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Führung und Verantwortung
Nur zu oft erlebt man, dass Verantwortung abgeschoben wird. Aber wann handelt eine Führungskraft eigentlich verantwortlich? Verantwortung zieht immer die Übernahme der überschaubaren Konsequenzen des Handelns nach sich. Auch das Schaffen von Klarheit in der Entscheidung und in der Zuständigkeit gehören zu verantwortlichem Handeln. Und niemals wird, wer verantwortlich handelt, sich hinter der Kraft des Faktischen verstecken. Daher ist Verantwortung eng mit Führung verknüpft: nur wer Verantwortung übernimmt, unternimmt etwas.

        


 
ch bin verantwortlich für mich. Ich denke, jeder unter uns wird dazu ja sagen. Es ist für uns so selbstverständlich, dass wir über Verantwortung kaum noch nachdenken. Dabei lohnt es sich durchaus, einmal zu prüfen, worin sich Verantwortung ausdrückt. Denn leider ist es oft genug so, dass wir Verantwortung delegieren. In den letzten zwei Jahren haben nicht wenige Menschen die Verantwortung für die Finanz- und Wirtschaftskrise überwiegend an nur eine gesellschaftliche Gruppe delegiert: an Banker; die Verantwortung für die Überwindung der Krise wurde auf unsere Politiker übertragen. Wir finden immer jemanden, der statt uns selbst die Verantwortung trägt. Der Herrgott soll's richten, die Umstände sind schuld, der Chef, die Märkte, die Kunden. Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg keinen.

Dabei erlebe ich, dass es Menschen gibt, die Verantwortung wahrnehmen, sich nicht davor drücken. Wer sich wirklich verantwortlich zeigt, der verzichtet zum Beispiel auf die berühmten Ausreden, er versteckt sich nicht. Eine Ausrede ist genau genommen nichts anderes als die kleine Schwester der Lüge. Ausreden besitzen einen gewissen Charme, sie sind durchaus bequem und sie bringen mich elegant aus der Schusslinie. Klar, manche Ausreden gehorchen auch der Höflichkeit, der Diplomatie. Diese Art der Ausreden meine ich nicht. Ich meine die Ausreden, die nur dazu dienen, uns selbst und anderen etwas vorzugaukeln. Hier fangen die Lebenslügen an. Wir behaupten, wir seien nicht zuständig oder wir verbreiten die Überzeugung, wir könnten nichts ausrichten, nicht ändern. Solche Ausreden sind dazu da, anderen die Schuld zuzuweisen. Dadurch werden Probleme zementiert, statt gelöst. Wir zeigen dann eine falsche Betroffenheit. Wir unterscheiden heute nicht mehr genau zwischen »ich bin betroffen« und »es macht mich betroffen«. Letzteres heißt, ich kann in ohnmächtigem Mitleid Zustände bedauern, Lichterketten bilden, mit anderen die Zustände bejammern. Die Aussage »ich bin betroffen« sagt jedoch etwas anderes: jetzt bin ich zum Handeln gefordert, ich bin verantwortlich.

Wer sich tatsächlich verantwortlich zeigt, der schafft damit Klarheit in der Entscheidung, in der Zuständigkeit, in der Übernahme der überschaubaren Konsequenzen seines Tuns. Wer bereit ist Verantwortung zu übernehmen, wer sagt, ich bin betroffen, der unternimmt etwas.

Verantwortung findet im Handeln und im Nichthandeln statt. Demnach besteht auch eine Verbindung zwischen Verantwortung und Führung. Solche Verbindungen sind:
:: Verantwortung und Vertrauen: Ich muss mich also fragen, wie muss Verantwortung gelebt werden, damit sie Vertrauen erzeugt?
:: Verantwortung und Konfliktfähigkeit: Wie muss Verantwortung sein, damit Konflikte eben nicht eskalieren, unter den Teppich gekehrt, sondern gelöst werden?
:: Verantwortung und Nachhaltigkeit: Wie muss Verantwortung sein, damit der Bestand einer Gemeinschaft, eines Unternehmens langfristig gesichert ist?
:: Verantwortung und Konsequenz: Wie muss Verantwortung sein, damit konsequent gehandelt wird?
:: Verantwortung und Effektivität und Effizienz: Wie muss Verantwortung sein, damit die richtige Sache richtig ausgeführt wird?
:: Verantwortung und Elite: Wie muss Verantwortung gelebt werden, damit wir zur Elite gehören?

