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Management, wie wir es heute kennen – ein Auslaufmodell?
»Was wir unter dem Etikett von Management tun, ist schlimmer als alles, was wir jemals unseren Kindern zumuten würden!« Niels Pfläging geht hart ins Gericht mit dem herkömmlichen Management. Dieses basiere auf veralteten Vorstellungen von Märkten und Menschen und müsse den neuen Bedingungen angepasst werden. Ein auf Weisung und Kontrolle gegründetes Management könne überhaupt getrost über Bord geworfen werden. Ein Interview mit Niels Pfläging.

 

        

perspektive:blau: Sie plädieren mit den zwölf neuen Gesetzen der Führung für ein völlig anderes Verständnis von Führung, eine völlig andere Unternehmenskultur. Weg vom Alpha- hin zum Beta-Unternehmen. Was haben wir uns darunter vorzustellen?

Niels Pfläging: Management, so wie wir es heute kennen, hat seine Ursprünge im Industriezeitalter. Zu jener Zeit, also vor rund 100 Jahren, als Vordenker wie Frederick Taylor, Alfred Sloan und Henry Ford sich Prinzipien »guten« Managements ausdachten, bewegten sich Unternehmen in recht trägen, beherrschbaren und wenig dynamischen Märkten. Management als Methode trägt dem Rechnung. Zudem waren unsere Kenntnisse über den Menschen und seine Leistungsfähigkeit sehr begrenzt: Die dominante Denke jener Zeit war, Menschen arbeiten ungern, sind faul und recht dumm und zu wenig Kreativität fähig – außer vielleicht, wenn es darum geht, sich der Arbeit zu entziehen. Auch dieser Sicht auf den Menschen trägt Management Rechnung.

Wenn wir also heute über Management reden, dann meinen wir bis heute damit im Kern eine Organisationstheorie, die wenig dynamische, träge Märkte unterstellt und abhängige, mehr Eseln als Menschen ähnelnde Menschen. Unsere Märkte haben sich aber dramatisch verändert – sie sind heute nicht mehr träge, sondern hochdynamisch und komplex. Und die Menschen waren nie so, wie von der Managementlehre des Industriezeitalters unterstellt. Das heißt, wir brauchen heute, im Wissens- oder Informationszeitalter, etwas ganz anderes als das alte Management, das ich »Alpha« nenne. Wir brauchen Organisationstechnologie, die mit Komplexität und intelligenten, gebildeten und an Demokratie und Leistung gewöhnten Menschen umgeht. Management ist dafür vollkommen ungeeignet. Es ist schädlich. Es steht Organisationen und Leistungen im Wege. Wir brauchen einen anderen Kodex. Nicht mehr »Alpha«, sondern Beta. Die gute Nachricht ist: Beta gibt es bereits – sowohl in der Theorie, als auch vereinzelt in der Praxis.

Wie ein roter Faden zieht sich durch Ihre Ausführungen ein bestimmtes Menschenbild. Quasi die Grundlage für Ihren revolutionären Ansatz. Was macht Sie so sicher, dass Sie damit für die Praxis richtig liegen?

Seit den 50er und 60er Jahren haben wir viel über die Natur des Menschen gelernt. Wir wissen heute eine Menge darüber, wie Menschen ticken. Wir wissen beispielsweise, dass Menschen nicht durch äußeren Einfluss motivierbar sind, sondern dass jeder von uns Motive und damit verbundene Motivationsenergie in sich trägt, die sich an Organisationen und Sinn binden will. Wir wissen damit z.B. auch, dass es zwecklos und schädlich ist, Menschen durch Geld motivieren zu wollen. Man kann Menschen auf diese Weise nur demotivieren und zu schädlichem Handeln anreizen. Und das ist – wohlgemerkt – keine Meinung von mir. Das ist robuste Theorie, die ihre Wurzeln in allen möglichen Wissenschaften hat – der Psychologie etwa, den Sozialwissenschaften und der Hirnforschung.

