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Wie das »Web der Menschen« die Geschäftswelt verändert
Das Social Web und das mobile Internet haben schon längst begonnen, die Art und Weise, wie wir Dinge tun und miteinander Geschäfte machen, für immer zu verändern. Und selbst, wenn es im ersten Moment nicht den Anschein hat: Die Auswirkungen sind gewaltig. Sie kommen einem Paradigmenwechsel gleich.

        


 
in großer Paradigmenwechsel fand mit Aufkommen des Internet statt. Dabei markieren die 1980er und 1990er Jahre das Ende der Industriegesellschaft und den Beginn der Wissensgesellschaft. In einer Wissensgesellschaft war und ist derjenige am erfolgreichsten, der die besten Ideen hat. In einer Netzwerkgesellschaft hingegen kommt am weitesten, wer die besten Ideen hat plus die meisten Fans besitzt plus die Kraft der Networks zu nutzen weiß.

In einem weiteren Paradigmenwechsel stecken wir also gerade mittendrin. Abgegrenzt durch die Begriffe Web 1.0 und Web 2.0 kennzeichnet er das Erwachen der Netzwerkgesellschaft. Das wahre Web 3.0, das bei Wikipedia als »Semantisches Web« postuliert wird und die Bedeutung von Informationen für Computer verwertbar macht, ist für mich hingegen das mobile Web. Siri, die Stimme aus dem iPhone, ist, auch wenn noch nicht ganz perfekt, ein Vorbote dieser neuen Zeit, die gerade startet.

Wie alles begann: Das Web 1.0
Das Web 1.0 beschreibt die Anfänge der kommerziellen Nutzung des World Wide Web, wobei die Kommunikation seinerzeit einseitig war und im Wesentlichen über Webseiten lief. Dort redeten die Unternehmen, die Kunden hörten brav zu und kauften dann. Heute ist es genau umgekehrt. Die Kunden kaufen, reden dann darüber und bringen so Dritte zum Handeln. Jetzt sind es die Unternehmen, die zuhören sollten. Denn die Kommunikationshoheit ist inzwischen zu den Kunden gewandert. Diese sind die neuen Vermarkter. Soziale Netzwerke sind die Schlagzahlgeber und Suchmaschinen sind das neue Weltgewissen.

Das Web 1.0 hingegen war ein Web der Technokraten. Und es gehörte den Unternehmen. Es stand für Produkte und Handel, für territoriale Gelüste und Machtexzesse, für Monologe und Topdown-Hierarchien. Das Vorgehen war analytisch, unterkühlt strukturiert, in allem einer selbstzentrierten Linie folgend. Von Wertschöpfungsketten und dem Abgreifen von Zahlungsbereitschaften sprach man gern. Und Kunden wurden als »Homo Oeconomicus«, also als rein rational handelnde Kreaturen gesehen.

Doch Menschen sind in Wahrheit soziale Wesen – und durch und durch emotional. Schon immer haben sie die »Macht der Vielen« genutzt und sich in Netzwerken zusammengeschlossen: aus Nomaden wurden Siedler, aus Siedlern Stämme und Völker. Handwerker bildeten Zünfte, Interessensgleiche schlossen sich in Verbänden, Vereinen und Genossenschaften zusammen. Doch erst mit Entstehen des Social Web konnten Netzwerke von einer Größe entstehen, die die ganze Welt zusammenführen.

Web 2.0: Die Menschlichkeit rückt wieder nach vorn
Das Web 2.0 postuliert, in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten, eine neue Generation des Internet und grenzt es von früheren Nutzungsarten ab. Der Begriff wurde Ende 2005 von Buchautor und Verlagsinhaber Tim O'Reilly populär gemacht. Das Wesen des Web 2.0 ist geprägt durch Meinungsaustausch, einen hohen Kommunikationsgrad und einen ungehinderten Informationsfluss. Bei hoher Aktivitätsdichte findet eine lockere Vernetzung in alle möglichen Richtungen statt.

So markiert das Web 2.0 die Abberufung des Von-oben-nach-unten-Monologs und den unumkehrbaren Beginn eines gleichrangigen Kreuz-und-quer-Dialogs zwischen Usern sowie mit Unternehmen und ihren Anspruchsgruppen. Das Ganze hat Tempo und ist quirlig, komplex und konfus. Aus solchem Chaos wird ständig Neues geboren. Kreativität, Offenheit und Schnelligkeit sind die entscheidenden Parameter dafür.

