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Change als evolutionärer Prozess
Die Grundlage von Change Management ist mehr als die Erkenntnis »panta rhei« (alles fließt), wie Peter Kruse so treffend formuliert hat. Change heißt: weg von der Prozessoptimierung, hin zum Systemwechsel. Dazu müssen wir aber auch unsere Denkweisen grundlegend ändern. Ein Wechsel der Werte als Handlungsgrundlage ist dabei unerlässlich. Spiral Dynamics ist ein Wertemodell, das diesen Wechsel als evolutionären Prozess beschreibt.

        


 
ede Stufe der individuellen und sozialen Evolution hat so etwas wie einen genetischen Code, der den Regelkodex des Systems repräsentiert. In sozialen Systemen sind das unsere Kultur und unsere Werte. Bezogen auf uns Menschen als individuelle Wesen sind das unsere grundlegenden Motivationen und Haltungen. Das sind die Trägheitsmomente, die jedes System braucht, um nicht im Sturm hinweggefegt zu werden. Sie verleihen Individuen, aber auch einer Organisation ihren Charakter. Wesentlich flexibler als der Regelkodex sind die Mechanismen der Anpassung und des Wachstums, die ein jedes System braucht, um nicht im Chaos zu versinken. Das sind die Stellschrauben des Tagesgeschäfts oder die Handlungsoptionen von Menschen innerhalb ihres Spektrums an Fähigkeiten.

Wenn aber die alten Rezepte versagen, unsere bisherigen Werte und Verhaltensweisen keine nützlichen Perspektiven mehr bieten, wenn wir vor einer Wand stehen, uns die Felle davonschwimmen oder ein grundlegendes Dilemma uns schier zum Wahnsinn treibt, dann sind das oft Indizien für die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels. Derartige Schübe gibt es übrigens auch in der biologischen Evolution. Die Organisationsprinzipien lösen sich dann aber nicht ab, sondern leben in den höheren Prinzipien fort.

Der amerikanische Psychologe Clare Graves hat ein der Biologie analoges, soziogenetisches Modell entwickelt, das diesen evolutionären Prinzipien folgt und gerade für Change-Prozesse von Organisationen sehr hilfreich ist. Don Edward Beck und Christopher C. Cowan1 entwickelten das Graves-Modell weiter. Kennzeichnend sind zum einen die zunehmende Komplexität und das Pendeln zwischen Ich- und Wir-orientierten Systemen. Hier finden wir die Korrelate der grundlegenden Bestrebungen von Menschen, zum einen verbunden zu bleiben, aber auch über sich hinauszuwachsen. Es ergibt sich dadurch eine Spiralform aufeinander folgender, längere Zeitperioden umfassender Organisationsprinzipen, die als Meme bezeichnet und analog zu den Genen der biologischen DNA betrachtet werden. Beck und Cowan nannten das Modell Spiral Dynamics.

Im Folgenden sind die verschiedenen Entwicklungsstufen kurz beschrieben. Ab den letzten beiden Stufen der Entwicklung herrschen keine Leitprinzipien mehr vor. Vielfalt wird zum Prinzip. Kampfgeist, strategisches Denken, Teamorientierung und Loyalität haben hier nebeneinander ihren Platz – um nur einige Eigenschaften zu nennen. Das Modell ist nach oben offen, es gibt also keine finale Stufe.

:: Globalist
Werte: Sinn, Ökologie, Nachhaltigkeit
Fähigkeiten: vernetztes Denken und Handeln
:: Integrativer
Werte: Unabhängigkeit, Wissen
Fähigkeiten: Flexibilität, Networking, Ideologiefreiheit
:: Teamplayer
Werte: Toleranz, Verantwortung für die Gemeinschaft
Fähigkeiten: Diskursfähigkeit, Selbstkritik
:: Erfolgssucher
Werte: Gewinn, Ziele, Verantwortung, Wettbewerb
Fähigkeiten: strategisches Denken, eigenverantwortliches Handeln, Prozessorientierung
:: Loyaler
Werte: Loyalität, Ordnung, Sicherheit, Status
Fähigkeiten: Strukturen aufbauen, Aufgaben erfüllen
:: Einzelkämpfer
Werte: Macht, persönlicher Erfolg
Fähigkeiten: Durchsetzungsvermögen, Kampfgeist
:: Stammesmensch
Werte: Zusammengehörigkeit. Trophäen, Rituale
Fähigkeiten: Gemeinsamkeit organisieren
:: Subsistenz
Werte: Nahrung, Schutz
Werte: Instinkte, Abwehr, Kampf

Übergänge können immer nur von einer Stufe zur nächsten erfolgen, da der Übergang die Integration der Werte und Fähigkeiten der vorhergehenden Stufe voraussetzt. Dabei ist keine der Stufen an sich gut oder schlecht. Sie sind stattdessen adäquat oder inadäquat für das Umfeld, in dem sie agieren. Werden sie inadäquat, entsteht Veränderungsdruck.
Voraussetzung für den Übergang von einem Wertesystem zum nächsten sind zum einen das Können und zum anderen das Wollen der Akteure. Sind die Akteure inhaltlich auf die Veränderung ausreichend vorbereitet? Wissen sie, was sie erwartet und können sie dieses Wissen in ihr Handeln integrieren? Können sie mit Hindernissen umgehen? Aber auch: Haben sie die Möglichkeiten der aktuellen Entwicklungsstufe ausgeschöpft?

Das Wollen, also die Bereitschaft zur Veränderung beinhaltet das Gefühl der Dissonanz, also der Unzufriedenheit mit der aktuellen Entwicklungsstufe. Es fordert aber auch Offenheit sowie Einsicht in die Vorteile der Veränderung.

Das Graves-Modell ist sehr stark kognitiv orientiert, denn es fokussiert auf das Verständnis der Notwendigkeit von Veränderung. Es reicht aber meines Erachtens nicht aus, Dissonanz zu verstärken, um ausreichenden Veränderungsdruck zu erzeugen – nach all dem, was wir über motivationales Handeln von Menschen wissen. Druck sollte durch Zug auf der motivationalen Ebene der Akteure ergänzt werden. Erst wenn die Beteiligten spüren, dass die Veränderung auch die Chance einer Verbesserung bietet, entfaltet ein Change-Prozess eine optimale Dynamik. Einen Sportler treibt schließlich auch nicht das Verständnis für die Ziele des Trainers an, sondern das Gewinnen-Wollen.  

 

1 vgl. Don Edward Beck, Christopher C. Cowan (2006): Spiral Dynamics: Mastering Values, Leadership and Change. Malden, MA.
Eine gute deutsprachige Darstellung findet sich in: Martina Bär, Rainer Krumm, Hartmut Wiehle (2008): Unternehmen verstehen, gestalten, verändern. Das Graves-Value-System in der Praxis. Wiesbaden.