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Trendradar: Resilienz
In Zeiten der Krise sind Stehaufmännchen gefragt. Sich nach Rückschlägen wieder aufzurichten, Strategien gegen die Krise zu entwickeln wird immer wichtiger. Was sind aber die Erfolgsmuster, um der Zukunft nicht mit Angst, sondern viel Mut entgegen zu treten? Ein Streifzug durch Trends, die auf Resilienz setzen, Widerstandskraft aufbauen und der Krise trotzen.

Alain Egli

        


 
as angebrochene »Age of Less« stellt neue Anforderungen: Hart sein in harten Zeiten. Angesichts von wachsenden Knappheiten (Luft, Wasser, Rohstoffe, Geldmittel...) wird Unverwüstlichkeit zur gefragten Qualität: von Produkten, von Systemen – und von Menschen. Was also macht ein Stehaufmännchen aus? Dieser Frage ging erstmals die Psychologin Emmy E. Werner nach, als sie auf der Insel Kauai während vierzig Jahren die Entwicklung von Kindern aus belastenden Verhältnissen (Armut, Alkoholismus etc.) beobachtete. Werners 1971 vorgelegte Untersuchung gilt heute als Pionierstudie zu einem Thema, zu dem jetzt mehr denn je geforscht wird: Resilienz.

Das Wort (von lat. resilire, »zurückschnellen«) bedeutet in etwa »Elastizität« – in der Physik zum Beispiel die Eigenschaft eines Materials, nach Belastungen wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren. Inzwischen wird der Begriff auch von Informatikern, Biologen oder Urbanisten gebraucht, seit ein paar Wochen ist ein Buch mit dem Titel Resilience in der Bestsellerliste der New York Times, und auch Google Trends registriert eine Zunahme der Wortverwendungen. Das ist erst der Anfang. Ungemach bewältigen zu können, wird immer wichtiger.

Städte: Von der Katastrophe zur Katharsis
Hiroshima oder Dresden, Banda Aceh oder New Orleans: Manche Städte kommen nach einer Katastrophe wieder auf die Beine, andere nicht. Lawrence J. Vale und Thomas J. Campanella haben dieses Phänomen in ihrem Buch The Resilient City: How Modern Cities Recover from Disaster untersucht. Anregung war eine Konferenz am Massachusetts Institute of Technology (MIT), welche 2002 die traumatischen Terroranschläge in New York aufarbeiten wollte.

Die Erkenntnis der Autoren: Ob bombardiert oder von Erdbeben heimgesucht, verstrahlt oder überflutet – Städte und ihre BewohnerInnen zeigen ihren wahren Charakter häufig in Extremsituationen. So litten nach 9⁄11 relativ wenige New YorkerInnen längerfristig unter schweren psychischen Störungen; sie sind also vergleichsweise resilient.

Wenngleich sich ein gemeinsames Erfolgsmuster nur vage formulieren lässt, beschreibt die American Psychological Association (APA) doch eine Reihe von allgemeinen Maßnahmen, darunter: »Soziale Kontakte aufbauen«, »Krisen nicht als unüberwindlich betrachten« oder »die Opferrolle verlassen«. »Zu sich selber schauen« gehört übrigens auch dazu.

Handel: Vom Outdoor- zum Survival Store
Bislang half uns die boomende Outdoor-Branche beim Überleben in der rauen Natur. Ob Trekking im Himalaya, Expeditionen in der Antarktis oder Überlebenswochen im Jura: Der Fachhändler hatte die nötigen Materialien, Geräte und Gadgets. Doch inzwischen ist der Alltag extremer geworden. Gegen die Widrigkeiten der Krise bieten uns jetzt auch Food-, Fashion- und Unterhaltungsbranche immer mehr Überlebensprodukte an – Resilienz vom Regal, die Websites vfestival.com und survivalkitshop.com sind hier höchstens die Spitze des Eisbergs. (Nur auf Velo- und Büro-taugliche Outfits warten wir noch in unseren durchgescheuerten Anzugshosen.)

Die angesehene Design- und Beratungsfirma Graj & Gustavsen geht nämlich noch einen Schritt weiter: Die New Yorker Retail-Experten haben als neues Ladenkonzept einen »Survival Store« entwickelt mit allem Notwendigen für die aktuelle Krise: günstige Lebensmittel; dauerhafte Kleidung; ein Fahrrad als Ersatz fürs plötzlich zu teuer gewordene Auto usw. Ergänzt wird die Palette durch ein Erlebnisangebot, das uns fit für die Krise machen soll. Die Idee hinter dem Konzept: Hilf den Menschen mit Spaß statt mit Angst in die Zukunft zu gehen; laut Time Magazine eine der »Ten Ideas Changing the World Right Now«.