Das Web 2.0 gehört den Menschen. Es steht für Gespräche und gemeinsames Handeln, für Teilen und Gleichrangigkeit, für transparente Beziehungen und authentische Interaktion. Bezeichnenderweise wurde der technokratisch anmutende Begriff Web 2.0 auch recht flott in den Hintergrund gedrängt. Heute sprechen wir von Social Media. Deren Foren, Marktplätze und Portale haben nicht nur eine neuartige Infrastruktur bereitgestellt, sondern auch die Basis für einen Wertewandel geschaffen, der den Beginn einer neuen Gesellschaftsphilosophie markiert.

Das Web 3.0: Die mobile Revolution
Während das Web 1.0 für »Hunting«, also Jagen stand, steht das Web 2.0 für »Farming«, also die Hege und Pflege von Beziehungen. Nun steht die durchgängige Verschmelzung von Online und Offline bevor. Mixed Reality wird dies auch genannt. In dieser neuen Realität des Web 3.0 fahren Unternehmen über ethisch korrektes Handeln, beobachtendes Zuhören, motivierendes Einbinden und intelligentes Verknüpfen schließlich die Netzwerk-Ernte ein. Flexibilität, Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit sind die wesentlichen Treiber dafür.

Früher mussten wir, um unsere Erfahrungen in die Welt hinauszuschicken, erst nach Haus gehen und warten, bis der Rechner hochgefahren war. Heute wird das, was wir erleben, wenn wir es wollen, mithilfe von internetfähigen Endgeräten postwendend mit der ganzen Welt geteilt. Unternehmen müssen nun anklopfen, bevor sie mit ihren Botschaften hereingelassen werden. So darf »Mobile Marketing« mit Fug und Recht als die Herausforderung der nächsten Jahre gelten. Und der mobile Surfer wird zur größten Zielgruppe aller Zeiten.

Egal, ob es dabei um Markeninszenierung, Loyalisierung oder um reinen Abverkauf geht: Produkte, Webseiten und letztlich das komplette Marketing smartphonefähig zu machen, das ist in Zukunft ein Muss. Und mehr noch: Mit seinen Angeboten unter den ersten drei Treffern bei mobilen Suchanfragen zu landen, damit Scrollen und Blättern nicht nötig sind, das wird schon bald ganz ausschlaggebend für den Geschäftserfolg sein.

Social everything: Die ganze Welt wird sozial
Mehr und mehr Fachleute schlagen vor, sich von den Punkt-Null-Begriffen nun zu lösen. Die gemeinsame Klammer zwischen 2.0 und 3.0 heißt Social Web. Es hat schon längst damit begonnen, eine universelle Ethik zu begründen. Dabei umfasst »social« ein ganzes Wertebündel rund um die Begriffe gesellschaftlich, gesellig, sozial.

Im Social Web bleibt (fast) nichts mehr verborgen. So wird auch das Böse eingedämmt. Denn Öffentlichkeit erzeugt immer sozialen Druck. Solcher Druck zwingt – wie Untersuchungen aus der Spieltheorie zeigen – zu fairem Verhalten. Verschlossene Türen gibt es in einer Netzwerkgesellschaft nicht mehr. Mauscheln in Hinterzimmern lässt man besser sein. Denn Irgendeiner guckt immer durchs Schlüsselloch. Und im Web erzählt er der Welt, was er dort sieht.

So stehen wir über geographische und kulturelle Grenzen hinweg nicht nur vor einem Offline-Online-Verschmelzungsprozess, sondern (hoffentlich) auch vor einem solchen, der gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit tatsächlich wahr werden lässt. Ein One-World-Feeling liegt in der Luft. Das schon so lang vorhergesagte globale Dorf ist endlich gebaut. Jetzt müssen wir es nur noch gemütlich für alle machen.

Auf dem Weg in die »Augmented World«
Und wie geht es weiter in unserer Businesswelt? Spätestens übermorgen ist alles mit allem vernetzt. Und wir Menschen richten uns in einer »Augmented Reality« (Paul Milgram) ein. „Im Gegensatz zur virtuellen Realität (VR), bei welcher der Benutzer komplett in eine virtuelle Welt eintaucht, steht bei der erweiterten Realität die Darstellung zusätzlicher Informationen im Vordergrund“, schreibt Trendforscher Peter Wippermann.

