscheiden sowie klugem und schnellem Umsetzen. Strikte Trennung von Management und Leadership und ebenso von strategischem Denken und operativem Handeln.