Konsum: Vom Rausch zum Tausch
Resilienz bedeutet, auf wechselnde Anforderungen reagieren zu können. Das zeigt sich in der aktuellen Wirtschaftskrise. Wenn weniger Geld für Shopping da ist, müssen Konsumgelüste anders befriedigt werden. Tipps dazu erteilen LeserInnen der New York Times im Blog »Living with less. The human side of the global recession«. Abhilfe verschaffen aber auch Tauschbörsen. Websites wie Bartercard.com, U-Exchange.com, WhatsMineIsYours.com, Freecycle.org oder Hitflip.de bieten eine enorme Vielfalt an gebrauchten Sachen.

Entstanden sind solche Börsen schon vor der Krise, empfinden doch zahlreiche Menschen eine latente Unzufriedenheit gegenüber maßlosem Konsum. Sie hinterfragen zunehmend die Dringlichkeit und Notwendigkeit ihrer Einkäufe. Da ist Sachentausch eine naheliegende Option. Entsprechend verzeichnen die Tauschbörsen einen kontinuierlichen Zuwachs. Heute lässt sich über Veggietrader.com selbst Gemüse aus dem eigenen Garten gegen anderes Gemüse tauschen. Da können auch Unternehmen profitieren: Um Neukunden anzusprechen, führte etwa Ikea Holland eine Möbeltauschaktion durch, wo Leute ihre gebrauchten Stücke untereinander tauschen konnten.

Essen: Vom «Refill» zum «Ich will»
Selbstbestimmung erhöht die Resilienz. Beim Nahrungsmittelkonsum zeigt sich das Bedürfnis nach Kontrolle exemplarisch: Eine Untersuchung des GDI Gottlieb Duttweiler Institute hat ergeben, dass die Konsumenten die Ernährungskultur der 1990er Jahre rückblickend mit Intransparenz, Machtlosigkeit und Misstrauen assoziieren. Immer mehr Kunden versuchen jetzt, Kontrolle zurückzugewinnen. Davon zeugen das Revival des Gärtnerns ebenso wie die wachsende Nachfrage nach regional, nachhaltig und tiergerecht produzierten Lebensmitteln – Trends, die der GDI-Analyse zufolge Zukunft haben.

Dennoch bleibt Essen in der arbeitsteiligen Gesellschaft häufig fremdbestimmt. Dabei fühlen sich die Menschen in einer Werte-Wüste, insbesondere in den »Refill-Situationen« der funktionalen Nährstoffaufnahme (Zwischenmahlzeiten, Take-Away, Lieferdienst), wo sie den Einfluss auf Rohstoffbeschaffung und Fertigung gänzlich abtreten müssen. Findigen Anbietern eröffnen sich dadurch auch hier Markt-Chancen: Zwischenmahlzeiten, welche die gewünschte Definitionsmacht mitliefern. Dafür lassen sich, nebenbei bemerkt, auch höhere Preise erzielen.

Lernen: Vom inneren Schweinehund zum nörgelnden Commitment Device
Resilienz ist lernbar, das hat die Forschung belegt. Den nötigen Druck verschaffen uns neuerdings elektronische »Commitment Devices«: Googles »Email Addict« etwa verhilft E-Mail-Süchtigen zu fünfzehnminütigen Zwangspausen für konzentriertes Arbeiten. Wer zu viel, zu fett oder zu süß isst, abonniert sich eine »virtuelle Ehefrau aus Japan«, die in unregelmäßigen Abständen per E-Mail und SMS über die schlechten Gewohnheiten nörgelt. Und Fitbit zählt Ihre Schritte, die Kalorien, die Sie essen, und die Stunden, die Sie schlafen.

Gemäß dem Journal of the American Medical Association soll solche Selbstüberwachung mit Selbst-Verpflichtungswerkzeugen viel effektiver sein als eine Magenverkleinerung oder Zucker- und Fettsteuer. Und wem die technische Selbstkontrolle nicht genügt, kann sich zusätzlich sozial kontrollieren lassen, indem er seine Fitness-Werte und -Ziele auf Facebook seinen Freunden mitteilt. Bereits absehbar: Was heute noch freiwillig ist, wird morgen standardmäßiger Bestandteil von MS-Office, Google und iPhone etc. sein, jedes Device wird auch unsere Moral überwachen können – mit oder ohne Opt-out-Funktion.

