Bereits in den ersten Sekunden der Begegnung mit einem Menschen haben wir intuitive Bilder im Kopf. Intuition trägt damit – im Guten wie im Schlechten – zur Gestaltung einer Kommunikationsbeziehung bei. Besonders in komplexen Situationen und bei knappen Ressourcen ist Intuition damit eine Möglichkeit, in professionellen Situationen Überschaubarkeit, Handlungsfähigkeit und wechselseitige Abstimmung herzustellen.
ntuition bestimmt unser Handeln, auch im Geschäftsleben. Mittels Intuition kommen Menschen zu einer Urteilsfähigkeit, ohne zu wissen, wie die jeweilige Beurteilung zustande kommt. Gerade Führungskräfte in der Wirtschaft müssen sich ständig Urteile bilden, unbemerkt treffen sie am laufenden Band Entscheidungen. Handelt es sich dabei um eine komplizierte Materie, erhöht sich die Komplexität dieses Prozesses: Urteile müssen auf verschiedenen Ebenen gefällt werden. Intuitiv getroffene Entscheidungen basieren auf Urteilen, die in Sekundenbruchteilen entstanden sind, und können in konkrete Aktionen münden. Dies legt nahe: Da sich Intuition nicht steuern lässt, ist es umso wichtiger, sie zu verstehen.
Das besondere Interesse des US-amerikanischen Arztes und Psychiaters Eric Berne galt der Intuition. Dem Folgenden liegen seine Intuitionskonzepte zugrunde.
Zunächst noch einmal die Bernesche Definition von Intuition:
»Eine Intuition ist Wissen, das auf Erfahrung beruht und durch direkten Kontakt mit dem Wahrgenommenen erworben wird, ohne daß der intuitiv Wahrnehmende sich oder anderen genau erklären kann, wie er zu der Schlussfolgerung gekommen ist.«1 Diese Definition bezieht sich auf Intuition als Ergebnis des Intuierens. Zunächst wollen wir unser Augenmerk jedoch auf Intuition als Funktion bzw. als Vorgang richten.
Intuition kann einmal als eine Funktion oder als ein Vorgang verstanden werden, bei dem wir in kürzester Zeit alle möglichen Eindrücke und Phantasien zu einem Bild über die Wirklichkeit komponieren. Aufgrund dieses intuitiven Bildes oder Urteils steuern wir unser Verhalten und Erleben, unabhängig davon, ob uns dieses Bild bewusst ist oder nicht. Im Folgenden gehen wir neben der selbsterklärenden Wirkung des Verhaltens auch von einer Wirkung des eigenen Erlebens aus. Die neuere Forschung über Spiegelneuronen2 legt nahe, dass andere intuitiv miterleben, was wir erleben. Natürlich könnte man sagen, dass ein Verhalten vorliegen muss, sonst teilt sich Erleben nicht mit. Pragmatisch ist jedoch eine solche Unterscheidung nicht von Bedeutung.
Sowohl die Entstehung einer Intuition als auch ihre erlebens- und verhaltenssteuernde Wirkung selbst entziehen sich einer Erklärung. Häufig weiß der Urteilende nicht einmal, dass er urteilt und welches Urteil als Ergebnis entstanden ist, aber er orientiert sein Erleben und Handeln daran. Nur durch die Beobachtung des eigenen Erlebens und Verhaltens kann man hinterher einen Rückschluss auf das Urteil ziehen, das diesem Handeln wohl zugrunde lag. Dem Erleben und Handeln kommt man oft erst dadurch auf die Spur, dass man die Reaktionen anderer darauf beobachtet und daraus rückschließt, wie man wohl verstanden wird. Natürlich kann die Reaktion anderer wiederum auf einem falschen intuitiven Urteil beruhen, doch tut man gut daran, näher hinzusehen, wenn sich bestimmte Verständnisse wiederholen. Selbst wenn man sicher ist, von anderen missverstanden zu werden, lohnt es sich, mehr über häufige Missverständnisse zu wissen. Denn Auswirkungen haben sie allemal. Dann kann man auch versuchen, das Urteil, das sich als Handlungswissen zeigt, in Sprache zu beschreiben.