Eine »Augmented Reality» (AR) ist also eine computergestützte Ausweitung der wahrgenommenen Realität. Sie entsteht durch Informationsschichten, die sich aus virtuellen Daten speisen und auf Abruf in die Wirklichkeit einblenden lassen. Wenn Sie etwa Ihr AR-ausgerüstetes Handy vor den Eiffelturm halten, zeigt es Ihnen zusätzliche Informationen zu diesem Pariser Wahrzeichen an. Heute benutzen wir vor allem die Displays internetfähiger Mobilgeräte dafür. Doch schon bald wird diese Technologie in Brillen und irgendwann sogar in Kontaktlinsen eingebaut sein.

Wie auch immer es kommt: Augmented Reality ist mehr als eine bloße Technologie. Und mehr als eine simple Verschmelzung von online und offline. Augmented Reality ist für mich eine faszinierende Zukunftsvision, in der »augmentierte« Szenarien unser berufliches und privates Leben noch mal reichlich verändern werden. »Augmented Worlds«, wie die Fachleute sie nennen, werden um 2016 wohl Wirklichkeit sein.

Ein Blick zurück in Zorn
Ganz früher, der Taylorismus lässt grüßen, da funktionierten Unternehmen wie voneinander abgeschottete Silos. Patriarchalisches Führen, Bereichsegoismen, sinnentleerte Arbeitsteilung, vordefinierte Standards und ausgefeilte Kontrollmechanismen waren die Norm. Ober stach Unter. Der »Dienstweg« war heilig – über alle Instanzen hinweg. Abarbeiter erfüllten ohne Murren und prozesskonform die ihnen zugewiesenen Aufgaben.

Im stillen Kämmerlein erfanden Ingenieure Produkte, die möglichst rationell zu fertigen waren. Die Kommunikationsabteilung machte die Werbung dafür, und der Vertrieb verkaufte sie dann. Massenproduktion, Push-Marketing (Reklamegeschrei in den Markt hinein) und Hardselling (»Anhauen, umhauen, abhauen«) waren die Norm. Dementsprechend ging es auch an den einzelnen Kundenkontaktpunkten zu: Ich Hersteller – Du kaufen.

Nur früher das alles? Der Marketing- & Vertriebs-Excellence Monitor 2010 ergab, dass gerade mal sechs Prozent der befragten Unternehmen eine gemeinsame Marketing- und Vertriebsplanung haben. »Wir wissen alles über das Auto, aber fast nichts über den, der es fährt«, sagte mir neulich eine Dame aus dem Aftersales einer deutschen Premiumautomarke. Weitere Ausführungen will ich uns hier mal ersparen. Nur so viel noch: In den Teppichetagen tummeln sich nach wie vor Graumelierte, die nicht mal E-Mails schreiben können. Wie wollen die ihre Unternehmen in die Zukunft führen?

Verirrt in der Matrix
Mit Aufkommen des Internets wurden die Dinge komplexer – und das Miteinander vernetzter. Matrix-Organisationen mit horizontal-diagonal-vertikalen Strukturen entstanden. Kluge Hersteller begannen, ihre Produkte mit passenden Dienstleistungskonzepten aufzumöbeln. Service-Strategien wurden geboren, und die Kundenorientierung rückte nach vorn. Customer Relationship Management (CRM) kam in Mode, doch es war meistens IT-getrieben und deshalb ganz »kalt«. Kunden wurden abgefertigt und verwaltet. Nur: Menschen sind kein bürokratischer Vorgang. Und Menschen sind auch keine Datenpakete.

Heute treten gute Marken als aktive Dialogpartner auf. In der Matrix-Zeit hingegen betrieben sie Einweg-Kommunikation: Mit hohem Werbedruck wurden Botschaften verbreitet (»Kaufen! Sie! Jetzt!«) und schönfärberische Hochglanzbroschüren produziert. Emsige Presseabteilungen schickten Lobeshymnen in die Welt hinaus, um am Image zu basteln. Zudem wurden Fesselspiele erfunden: Kundenbindungsprogramme nannte man das.