Innovation: Vom Funkeln zum Funktionieren
Auch bei der Technikentwicklung wird in Zukunft mehr auf Resilienz gesetzt: auf robuste Geräte, die selbst unter rauen Bedingungen funktionieren, einfach zu bedienen, warten und reparieren sind und am Ende ihrer langen Lebensdauer demontiert und weiterverwendet werden können. Bisher wurden solche Geräte vor allem für den Einsatz in Entwicklungsländern gebaut, sie sahen grob und minderwertig aus. Das war in vielen Fällen zwar besser als gar nichts, oft aber diskriminierend – und vor allem nicht gut genug, um neue Märkte zu erobern.

Der bewusste Konsument will Technik, die nachhaltig, robust und schön ist. Um neue Massenmärkte zu erschließen, müssen Geräte daher beides sein: Kult in Tokyo, L.A. oder Zürich und funktionstüchtig in Burkina Faso oder Kasachstan. So erleben Fixies – reduzierte Fahrräder ohne Bremsen, Gangschaltung oder Licht – zur Zeit in allen europäischen Städten einen Boom. Die puristischen Bikes sind Vorreiter einer neuen Generation von Geräten, die reduziert aufs Wesentliche, nachhaltig und resilient sind.

Unternehmen: Vom Prassen zum Maßhalten
Eine der häufigsten Todesursachen ist derzeit das Austrocknen – zumindest bei US-Firmen, denen die flüssigen Mittel ausgehen. Wer wie damals Lehman Brothers im Standard-&-Poor’s-Rating auf ein D abrutscht, bekommt keine Kredite mehr. Früher wusste jeder Unternehmer: Kredibilität (Kreditfähigkeit, aber auch Glaubwürdigkeit) und genügende Eigenmittel sind die Grundvoraussetzungen für die Widerstandskraft – die Resilienz – von Firmen. Wer zu große Risiken eingeht, verliert das Vertrauen. Und wer zu große Abhängigkeiten eingeht, gibt seine Selbstbestimmung auf. Nur ein genügender Cashflow erlaubt eine Weiterentwicklung. Damit verliert auch der Fetisch von Eigenkapitalrendite und Shareholder-Orientierung an Bedeutung.

Doch nicht nur von den Investoren, auch von den Mitarbeitern verlangt eine widerstandsfähige Firma ein gewisses Maß an Bescheidenheit. Geldgier gebiert keine nachhaltigen Ideen, die zuverlässigste Motivation ist intrinsisch; dafür müssen Unternehmen ein geeignetes Umfeld schaffen. Überhaupt ist Selbstsucht ein dürrer Boden. Faire Kooperationen hingegen schaffen eine stabile Basis für die Zukunft. Hier sind Genossenschaften gut aufgestellt.

Systeme: Vom Spezialisten- zum Generalistentum
Wer überlebt? Die Frage der Resilienz stellt sich auch in Bezug auf ganze Systeme. Heute leben wir effizienzgetrieben. Das führt zu Spezialisierungen, denn Spezialisten optimieren die Funktionen innerhalb ihres klar definierten Bereichs. Allerdings vernachlässigen sie dabei das Gesamtsystem, weil es per definitionem nicht in ihrem Blickpunkt ist.

Gerade die hoch spezialisierte Finanzbranche hat uns aber gelehrt, dass eine fehlende Gesamtschau krisenanfällig macht; Risiken lassen sich nicht outsourcen. Desgleichen in der Medizin, wo die fortschreitende Arbeitsteilung immer mehr Verästelungen entstehen lässt mit eigenen Koryphäen, Instrumenten und Medikamenten; wo die Interdependenzen und Nebenwirkungen aber zunehmend unkontrollierbar werden. Oder die Informationstechnologien, die uns heute stärker beherrschen als wir sie. Systeme, so wird klar, ertragen nur ein bestimmtes Maß an Spezialisierung. Sonst werden sie unstabil. Robustheit setzt Redundanz voraus. Und es braucht Generalisten: Der Einzelne muss vom Homo Oeconomicus wieder zum Homo Sapiens werden.  

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI).