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Jedem seine eigene Fabrik
Steht das Ende der industriellen Massenproduktion bevor? Ähnlich wie einst Personal Computer die Kommunikation umkrempelten, könnten Minifabriken für zu Hause die Produktion physischer Güter revolutionieren. Die Herstellung von Dingen, einst Fabriken vorbehalten, rückt in die Reichweite jedes Einzelnen. Dann produziert sich jeder seine eigene maßgeschneiderte Warenwelt! Werden Atome bald genauso frei fließen wie Bits?

 

        


 
ommunikations- und Informationstechnologien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ähnlich wie die Industrielle Revolution nicht nur einen Wandel der Technik, sondern auch fast aller Lebensbereiche betraf, führt auch die digitale Revolution zu gewaltigen Umwälzungen unserer Gesellschaft. Und diese Revolution ist keineswegs abgeschlossen! Bezog sie sich bisher hauptsächlich auf Unkörperliches wie etwa Musik, Filme und Texte, so stehen wir heute an einem Wendepunkt, an dem die digitale Revolution auch körperliche Masse erfasst.

Seit kurzer Zeit gibt es Geräte zu kaufen, die Materielles den selben Gesetzen unterwerfen könnten wie Immaterielles. Solche 3D-Drucker oder Digital Fabricators, wie sie auch genannt werden, sind einfach zu bedienen und können billig alles bauen, wenn nur die digitale Datenbasis zur Verfügung steht – selbst den Bausatz für den nächsten 3D-Drucker. Atome sind die neuen Bits, wie Chris Anderson in einem Wired-Artikel konstatierte, in dem er die nächste Industrielle Revolution vorhersagte. Exakt nach den eigenen Wünschen geformte Dinge würden auf Knopfdruck aus den Produktionsmaschinen kommen. Und diese Maschinen werden nicht mehr zentral in Fabriken zusammengefasst, sondern werden sich bei jedermann zu Hause befinden. So wie heute ein Drucker für Papierdokumente (fast) jeden Schreibtisch ziert, so werden in Zukunft massentaugliche 3D-Drucker ähnlich wie Personal Computer jedem zur Verfügung stehen und Dinge ausdrucken, die wir dann nicht mehr kaufen müssen.

Produktion vom Schreibtisch aus
So ist die Entwicklung des 3D-Drucks überhaupt derjenigen des Personal Computers recht ähnlich. Computer waren in ihren Anfangstagen riesengroße Geräte, deren Bedienung Experten vorbehalten war. Der PC auf jedem Schreibtisch war eine Illusion, die dann jedoch schnell Wirklichkeit wurde. Mit der Verbreitung des PCs und der immer einfacheren Bedienbarkeit wurde aus dem einst passiven Medienkonsumenten ein Produzent: Texte, Bilder, Musik und Videos konnten selbst hergestellt, bearbeitet und im Internet sogar einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mit den immer günstiger zu habenden Digital Fabricators sind wir Zeuge der Geburtsstunde einer neuen Ära der Warenproduktion: Auch materielle Dinge werden bald vom Schreibtisch aus nach Belieben hergestellt werden können. Kündigt sich also eine ähnliche Machtverschiebung, wie wir sie gerade im Medienbereich erleben, auch in der Welt der Dinge an?

Schon heute basiert jede industrielle Produktion auf einer 3D-Datendatei. Wird es also in Zukunft so sein, dass wir Dinge nicht mehr kaufen, sie aus dem Laden mit nach Hause nehmen, sondern einfach die beschreibenden Daten zugeschickt bekommen und den Gegenstand dann selbst ausdrucken? Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Vision das Spielfeld der Industrieproduktion radikal ändert. Den bisherigen Entwicklern, Produzenten und Händlern kommt ebenso wie den Konsumenten eine völlig neue Rolle zu. Wird der Konsument gleichzeitig auch zum Produktgestalter und Produzenten, stellt sich die Frage, welche Aufgabe dann noch für die Industrie bleibt. In einer Welt der dezentralen Produktion werden sich die Industrieproduzenten vermutlich stärker auf die Ideenfindung konzentrieren, auf das Angebot ganzheitlicher Problemlösungen und den Verkauf digitaler Dateien ihrer Produkte.

Ende der industriellen Massenproduktion?
Steuern wir auf ein Ende der uniformen Massenprodukte zu, auf eine Welt, in der Maßanfertigung bis zum Extrem getrieben ist? Matthias Horx und Holm Friebe sehen gar die »Unikatsgesellschaft«1 im Kommen. Mit den neuen Möglichkeiten der dezentralen Produktion schwingt das Pendel wieder zurück zu den Anfangstagen der materiellen Produktion. So wie die ersten Dinge, die aus Lehm geformt wurden, stets Unikate waren, werden das Ergebnis der nächsten Industriellen Revolution individuellere Produkte sein, die an »die Stelle des industriellen ›Immer-mehr-vom-Gleichen zu immer günstigeren Preisen treten‹«. Der Idee, die jedem Produkt zugrundeliegt, kommt wieder ein viel größerer Stellenwert zu.

Zwar sehen die Forscher des Zukunftsinstitutes kein Aussterben der industriellen Massenproduktion auf uns zukommen. Dazu seien die heutigen Herstellungsverfahren zu komplex und die Möglichkeiten der persönlichen Produktionsmaschinen zu begrenzt. Dennoch bilden sich Nischen, in denen die Idee des Fabbing blüht und gedeiht. Und hält man sich vor Augen, welche Umwälzungen im Produzenten-Konsumenten-Verhältnis die digitale Revolution im Mediensektor gebracht hat, so lässt sich noch einiges erwarten. Ein großes Potential steckt auch hier in der Massenkollaboration. Schon bilden sich lebendige Communitys, die sich die gemeinschaftliche Produktion auf die Fahnen geschrieben haben. Baupläne werden getauscht und durch den Austausch mit anderen ständig optimiert. Durch Massenkollaboration, so die Vision, sei es möglich, nicht nur online Enzyklopädien erstaunlicher Qualität herzustellen, sondern ebenso das Sortiment eines ganzen Warenhauses. Nach dem Modell von Co-Working-Spaces entstehen überall auf der Welt Gemeinschaftswerkstätten, die eine Werkbank und den Zugriff auf Produktionsmaschinen auf Stunden- oder Tagesbasis bieten.

Fest steht: Auch die dritte Industrielle Revolution wird weitreichende Verwerfungen bringen. Wie wir wirtschaften und arbeiten – nichts wird mehr sein wie zuvor. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Horx und Friebe sehen unter den neuen Gegebenheiten »Großkonzerne tendenziell schlechter aufgestellt als Solo-Selbständige, Start-ups und wendige Mittelständler«. Denn »Wertschöpfung wird kleinteiliger, granularer sein und in häufig wechselnden, zeitlich befristeten Konstellationen stattfinden«.  

 

1 Horx, Matthias; Friebe, Holm (2012): Die nächste industrielle Revolution, in: Trend Update 08/2012, hrsg. von Matthias Horx, Zukunftsinstitut GmbH