Manche sprechen, wenn sie Intuition meinen, von einem »Bauchgefühl« oder von »Bauchentscheidungen«. Auch dieses ist nur eine Metapher, die besagt, dass ich mein Urteil und sein Zustandekommen nicht rational erklären kann. Inwieweit das Phänomen Intuition überhaupt geklärt werden kann, bleibt unklar. Unabhängig davon versuchen wir, Beschreibungen zu finden, mit denen wir uns pragmatisch einem Verstehen des Phänomens annähern können. Da kaum jemand ernsthaft die Existenz und die Wirkung von Intuition bestreiten dürfte, sollten wir uns allgemein und sollte jeder sich spezifisch in seinem Kontext mit ihr auseinandersetzen.
Wir versuchen also den Vorgang und die Fähigkeit der Intuition genauer zu charakterisieren. Intuition hilft, Daten aus den verschiedensten Sphären zu Informationen zu integrieren. Diese Daten helfen dem Organismus sich zu organisieren und zu orientieren. Interessant ist nun, aus welchen Wirklichkeitsbereichen Daten ausgewählt und zu Informationen gemacht werden, mit welcher Perspektive Urteilsbildungen vorgenommen werden und welcher Art die sich ergebenden Urteile sind.
Durch die Auseinandersetzung mit den Vorgängen der Urteilsbildung und ihren Ergebnissen können wir unsere Intuitionen besser kennen und nutzen lernen. Ein solcher Läuterungsprozess ist Gegenstand professioneller Qualifizierung.
Intuition muss wie jedes Urteilen über Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen beschrieben und kritisch befragt werden. Intuitives Urteilen kann zum Beispiel falsch oder richtig, qualifiziert oder unqualifiziert, befangen oder unbefangen, konventionell oder kreativ, borniert oder weitsichtig, versponnen oder der Welt zugewandt, liebevoll oder gnadenlos sein. »Intuitiv« ist also weder ein Gütesiegel noch eine Disqualifikation. Wenn wir uns mit Intuition auseinandersetzen, müssen wir uns mit den Weltbildern und dem Urteilsvermögen, das sich in der Intuition zeigt, auseinandersetzen.
Intuition ist Teil unserer Kultur und weder im positiven noch im negativen Sinn eine natürliche Kraft, die durch Erziehung verschüttet wurde und lediglich freizusetzen ist. Intuition ist wie jedes Urteilen im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung von Menschen und der Kultur, in der sie sich bewegen, zu sehen. Intuitive Steuerung heißt also weder Steuerung nach einer anderen, besseren Intelligenz, noch unbedachte und in ihren Motiven und Interessen unkontrollierte Steuerung. Intuitiv steuern heißt, komplexe Daten zu Informationen verarbeiten zu können, so wie wir sie bewusst und erklärbar nicht verarbeiten könnten. Intuitiv steuern heißt außerdem, dass dieser Vorgang ungeheuer schnell abläuft und unabhängig von der Übersetzung in Sprache direkt in Handlung umgesetzt werden kann.
Die Hauptleistung der Intuition ist also die blitzschnelle Verhaltenssteuerung in komplexen Situationen. Diese hat sicher mit der Evolution der Intuition zu tun: »er« trinkt an der Quelle, guckt hoch, und da steht der Wolf. Jetzt hat er keine Zeit, zum Beispiel Erwägungen wie hier anzustellen, sondern er flieht oder er kämpft. Und diese Eindrücke müssen hochintegrativ sofort in Verhalten umgesetzt werden. Sicher ist diese Leistung bei Menschen auf ähnliche Weise entstanden wie komplexe Steuerungen bei anderen Arten. Ein entscheidender Unterschied besteht vielleicht darin, dass dieselben Steuerungsprinzipien bei Menschen auch in die Beurteilung und Gestaltung von Wirklichkeit in einem Kultursinne übergegangen sind.
Anhand des Beispiels von Vorfahren und dem Wolf kann man sich leicht den Evolutionsnutzen dieser sich entwickelnden seelischen Steuerung vorstellen. Es macht auch plausibel, dass die Steuerung zunächst direkt mit Handeln verbunden und eine Vernetzung mit Sprache erst sekundär von Bedeutung ist. Man kann sich auch vorstellen, dass das so sich in Handeln zeigende Urteilsvermögen sich bald in verschiedene Lebensbereiche und Funktionen hinein spezifiziert. So werden Jäger und Sammler, Töpfer und Korbflechter jeweils verschiedene Vorbilder studieren und Erfahrungen sammeln, die zu einer entsprechenden Intuitionsentwicklung führen. Das intuitive Urteilen hat also vermutlich von jeher mit Lebens- und Entwicklungsinteressen der Urteilenden zu tun und kann ohne Verständnis ihrer sich entwickelnden Lebenskultur nicht begriffen werden. Es ist nur konsequent, wenn wir professionelle Intuition zu verstehen versuchen, indem wir gleichzeitig in den Spiegel unserer professionellen Selbstverständnisse und Interessen schauen.
