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Der große Irrtum der Karriereberatung:
Von rationalen Managern und allgemein gültigen Spielregeln
Karrieren lassen sich am Reißbrett planen – das zumindest suggerieren viele Beratungsangebote für Arbeitnehmer. Dabei vergessen sie, dass noch so erfolgversprechende Strategien nicht immer rational entworfen werden können, weil sie es mit einer großen Unbekannten zu tun haben: Emotionen.

 

        


 
ie erinnerte Beschäftigungswelt unserer Eltern, in der ein ordentlicher Angestellter seinen vorgezeichneten Karriereweg in der einen, seiner, Firma ging, gibt es nicht mehr. Heute ist das Berufsleben gezeichnet von Widersprüchlichkeiten, wie etwa dem Zwang zur persönlichen Flexibilität, der dann aber nicht die erforderlichen Strukturen anbei gestellt werden. Gefordert ist Flexibilität nicht nur bezüglich des Arbeitsortes, des Arbeitgebers und sogar der Branche, sondern auch die Flexibilität zu lebenslangem Lernen. Letztlich bedeutet dies die Flexibilität, sich selbst immer wieder neu zu erfinden.

Unternehmen fordern Flexibilität von ihren Angestellten. Die Politik propagiert die Arbeitnehmerflexibilität ebenfalls als Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzabwanderung. Nutzbar gemacht, wäre diese Flexibilität also ein maßgebliches Gestaltungsmittel der Unternehmensstrukturen und des Arbeitsmarktes. Sobald sich aber Flexibilität auch in dem Anspruch des Mitarbeiters zeigt, über die Bereitschaft hinaus auch die Möglichkeit zu ihr zu haben, trifft er mitunter auf eine unüberwindbare Mauer und auf nach wie vor unflexible Strukturen. Dies zeigt sich unter anderem in der geringen Bereitschaft von Unternehmen Home-Arbeitsplätze oder flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Zugleich wird aber von Mitarbeitern die Bereitschaft zur vollen zeitlichen Flexibilität eingefordert. So sind zum Beispiel Wochenendeinsätze zu Spitzenzeiten ab gewissen Hierarchieebenen eine Selbstverständlichkeit.

Unternehmen haben noch nicht gelernt, den stets beweglichen und lernenden Arbeitnehmer auch in ihre Strukturen zu integrieren. Was deshalb umfassenden und aufwendigen Arbeitnehmerfortbildungen folgt, ist eben häufig nicht der nächste Karriereschritt, die Gehaltserhöhung oder das angereicherte Aufgabengebiet, sondern Demotivation. Wer sich nun dazu entschließt, seine Flexibilität zu einem Unternehmenswechsel zu nutzen, wird wieder feststellen, dass Flexibilität zum eigenen Nutzen und nach eigenem Gefallen mitunter negativ behaftet ist. Drei Arbeitgeber in zehn Jahren? Das könnte zu der Vermutung führen, dass Sie Dinge nicht zu Ende bringen. Auf Sie trifft diese Frage gar nicht zu? Weil Sie projektbezogen arbeiten und in ihrer schnelllebigen Branche in zwei Jahren eben zig Projekte umsetzen? Dennoch werden Sie sich in einem Bewerbungs- oder Versetzungsgespräch höchstwahrscheinlich mit einer solchen Frage auseinandersetzen müssen. Denn es werden längst nicht immer die Maßstäbe angesetzt, die dem Wandel des Beschäftigungsmarktes entsprächen.

Ein weiterer Widerspruch ist häufig in den Anforderungen an die sozialen Kompetenzen zu finden. Beschrieben werden in Stellenausschreibungen gern soziale Kompetenzen, die als wünschenswert gelten und nicht solche, wie sie für das Ausfüllen der Stelle erforderlich wären. Nicht selten sollen Arbeitnehmer teamfähig sein, obwohl ihre Stelle im Außendienst eines hart umkämpften Marktes eher Einzelkämpferqualitäten erfordern würde. Im besten Fall wird die Vereinigung der beiden Eigenschaften gefordert. Der Mitarbeiter muss eben die Flexibilität mitbringen bedarfsgerecht von einem akribischen Controller auf einen Kaltakquisiteur mit Biss umschalten zu können. Ebenso sollen Führungskräfte durchsetzungsstark sein, sich aber einer ausgerufenen Nullrunde beim Gehalt fügen. Diese Widersprüche führen nicht nur zu Unzufriedenheit der Arbeitnehmer, sondern auch zu Effektivitätsverlusten auf Seite der Unternehmen.

Der Umgang mit Irrationalität
Darüber hinaus führen solche Widersprüche zu Verunsicherung. Dies hat sich längst in mannigfaltigen Beratungs- und Coachingangeboten manifestiert. Sollte ein Arbeitnehmer neue Aufgaben oder eine Auslandsversetzung hartnäckig verfolgen und eine Gehaltserhöhung einfordern? Wie kann er angesichts von Widersprüchen und Wirtschaftskrise seine berufliche Entwicklung und sein Gehalt denn tatsächlich aktiv positiv beeinflussen? Mit welcher Zusatzqualifikation werden die nächsten Gehaltsstufen erklommen?