Den Mitarbeitern wurden protzige Leitbilder an die Wand genagelt – für den schönen Schein. In Wirklichkeit gaben Zahlenakrobaten und Profit-Center die Marschrichtung vor. Das »Fußvolk« der Mitarbeiter wurde als Humankapital postuliert. Die Pest der Shareholder-Value-Denke nahm das Management in den Griff: Turbokapitalismus und Maximalrenditen im Drei-Monats-Takt. Tja, in einer Matrix kann man sich ganz schön verlaufen. Denn beim Spiel mit den Bauklötzen der Macht haben sich viele verzockt. Kollateralschaden inbegriffen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 markiert das Ende dieser Zeit. War ganz schön eng, doch wir sind, so scheint’s, noch mal davongekommen.

Der Blick nach vorn in unsere neue Businesswelt
Vor allem der Turbo-Boom der Smartphones, Tablets und Apps verändert mit atemberaubender Geschwindigkeit die Art und Weise, wie wir Dinge tun. Sie sind die Booster in das Universum einer neuen Businesswelt. Aus dem Topdown-Web wurde so das Social Web. Aus Shareholder Value wurde Shared Value (Michael Porter). Aus der »Weisheit der Vielen« (James Surowiecki) ist eine »Macht der Vielen« und aus der »Weisheit der Freunde« (Dan Rose) eine weltumspannende »Macht der Freunde« geworden. An dieser neuen Konstellation kommt nun wirklich kein einziges Unternehmen mehr vorbei.

Manchen kommt das wie ein kleines Wunder vor. Und denen, die im Dienste des Shareholder-Value-Wahns ihre Seele verkauften, wie eine späte Erlösung: Das Management in den Unternehmen übernimmt endlich (!) Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt. Corporate Social Responsibility nennt man das nun. Bleibt zu hoffen, dass es den maßgeblich Beteiligten ernst ist mit dieser Haltung, und nicht nur moderner Ablasshandel und somit »just lipstick on a pig« (Lippenstift auf einem Schwein).

Die Chancen stehen gut, denn die maßgeblichen Medien ziehen – zumindest derzeit noch – mit. Und die Brutstätten der zahlenfixierten Web-1.0-Zeit, die Business-Schools und Elite-Universitäten mit ihren autistischen Ökonomiemodellen, adaptieren gerade kleinlaut ihre Studienpläne: Wirtschaftsethik kommt ins Programm. Viel wird entstaubt und manch irrige Managementlehre (aus Amerika) wird endlich verfeuert, denn selbst für die Mottenkiste taugt sie nicht mehr. Was sich nun noch dringend ändern muss: diese verschroben-gestrige Hohepriester-Sprache in Master- und Doktorarbeiten. Warum? Damit die Manager menschlich reden lernen im Business – und dann endlich auch verstanden werden können.

Der neue Blickwinkel: Outside-in
Heute werden Unternehmen von außen nach innen gebaut. Die entscheidenden Impulse kommen von draußen. Nicht mehr topdown und inside-out, sondern outside-in heißt jetzt der Kurs. Wer dabei schneller und besser mit anderen zusammenarbeitet, der wird in Zukunft das Rennen machen. Produkte werden heute mithilfe der Kunden entwickelt und Marken mithilfe der Kunden geführt. Mitmach-Marketing wird dies auch genannt.

Dazu müssen Unternehmen das Loslassen lernen. Die Führungscrew ist längst nicht mehr Chef im Ring. Ihre früheren »Stärken« – nämlich Botschaften verteilen und Monologe zersteuben – sind zunehmend wirkungslos. Es sei denn, sie verlernen, die Sprache der Werber zu sprechen. Nur so haben sie eine Chance, mitzureden und die öffentliche Wahrnehmung maßgeblich mitzugestalten. Es sind die sozialen Netzwerke und die meinungsstarken Expertenkunden, die in Zukunft als Stimmungsmacher und Referenzgeber die Reputation eines Anbieters prägen.

So heißt es für alle Leistungsbereiche: Die Selbstzentrierung muss weichen, stattdessen rückt die Beziehungsarbeit an den Kundenkontaktpunkten nach vor. Customer first! Nicht das eigene Angebot, sondern der Kunde ist nunmehr der Held. Das Produkt selbst ist ja nichts als ein Kostenblock. So ist etwa ein Auto in dem Moment am teuersten, in dem es vom Montageband rollt. Sein Wert entsteht erst durch all die Erlebnisse, die ein Nutzer damit später dann haben wird. In den Vordergrund gehört also nicht, was ein Produkt alles kann, sondern das, was es für den Menschen tut, der es erwirbt. Denn Menschen wollen sich glücklich kaufen.  

Mehr dazu erfahren Sie in Anne M. Schüllers Buch Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute.
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