Elitebewusstsein
Wie wenig elitebewusst wir sind, zeigt unter anderem das Absinken der wirtschaftlichen Bedeutung der Bundesrepublik auf den internationalen Spitzenrang 23! Wer ein Klima in seinem Unternehmen fördert oder gar erzeugt, in dem eine Spitzenleistung nicht mehr anerkannt, ja diffamiert wird, der darf sich über mangelndes Elitebewusstsein nicht wundern, und damit über sinkende Produktivität, absinkende Bedeutung, weniger Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Leider setzt sich immer mehr das Mittelmaß durch. Heute kann man fast schon behaupten: »Um erfolgreich zu sein, bin ich nicht mittelmäßig genug.«
Hören wir auf damit! »Nicht der Schurke ist der Schurke«, hat ein guter Freund von mir einmal gesagt, »der Schurke ist das Mittelmaß!«
Wir werden wohl aufhören müssen mit der neidgeprägten Gleichmacherei! Sie ist der Tod der herausragenden Leistung und Verantwortung. Und so fordere ich: Wir sollten Elite wieder belohnen, das Bewusstsein zur Leistungselite und Verantwortung noch mehr fördern. So haben wir die Chance, statt auf der Suche nach außergewöhnlichen Leistungen auf der Strecke zu bleiben, diese selber wieder zu zeigen. Daraus folgt: Für Elite ist Verantwortung nicht teilbar. Für Elite ist klar: Wer verantwortet, entscheidet; und: Wer entscheidet, verantwortet.

Das hat einen enormen Nutzen. Der Nutzen dieser Art von Verantwortungsübernahme ist vielfach. Wer verantwortet, der:
:: besitzt noch mehr Selbstständigkeit,
:: bringt noch mehr Wissen ein,
:: nimmt noch mehr Führung wahr,
:: zeigt noch mehr disziplinierte Konsequenz,
:: beweist noch mehr eigenverantwortliches Handeln.

Führung und Handeln
Es gibt drei Arten von Tätigkeit. Ein Mensch kann handeln, sich verhalten und⁄oder entscheiden. Der verantwortungsbewusste Mensch handelt, er verhält sich nicht. Was ist der Unterschied? Wenn wir von Handeln sprechen wollen, dann sollten fünf Prinzipien erfüllt sein, die Handeln von Verhalten unterscheiden:
1. Kontingenz-⁄Alternativprinzip: Ich kann auch anders handeln.
2. Finalitätsprinzip: Das Handeln hat ein Ziel.
3. Effizienzprinzip: Es muss etwas verändert werden, es muss ein Ergebnis geben.
4. Responsibilitätsprinzip: Ich muss es begründen können.
5. Verantwortungsprinzip: Die Übernahme der überschaubaren Folgen des Handelns.

Ein verantwortungsbewusster Mensch handelt also, er verhält sich nicht. Damit stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Dabei gibt es immer zwei Verantwortungsrichtungen. Zum einen die Verantwortung vor einer Tat. Habe ich also über die Konsequenzen meines Tuns nachgedacht, bevor ich losgelegt habe, sind mir die Folgen bewusst geworden? Zum anderen gibt es die Verantwortung nach der Tat. Bin ich also bereit, für die überschaubaren Konsequenzen meines Tuns gerade zu stehen?

Als einer unserer Bundeskanzler anlässlich zweier verlorener Landtagswahlen seiner Partei sagte: »Ich übernehme die volle Verantwortung«, kam leider kein Journalist auf die Idee zu fragen: »Worin drückt sich denn nun Ihre Verantwortungsübernahme aus, Herr Bundeskanzler?« Die Übernahme der Verantwortung ist immer dann gegeben, wenn jemand bereit ist, für die überschaubaren Konsequenzen seines Handelns geradezustehen. Folgt aus der Übernahme der Verantwortung kein dazu passendes Handeln, dann handelt es sich bei dem Satz: »Ich übernehme die volle Verantwortung« ausschließlich um Verbalakrobatik, sonst nichts.