Auf diese und weitere Fragen gibt eine schiere Flut von Online-Ratgebern, Büchern und Weiterbildungsangeboten vermeintlich Antworten. Schrittweise werden die DOs und DON'Ts bei Job- und Gehaltsverhandlung abgearbeitet. Die Taktiken, Erwartungen und Vorlieben der Chefs und Personaler werden beschrieben, die adäquaten Erfolgsstrategien hergeleitet. Soweit bewegt sich der Ratsuchende in rationalen Sphären. Was ihm dann jedoch in der akuten Verhandlungssituation begegnet, ist oft alles andere als rational. Selten ist das Gegenüber so reflektiert und im eigenen Rollenverständnis so gefestigt, wie es mancher Karriereberater beschreibt. Das bedeutet, der Chef schließt aus einer harten Gehaltsverhandlung nicht zwangsläufig den erfreulichen Rückschluss, dass sein Gegenüber mit Kunden ebenso hart verhandelt wie mit ihm und deshalb ein guter Arbeitnehmer ist. Auch ein Abteilungsleiter reflektiert den Wunsch seines Mitarbeiters nach Job-Enlargement nicht zwangsläufig als Zeichen von dessen Leistungsbereitschaft. Ebenso wie auch der Wunsch nach einer Vaterschaftsauszeit oder Reduzierung von Überstunden nicht allein deshalb auf wohlwollende Ohren stößt, weil die Unternehmensleitlinien eine gesunde Work-Life-Balance vorgeben.

Denn eine Seite der Unternehmens- und Chefpersönlichkeit wird von den Punkteplänen zum erfolgreichen Arbeitnehmer oft nicht beleuchtet. Chefs – und somit auch Organisationen! – sind emotionale Wesen. Zwar wird darauf verwiesen, den Chef nicht unmittelbar vor einer fordernden Vorstandssitzung oder nach einem verlorenen Golfspiel um mehr Gehalt anzufragen. Aber dass jede Form der Verhandlung auch ein Konflikt ist, wird gerne übersehen. In diesen Konflikt kann der Fordernde noch so reflektiert, vorbereitet und entspannt eintreten. Sein Gegenüber sieht die Angelegenheit vielleicht trotz bester Laune anders.

Eine Organisation, die es als unbedingt erstrebenswert erachtet, eines ihrer Mitglieder zu sein, wird gegebenenfalls nicht verstehen, dass eben diese Mitgliedschaft allein nicht glücklich macht und ihre Vertreter reagieren deshalb eher fassungslos als verhandlungsbereit auf Gehaltsforderungen. Vergleichbar kann es sich in Organisationen abspielen, die von ihren Mitgliedern erwarten, dass sie ihre Lebensziele mit denen der Organisation vereinheitlichen. Fordert ein Mitarbeiter einer solchen Organisation gegenüber die ihrerseits propagierte Work-Life-Balance ein, reagieren treu ergebene Chefs als würde ihr Mitarbeiter ihnen die Freundschaft oder sogar Mitgliedschaft in der Familie kündigen. Die Offenbarung, dass auch persönliche Entwicklungsziele bestehen, trifft dann vielleicht nicht nur auf Unverständnis, sondern auf deutliche Ablehnung.

Das emotionale Unternehmen
Ein Chef, der der Auffassung ist, bereits alles für seine Mitarbeiter zu tun, fühlt sich durch eine Gehaltsforderung mitunter persönlich angegriffen. Vielleicht scheut er auch einfach Verhandlungen oder das Thema Gehalt ist ihm unangenehm. Vielleicht windet er sich, weil ihm persönlich die Hände gebunden sind. Entweder weil die Organisation jegliche Mitarbeiter- oder Gehaltsentwicklung eingefroren hat oder weil er weiß, dass er selbst seinem Vorgesetzten gegenüber nicht in der Lage sein wird, die berechtigten Wünsche seines Mitarbeiters durchzusetzen.

All das soll nicht bedeuten, dass Arbeitnehmer nicht aktiv an ihrer beruflichen Entwicklung arbeiten sollen. Aber es soll dazu verhelfen, sich darüber klar zu werden, dass die erfolgreiche Strategie nicht ohne weiteres rational vorbereitet werden kann. Kein Ratgeber kann darüber hinweghelfen, dass Leistung nicht immer belohnt wird und dass der Erfolg mancher gut vorbereiteten Verhandlung an etwas scheitern kann, das viele Chefs weit von sich weisen würden: Emotionen. Diese Emotionen können das Selbstverständnis der Organisation widerspiegeln oder ein persönliches Empfinden des Gesprächspartners. Zum Beispiel die Angst, mit den Forderungen dem eigenen Chef gegenüber treten zu müssen.

Dennoch muss der Arbeitnehmer die aus einer solchen Verhandlung resultierenden Entscheidungen erst einmal hinnehmen. Aber wie kann das Verhandlungsergebnis in Zukunft verbessert werden? Wie mit einem Chef, einem Personaler verhandeln, der keine Strategie hat, der aus dem Verhandlungsgeschick und den Entwicklungswünschen des Mitarbeiters keine Rückschlüsse auf dessen Leistungen zu ziehen vermag, sondern sie nicht einzuordnen oder in der Organisation nicht zu platzieren vermag. Wie mit einem Chef verhandeln, der selbst nicht das Rückgrat hat, Leistungen einzufordern? Reicht dafür ein zehn-Punkte-Plan zur Karriereplanung? Oder müssen sich dazu die Organisationen ihrer Emotionalität bewusst werden? Vielleicht muss auch der auf Flexibilität und angeblich erwünschtes Verhalten getrimmte Mitarbeiter selbst entspannt mit sich und seinen Plänen sein. So klappt's auch mit der Karriere.