Zu fragen wäre, welchen Stellenwert man symbolischen Ausdrucksweisen und den sich entwickelnden Sprachen als Teil intuitiver Steuerungsorganisation beimessen sollte. Zunächst ist einleuchtend, sich vorzustellen, dass Intuition im Dienst einfachster vitaler Überlebens- und Entwicklungsinteressen steht. Gleichzeitig kann man beobachten, dass sich Menschen auch in anderen gesellschaftlichen Lebensbezügen, die nicht unbedingt mit direkter Befriedigung primärer Bedürfnisse zu tun haben, intuitiv organisieren können. So konnte sich z. B. Kekulé die chemische Formel des Benzols intuitiv mit der bildhaften Darstellung des Benzolrings als Schlange, die sich in den Schwanz beißt, vergegenwärtigen.3
Man kann also davon ausgehen, dass die Fähigkeit der Intuition sich auf Wirklichkeitsbezüge und den gestalterischen Umgang mit Wirklichkeiten richten kann, die relativ fern von einer unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung angesiedelt werden können.
Tabus, Kompetenz und Gewohnheiten
Kreativer Wirklichkeitsbezug und entsprechende Intuitionen werden durch Tabus behindert oder verfälscht. Entsprechende Wahrnehmungen werden aus der Interpretation der Situation ausgeblendet oder bei bewusster Steuerung nicht berücksichtigt und⁄oder ihre unbewusste Berücksichtigung bleibt ohne Kontrolle.
Hierbei ging Berne davon aus, dass es durch Sozialisation mit Angst belegte Einschränkungen sein müssten, die solche Ausblendungen erklären. Ein klassisches Beispiel dafür ist das empfundene Verbot, die Unvereinbarkeit von Botschaften aufzeigen zu dürfen. »Verrückte« Versuche der Anpassung können die Folge sein. Früher waren eher Themen wie Sex, Geld oder Macht mit Tabus belegt, heute könnten das eher Themen wie individuelle Religiosität oder die Wirkung von Milieu sein.
Zwei weitere Beeinträchtigungen sind bedeutsam. Sie könnten oft entscheidender sein als Tabus und es braucht zu ihrer Beseitigung mehr als Aufklärung:
:: Die Urteilsfähigkeit wird beeinträchtigt durch fehlende Schulung und Erfahrung. Oft wird der Bedarf an kontext-, rollen-, situations- und feldspezifischer Kompetenz für professionelle Intuition nicht einmal erkannt und man glaubt, Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen einfach übernehmen zu können. Ohne Schulung und spezifische Erfahrung bleibt der Kunstkenner als Musikfreund genauso Laie wie der Experte für Psychotherapie als Organisationsberater (und umgekehrt).
:: Der kreative Umgang mit Wirklichkeit wird durch professionelle Gewohnheiten beeinträchtigt. Gewohnheiten, insbesondere, wenn sie als gelernte Selbstverständlichkeiten daher kommen, ersetzen offene, neue Betrachtungen. Es ist einfacher, Unbekanntes in bekannte Rahmen einzupassen als die Rahmen infrage zu stellen und neue zu entwickeln. In einer Art Kreativitätsträgheit neigt man dazu, sich mit gewohnheitsmäßigen Erklärungen und daraus folgenden gewohnheitsmäßigen Vorgehensweisen zu begnügen. Solange die Anforderungen der Umwelt solche Gewohnheiten nicht erschüttern oder man sich in Kreisen bewegt, die diese Gewohnheiten stabilisieren und rechtfertigen, bleibt man in seinem Gewohnheitsrahmen. Manche Spezies, die nicht in Krisen kam, solange noch Chance für Neuanpassung war, ist ausgestorben. Will man die eigenen Gewohnheiten erkennen, sollte man bei der Begegnung mit Menschen anderer Kreise und Professionen gut zuhören und ihr Erstaunen bzw. auch ihr Befremden nicht gleich als Unkenntnis abtun. Multidisziplinäre Weiterbildungen und Gemeinschaften wirken hier Einseitigkeiten und Sektendynamiken entgegen.