Wenn wir uns aber nun anschauen, was Unternehmen so treiben, dann sehen wir: Dort wird fast überall versucht, zu motivieren, zu bestechen, zu bestrafen. Das ist so, als würden wir heute noch Quacksalberei betreiben wie die Heiler des Mittelalters, die kaum Kenntnisse über den Ursprung von Krankheiten hatten. Was wir heute unter dem Etikett von Management tun ist schlimmer als das, was wir jemals unseren Sprösslingen in der Kindererziehung zumuten würden! In Unternehmen aber sind Praktiken wie Bonus- und Anreizsysteme, Anwesenheitskontrollen, individuelle Zielvereinbarungen und Mitarbeiterbeurteilungen gang und gäbe. Unserem heutigen Wissen über die Natur des Menschen zum Trotz. Man kann also sagen: Management ist vorwissenschaftlich. Es ist menschenfeindlich. Es ignoriert grundlegende Kenntnisse über die Märkte, in denen wir agieren. Darum gehört es abgeschafft.

Sie halten unter Anderem nicht nur Budgetierung, sondern Planung generell für überholt. Warum?

Dass Unternehmen keine Planung brauchen, ja dass jede Form von Planung zwangsläufig schädlich ist für Organisationen, das ist eine weitere Konsequenz aus der Natur der Märkte, in denen Unternehmen heute unterwegs sind. Dazu müssen wir uns einmal bewusst machen, was Planung ihrem Wesen nach eigentlich ist. Es ist eine Management-Methode, in der wir zu einem bestimmten Zeitpunkt Richtungen und Ziele für die Zukunft festlegen, und in der wir ebenfalls heute darüber entscheiden, planen(!), wie wir diese Ziele erreichen. Also: welchen Weg wir wie in Richtung Ziele gehen werden. Planung enthält damit immer zwei Entscheidungen: über das Ziel. Und über den Weg.

Dass es diese Entscheidungen gibt, das sieht man daran, dass in der Praxis ausgiebig, ja meist monatelang über Ziele und die Wege dahin verhandelt und geschachert wird, und dass am Ende jedes Planungsprozesses der Plan durch Management-Entscheidung Gesetz wird. So weit, so schlecht. Das Dilemma von Planung ist aber: Wenn Märkte dynamisch und komplex sind, dann ist Planung nicht die richtige Methode, um mit der daraus entstehenden Unsicherheit umzugehen. Planung schaltet Anpassungsfähigkeit aus, erzwingt einen Tunnelblick in Unternehmen und zwingt Menschen dazu, auf der Spur zu bleiben. Das ist, im Kern, eine Haltung, die man als sowjetisch bezeichnen muss. Denn das ist zutiefst planwirtschaftlich-bürokratisch, und gleichzeitig autokratisch-hierarchisch, weil eine kleine Minderheit die breite Mehrheit unterdrücken muss, damit der Plan umgesetzt wird. Die Ironie dabei ist, dass wir längst wissen, dass Sowjetmethoden nicht funktionieren. In Unternehmen wenden wir sie aber weiterhin an. Und optimieren weiter fleißig daran herum.

Was Unternehmen brauchen, das ist jedoch nicht mehr oder bessere Planung. Sie brauchen mehr und besseres Denken, sie brauchen unternehmerisches Empowerment. Sozial- statt Fremdkontrolle. Transparenz. Vernetzte, im Dialog stehende Menschen. Exzellenz in der Vorbereitung. Entscheidungen so spät wie möglich, statt so früh wie möglich.

Dass Unternehmen Planung brauchen ist nichts anderes als Mythenbildung. Hochgehalten wird Unternehmensplanung von oft gut-meinenden Kontrollfreaks, die glauben, Menschen und Märkte müssten irgendwie gesteuert werden. Das ist aber weiter nichts als ein unzeitgemäßes und schädliches Vorurteil, das wir gemeinsam auflösen müssen.

Wenn so viele heilige Kühe geschlachtet werden, dann gibt es sicher viel Gegenwind. Wie überzeugen Sie die Skeptiker?

Es heißt ja nicht umsonst, Entlernen sei das Schwierigste am Lernen. Ich würde darum, wenn wir über den Abschied vom Alpha-Management und den Beginn einer neuen Ära echter Beta-Führung nachdenken, nicht von Gegenwind und Skepsis sprechen. Sondern von Ent-Täuschung. In diesem Begriff steckt drin, dass es hier um das Ende einer Täuschung oder Selbst-Täuschung geht: Management ist ein großer Irrtum, den man erstmal verarbeiten muss. Peter Drucker schrieb schon vor vielen Jahren, 90 Prozent dessen, was wir Management nennen, sei nichts weiter als ein Geflecht von Praktiken, die Menschen daran hindern, ihre Arbeit zu machen. Natürlich bedeutet der Abschied von so vielen Instrumenten, Ritualen und Glaubenssätzen auch eine schmerzvolle Entsagung von teilweise liebgewonnenen Gewohnheiten.