Verantwortung kommt von antworten. Die Frage ist, wem muss man antworten? Was ist also die Verantwortungsinstanz? Die wichtigsten Instanzen sind für mich:
1. Verantwortung vor mir selbst: Wenn ich mein verantwortliches Handeln feststellen will, dann muss ich schauen, wie ich mit anderen Menschen umgehe, welche Interaktionsformen ich anbiete und wie ich mit Interaktionsangeboten umgehe. Man kann sich seiner Selbstverantwortung also nicht durch Nachdenken nähern, sondern nur durch Analyse seiner Interaktionen mit anderen Menschen. In einer anschlussfähigen Kommunikation, die lange genug gedauert hat, kann ich in einer Analyse in etwa dem nahe kommen, der ich bin.
2. Die Verantwortung gegenüber einem oder mehreren definierten Menschen
3. Die Verantwortung vor der Zukunft – was verändere ich jetzt in Zukunft?
4. Die Verantwortung vor dem Staat
5. Die Verantwortung vor den Gesetzen
6. Die Verantwortung vor dem Unternehmen

Verantwortung klärt eindeutig die Zulässigkeit oder die Notwendigkeit des Handelns. Aus den Werten eines Menschen ergeben sich Fragen, und die Handlungen eines Menschen sind die sich daraus ergebenden Antworten. Damit ist Verantwortung eine Antwort. Die Frage ist, was genau müssen wir antworten – verantworten? Ich meine jetzt nicht die Momente, in denen wir zur Verantwortung gezogen werden, indem wir etwa ein Gesetz missachten oder ähnliches. Ich spreche von der Verantwortung vor mir selbst, vor meinem sittlichen Gewissen, vor meiner Aufgabe. Ich muss mir eine Antwort geben können auf die Frage: »Zu welcher Verantwortung bin ich bereit?«

Es gibt drei Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen:
1. Das Ergebnis des Handelns, ich bin also einer Ergebnisethik gegenüber verpflichtet
2. Die Intention des Handelns, ich bin also einer Gesinnungsethik verpflichtet
3. Das Handeln selbst, meine Vorgehensweise, ich bin also einer Handlungsethik gegenüber verpflichtet

Irrtümer der Gesinnungsethik und der Ergebnisethik
Der Irrtum der Gesinnungsethik besteht darin, dass es nur auf meine Gesinnung ankommt. Leider gilt immer noch das Sprichwort: »Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.« Die Ergebnisethik handelt nach dem Motiv: »Der Zweck heiligt die Mittel.« Das rechtfertigt letztlich jede Handlungsweise, wenn das Ergebnis gut und ethisch verwertbar ist. Darin liegt die große Gefahr, sich mit seinem Handeln hinter einem Ergebnis zu verstecken. Die sittliche Qualität einer Entscheidung liegt jedoch in der Handlung selbst. Sie liegt nicht in den Folgen der Handlung. Auch nicht im guten Willen. Damit ist für einen verantwortungsbewussten Menschen die Handlungsethik die Orientierungshilfe. In der Handlungsethik versteckt sich niemand hinter Absichten oder Ergebnissen, sondern ist bereit, für die überschaubaren Konsequenzen seines Tuns gerade zu stehen.

Das Ziel der Verantwortung war und ist, zu klären, wofür jeder Einzelne zu 100 Prozent verantwortlich ist. Dazu bedarf es zunächst der Begriffsklärung. Die Führungskräfte in einigen von mir betreuten Unternehmen haben sich auf folgende Definition verständigt: »Verantwortung bedeutet die Selbstverpflichtung, unter Zugrundelegung eines Wertesystems zu handeln und dafür einzustehen.« Ergänzend füge ich hier noch einmal hinzu: »Für die überschaubaren Folgen des Handelns einzustehen.«

Zum Handeln gehört nach diesem Verständnis auch das Nichthandeln!
»Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde« ist als kategorischer (bedingungslos gültiger) Imperativ (Handlungsgebot) Kants bekannt. »Handle stets so, dass Du Dein und fremdes personales Leben eher mehrst, denn minderst«, ist die Handreichung von Prof. Dr. Rupert Lay.