Sieht man sich diese Beeinträchtigungsbereiche an, so kann man sich leicht vorstellen, wie Intuition begrenzt und verfälscht werden, wie kreative Urteilskraft in menschlichen Begegnungen abhanden kommen kann. Voraussetzung für eine Neubelebung von Urteilsvermögen und das Freisetzen kreativer Kräfte ist, dass man die Beeinträchtigungen identifiziert und auf Abhilfe sinnt. Eine weitere gute Voraussetzung für eine kreative Urteilsbildung ist die Bereitschaft mit der Einbeziehung neuer Daten bei der Beurteilung und Steuerung zu experimentieren.
Erfahrung mit Intuition als Funktion
Zwar kann man Intuition nicht erklären, doch lohnt es sich, Erfahrungen beim Arbeiten mit Intuition zusammenzutragen. Hier seien zunächst einige Beschreibungen von Berne wiedergegeben.
Nach Eric Berne ist ein Arbeiten der Intuition erfolgsversprechend, wenn man einerseits relativ ausgeruht ist und sich andererseits Zeit lässt, in eine intuitive Haltung zu finden. Für den Psychoanalytiker bedeutet dies, sich auf den Patienten auszurichten und die Aufmerksamkeit von Dingen, die nicht zum Erfassen der therapeutischen Situation mit dem Patienten dienen, freizumachen. Hierdurch kann jene »schwebende Aufmerksamkeit« entwickelt werden, aufgrund derer man ohne Voreingenommenheit die intuitiv entstehenden Bilder und Verständnisse wahrnehmen kann und Raum hat, sie – zumindest für sich selbst – in Sprache zu fassen und über den Umgang mit ihnen zu bestimmen. Sich selbst in intuitive Stimmung zu bringen, kann man üben.
Für die Einnahme einer solchen intuitiven Haltung ist das Herstellen einer gleich bleibenden gewohnten Umgebung hilfreich, in der sich nur die Dinge verändern, die Gegenstand der intuitiven Urteilsbildung sein sollen. Ein relativ stabiler und vertrauter Hintergrund schafft den Rahmen für intuitive Beurteilung des so ins Auge gefassten Vordergrunds. Zielrichtung und Ausrichtung der Aufmerksamkeit nach vorgegebenen Kategorien behindert Intuition. Sie funktioniert, bezogen auf Menschen, am besten bei Fremden. Vertrautheit ist bei Intuition eher ein Hindernis als eine Hilfe.
Allerdings scheint man – insbesondere durch längere Unterbrechung und Orientierung der Aufmerksamkeit auf andere Wirklichkeitsperspektiven – auch aus spezifischen intuitiven Stimmungen herausfallen zu können. Die Treffsicherheit im Erraten von Berufen der Teilnehmer an Musterungsuntersuchungen sank nach eintägiger Unterbrechung zunächst schwerwiegend. Man kann zum Beispiel auch feststellen, dass bestimmte professionelle Intuitionen – etwa nach einem längeren Urlaub – »eingerostet« sind und erst durch mehrfachen Gebrauch wieder funktionstüchtig werden.
:: Intuition ermüdet
Intuitives Arbeiten ermüdet den Intuierenden. Obwohl im Äußeren nicht unbedingt viel Aktivität zu beobachten ist, sind Menschen, die mit großer Aufmerksamkeit für ihre Intuitionen arbeiten, zwar einerseits geistig munter, andererseits jedoch nach einiger Zeit seelisch und körperlich erschöpft. Hohe intuitive Aktivität scheint also ähnlich anstrengend zu sein wie konzentriertes Schachspiel.
:: Intuition wird durch Druck beeinträchtigt
Intuitive Prozesse werden gestört, wenn sich der Intuierende auf die Probe gestellt und unter Bewährungsdruck erlebt. Wenn er nicht über genügend konstruktive Mechanismen verfügt, mit auftretender Bewährungsangst fertig zu werden, kann intuitive Beurteilung völlig scheitern.
:: Intuition erlahmt bei Gleichförmigkeit
Intuition hat kein Problem mit Komplexität und dem parallelen Verarbeiten von Eindrücken auf verschiedensten Ebenen. Jedoch erlahmt Intuition bei häufigem, insbesondere gleichförmigem Gebrauch. In Einschätzungsexperimenten nahm die intuitive Genauigkeit nicht ab, wenn in mehreren Dimensionen Beurteilungen gleichzeitig vorgenommen werden sollten. Intuitionen scheinen sich gegenseitig nicht zu beeinträchtigen. Vermutlich wird man hier hinzufügen müssen: sofern sie in Wirklichkeitsdimensionen liegen, die der Intuierende in sich integrieren oder konfliktfrei nebeneinander bestehen lassen kann.