Wir alle sind mit einem bestimmten Verständnis von Organisation, Führung oder auch Veränderung vertraut, das sich nun als Alpha entpuppt. An Universitäten und in MBAs wird fast ausschließlich Alpha gelehrt – wenn dort mal Beta durchscheint, z.B. wenn es um Qualität und Logistik bei Toyota geht, dann ist das die Ausnahme. In Unternehmen kopieren wir derweil beständig Best Practices – die meist nichts anderes sind als dubiose Alpha-Konzepte. Berater verdienen ihr Geld damit, Alpha zu predigen und zu optimieren. Dass nun alles anders sein soll, das sorgt gelegentlich bei meinen Vorträgen, aber auch in der Beratungsarbeit erst einmal für ein Gefühl der Leere und eben der Enttäuschung.

Ein Topmanager sagte mir mal nach einem Vortrag, die erste Auseinandersetzung mit Beta habe sich für ihn angefühlt wie ein Tritt in die Magenkuhle. Später habe er das dann verdaut und er könnte sich nun nicht mehr vorstellen, in das alte Managementdenken zurückzukehren. Bei mir selbst war das im Übrigen nicht viel anders! (lacht)

Was gewinnen Unternehmen, wenn Sie den Beta-Kodex implementieren?

Sie gewinnen im Wesentlichen genau das, was die sowjetischen Volkswirtschaften bei ihrer Hinwendung zu Marktwirtschaft und Demokratie gewonnen haben. Weitaus höhere Wirtschaftlichkeit. Ein weitaus höheres Maß an individueller und kollektiver Freiheit. Um nur zwei Aspekte zu nennen.

Die Frage ist aus meiner Sicht eigentlich nicht so sehr, was Unternehmen durch Beta gewinnen. Sondern: Wie lange wollen wir es uns eigentlich noch leisten, weiter Alpha zu machen? Denn letztlich ist Alpha eine geradezu lächerliche markt- und menschenfeindliche Denkweise – und führt damit zu unglaublicher Verschwendung von Ressourcen und Talenten. Wer sich davon vergewissern will, der braucht nur mal einen Blick in die Funktionsweise üblicher Konzerne oder auch der meisten mittelständischen Unternehmen zu werfen.

Sie erwähnen sehr häufig das Beispiel dm-drogerie markt. Würden Sie sagen, das ist ein vorbildliches Beta-Unternehmen?

Wir haben in den letzten zehn, elf Jahren verschiedenste Beta-Organisationen gefunden. Große und kleine. Aus verschiedensten Märkten und Ländern. dm-drogerie markt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ein Unternehmen den Beta-Kodex in der Praxis zum Leben erweckt hat. Aber auch andere Pioniere wie Google, Southwest Airlines, Gore, Aldi, Ikea, Toyota, Guardian Industries, Trisa, Whole Foods, Egon Zehnder International oder Schwedens größte Universalbank, Handelsbanken, sind Beta. Und damit sehr erfolgreich.

Sie sagen auch, dass Führungskräfte gar nicht mehr die Wahl zwischen Alpha-Haltung und Beta-Kodex haben, sondern es nur mehr eine Frage von früher oder später ist. Was macht Sie da so sicher?

Der Grund dafür ist: Die Welt hat sich bereits verändert. Punkt. Die Märkte, in denen Unternehmen sich behaupten müssen sind bereits »Beta« – und das schon seit Jahrzehnten. Menschen sind schon immer Beta gewesen, auch wenn das Management des Industriezeitalters versucht, sie sich zu willfährigen Rädchen in der Maschine zu machen – weitgehend erfolglos, aber mit der Energie der Verzweiflung.

Im Endeffekt ist Management per Weisung und Kontrolle, so wie es heute noch in der überwältigenden Mehrheit der Unternehmen weltweit praktiziert wird, ein Auslaufmodell, weil es auf falschen Vorstellungen von Märkten und Menschen fußt. Gewinner werden diejenigen Unternehmen sein, die sich jetzt von diesen Alpha-Vorstellungen befreien, und sich dem Beta-Denken zuwenden. Die netzwerkartige Strukturen schaffen, dialogische Führung praktizieren, und radikal anpassungsfähige Prozesse schaffen. Der Beta-Kodex und die Pioniere aus der Praxis weisen dabei den Weg.