In diesem Zusammenhang sei auf die Wirtschaftlichkeit und unsere Verantwortung ihr gegenüber hingewiesen. Es ist sicher jedem von uns klar, dass weder der Arbeitgeber noch irgendein Arbeitnehmer darauf erpicht ist, erfolglos zu sein, Verluste zu machen. Verluste bringen die Existenzgrundlage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso in Gefahr, wie das Unternehmen selbst. Geht man davon aus, dass jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter statistisch betrachtet eine Familie mit 2,15 Personen zugeordnet werden kann, so liegt die »Personalverantwortung« eines Unternehmens mit rund 1 000 Mitarbeitern bei etwa 2 150 Menschen, mit all ihren Hoffnungen, Wünschen und Träumen, ein Leben so zu führen, wie es die ganz persönliche Lebensorientierung vorsieht. Und dies gilt über den Abschnitt des Arbeitslebens hinaus. Damit wird deutlich, dass ein verantwortungsbewusstes, ordentliches Wirtschaften auch für die Zukunft von immenser Bedeutung ist. Die Preise so zu kalkulieren, dass die genannten Verpflichtungen bedient werden können, dass andererseits aber keine Wettbewerbsnachteile entstehen und darüber hinaus noch Mittel für zukunftsichernde Maßnahmen übrig sind, ist für viele Unternehmen zur stetigen Herausforderung geworden – auch vor dem Hintergrund einer doch sehr dynamischen Steuerpolitik. Es kommt also darauf an, wie wir Verantwortung verstehen. Hans Jonas hat hier mit seinem Buch Das Prinzip Verantwortung Pionierarbeit geleistet.

Die leider manchmal fehlende Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme hat die Verantwortungslosigkeit in unserer Gesellschaft recht hoffähig gemacht. Sich zu drücken, sich unsichtbar machen, wenn es eigentlich darum geht, gerade zu stehen, ist weit verbreitet. Aber woran liegt das? Nach meinem Eindruck entsteht Verantwortungslosigkeit meistens dadurch, dass kein Gewissensurteil ausgebildet wird. Das Gewissen wird ersetzt durch die normative Kraft des Faktischen. Getan wird, was getan werden muss. Da das Gewissen immer weniger abgefragt werden kann aufgrund der Umstände, verliert es immer mehr an Bedeutung. Es wird so ersetzt durch die normative Kraft des Faktischen. Gerade die Verantwortungslosigkeit ist nichts anderes als das Befolgen der normativen Kraft des Faktischen. Dem gilt es zu entgehen. Wer der Verantwortungslosigkeit entgehen will, der wird die Güterabwägung zu Rate ziehen müssen. Das bedeutet, verschiedene Güter so gegeneinander abzuwägen und in Beziehung zu setzen, dass das Handeln und Entscheiden das den Umständen nach bestmögliche Gesamtergebnis zur Folge hat.

Der verantwortungsbewusste Mensch wird sich also nie hinter Sachzwängen verstecken oder hinter Vorgaben, die er diskreditiert, indem er sich davon distanziert.

Die ethische Prämisse
Bleibt zum Schluss die Frage: wo ist die entscheidende Prämisse für ethisch motiviertes Handeln, ethisch motivierte Verantwortung nun zu finden? Nun, die ethische Prämisse für verantwortliches Handeln steckt im Selbstverständnis einer jeden Führungskraft, eines jeden Unternehmers. Es ist die Prämisse der Freiheit. Jeder Unternehmer, jede Führungskraft zieht es vor, sich in einer Welt wiederzufinden, in der Handlungen so interpretiert werden, als hätten sie auch unterbleiben können, und Handlungen, die unterblieben sind, so interpretiert werden, als hätten sie auch geschehen können. Demnach will kein Unternehmer, kein verantwortlich handelnder Mensch sich in einer Welt bewegen, in der alles nach nacktem Determinismus vorherbestimmt ist und ihm nur die Rolle desjenigen zukommt, der der Vorsehung die Kastanien aus dem Feuer holt. Aus diesem Grund erwächst aus unserem Selbstverständnis die maßgebliche ethische Forderung: Wir sind aufgrund des Bedürfnisses, uns als freie Menschen wahrnehmen zu wollen, verpflichtet, nach Wegen der bewussten Gestaltung unserer Umwelt zu suchen. Andernfalls überlassen wir alles der blinden Notwendigkeit, den strukturellen Sachzwängen, dem zufälligen Recht des Stärkeren, der Willkür und dem Chaos.