Berne charakterisiert den intuitiven Prozess folgendermaßen: »Alles wird knapp unterhalb der Bewusstseinsebene« automatisch »in eine Ordnung gebracht«; »unterbewusst wahrgenommene« Faktoren werden eingeordnet, nehmen »automatisch« ihren Platz ein und werden in den endgültigen Eindruck aufgenommen, der letztendlich mit einiger Unsicherheit in Worte gefasst wird.
Ausweitungen auf Professionen allgemein
Um Intuition in seiner Relevanz für professionelle Selbstorganisation und die Steuerung professioneller Begegnungen wie für den Lebensvollzug Professioneller und für Professionskultur wieder zu öffnen, sollen hier zunächst zwei im Professionsverständnis und in der psychotherapeutischen Konzeptbildung von Berne vorgenommene Spezifizierungen hinterfragt und neu für professionelle Fragen allgemein zu Disposition freigegeben werden.
Die Fokussierung der Urteilsbildung auf vorrangig privat-persönliche Charakteristika anderer Menschen scheint ein einseitiges Interesse für Persönlichkeit aus der Sicht einer Psychotherapie zu sein. Insofern scheint es sich hier bereits um eine durch Berufskonventionen eingeschränkt ausgerichtete Perspektive zu handeln, d.h. es finden bei der Beschreibung und Schulung von Intuition nur diese Dimensionen Beachtung. Anders als von Berne angenommen kann die intuitive Einschätzung von Situationen und Menschen, z.B. auf deren professionelle Gewohnheiten hin, ausgerichtet sein. Es kann intuitiv wahrgenommen werden, ob ein Organisationsmitglied in seiner Art, sich in einer Sitzung zu präsentieren, eher für eine konservative oder eine innovative Unternehmenskultur steht. Es kann intuitiv eingeschätzt werden, ob er eher im Konfliktfall der Verfolgung von Sachzielen oder der Würdigung von menschlich-sozialen Anliegen in Beziehungen den Vorrang geben würde, ob er interessiert und fähig zur Integration beider Anliegen wäre. Auch kann in Situationen blitzschnell intuitiv erfasst werden, ob die Kommunikation in der zur Verfügung stehenden Zeit zum Ziel führen kann und ob die einzelnen Gesprächsbeiträge auch dann, wenn sie sachlich auseinander liegen, auf Konsens hin ausgerichtet werden, oder ob die Prozesse auseinander laufen, Organisationsstränge divergieren und Meinungen sich polarisieren.
Systemische Haltungen wie Ressourcen- und Lösungsorientierung sind für viele Praxisfelder, nicht nur der Psychotherapie entscheidende Ergänzung für die Ausrichtung Professioneller. Sie schaffen ein Klima, bei dem man sich mit Problemen, wenn notwendig, mit Blick auf Lösungen und Ressourcen (im Sinne von Kompetenzen und positiven Wirkkräften) befasst.
Haltungen, Fokussierungen und Urteilsbildungen, auch intuitive, werden in diese Richtung gefördert. Ressourcen für konstruktive Wirklichkeit können so schon in Entstehungsphasen in den Vordergrund geholt werden. Auch in belasteten Wirklichkeiten werden Lösungswirklichkeiten und dafür nicht genutzte Ressourcen zum wesentlichen Betrachtungsgegenstand gemacht.
Intuitive Komplexitätssteuerung
Durch die wirklichkeitskonstruktive Perspektive wird Wirklichkeit bodenlos. Wir bemerken, wie viele Freiheitsgrade es in den Wirklichkeitsverständnissen, in professionellen Selbstdefinitionen und Selbstorganisationen gibt. Selbstverständliche Wirklichkeiten und professionell richtiger Umgang mit ihnen lösen sich auf. Diese gaben bislang Halt, doch können konventionelle Selbstverständnisse und professionelle Selbststeuerungen den Anforderungen heutiger Komplexität und Dynamik nicht länger entsprechen. Auch Intuition muss aus gewachsenen Gewohnheiten befreit werden. Gleichzeitig dürfen Intuitionen nicht der kreativen Beliebigkeit preisgegeben werden.
Dies betont die Notwendigkeit, Intuition durch professionelle Qualifizierung gezielt zu läutern. Gezielt kann aber nicht wissenschaftlich-methodisch heißen, weil es sonst nicht mehr intuitiv wäre. Vielmehr müssen im Prozess der Intuititionsschulung wissenschaftlich-methodische und unbewusst-intuitive Vorgehensweisen integriert werden. Dies geschieht z.B. durch situatives Hinterfragung der in Professionssituationen wirkenden Intuitionen, etwa in der Supervision. Hierbei sollen die einen Intuitionen nicht einfach nur anderen gegenübergestellt werden. Sondern es soll aus einer Metaperspektive Intuition bewusst neu ausgerichtet werden. Auch Selbstkontrolle und Steuerung von Intuition über eine entsprechende Fachsprache muss geübt werden. Durch eine solche – auch intuitive – Meta-Steuerung kann sich unsere Intuition kontext-, rollen-, situations- und strategiespezifisch ausrichten. Es wird so etwas wie eine bewusst ausrichtbare, aber letztlich nicht kontrollierbare Intuition gelernt.
Bei einer komplizierten Herzoperation kann es wirklich wichtiger sein, wenn sich der Chirurg bzw. das Team ausschließlich auf die komplexe Organisation des Vorgangs ausrichtet und sich nur bei Relevanz hierfür mit anderen Intuitionen – etwa bezüglich der Persönlichkeit und des persönlichen Lebensschicksals des Patienten, der privatpersönlichen Befindlichkeit der anwesenden Team-Mitglieder oder der Beurteilung des Auswirkung von Organisationsstrukturen und deren Verbesserungen – befasst. Selbst wenn angenommen wird, dass Intuition als Funktion mit ungeheurer Verarbeitungskapazität aufwartet, ist es dennoch sinnvoll, dieses System nicht mit für den Moment irrelevanten Verarbeitungen zu belasten. Wir müssen Prioritäten setzen, um handlungsfähig zu bleiben, und sollten andere Intuitionen nur am Rand mitberücksichtigen.
Dabei erhebt sich hier die Frage, wie sehr Menschen von der Orientierung an der Persönlichkeit anderer und den Begegnungsmöglichkeiten mit ihnen abstrahieren können. Wie können Fokussierungen der Intuition auf einen professionellen Begegnungszweck ausgerichtet werden? Führt dieses Absehen von anderen menschlichen Begegnungsqualitäten nicht notwendigerweise zu einem entseelten Funktionieren von Intuition und zu einer Entleerung von seelischer Bedeutsamkeit in Organisations- und Professionskulturen? Diese Gefahr besteht sehr wohl, wenn Menschlichkeit nur in separaten Lebensbereichen und nicht als integrierter Bestandteil auch professioneller Rollen und institutioneller Funktionen angesiedelt wird und ihre Form dort angemessen findet. Professionalität heute verlangt die Integration menschlicher Perspektiven in die Ausgestaltung jeder Funktion oder Rolle. Die Essenz jeder Rolle muss aber eine ihr gemäße Form finden.
Betrachtet man das Intuitionskonzept nicht nur aus der Berneschen Perspektive, so eröffnet sich eine fast unendliche Vielfalt an Wirklichkeitsdimensionen, auf die sich Intuition beziehen kann. Da die innere Wirklichkeit eines Menschen davon beeinflusst wird, wie äußere Welt wahrgenommen und gedeutet wird und umgekehrt, kann man streng genommen nach systemischen Gesichtspunkten gar nicht davon ausgehen, dass äußere und innere Wirklichkeiten letztlich unterschieden werden können. Dennoch müssen wir pragmatisch diese Denk- und Sprachfiguren verwenden. Ganz abgesehen von der Qualität der Urteile, ist intuitive Urteilsbildung wegen ihrer orientierenden Funktion in komplexen Situationen wichtig. Wenn diese Funktion versagt, desintegriert die Selbstorganisation. Menschen reagieren verwirrt, depressiv und verzweifelt. Oder sie organisieren sich in Ärger und Kampf, wenn sie glauben, andere seien die Ursache dafür.
1 Berne, Eric (1991): Transaktionsanalyse der Intuition. – ein Beitrag der Ich-Psychologie. Paderborn, S. 36.
2 Bauer, Joachim (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg.
3 C.G. Jung zeigt anhand eines Traumes des deutschen Chemikers Kekulé, dass der Uroboros kein weltfremdes Symbol ist. So träumte Kekulé, als er die Molekularstruktur des Benzols untersuchte, von einer Schlange, die in ihren eigenen Schwanz beisst, darauf deutete er die Molekularstruktur als Benzolring.