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Kollegiale Beratung und Kooperation am Arbeitsplatz
Wie gestalten Unternehmen ihren Wissens- und Erfahrungstransfer? Immer öfter stehen Mitarbeiter heute vor der Herausforderung, Wissen in neuen, unbekannten Kontexten anzuwenden. Kollegiale Beratung fördert Lernprozesse, bei denen sich entlang konkreter Anliegen im aktuellen Arbeitsumfeld Teilnehmer gegenseitig unterstützen. Und erreicht so nicht nur individuelle Lernerfolge, sondern auch die breite Streuung des Wissens in der gesamten Organisation.

        


 
or circa zwanzig Jahren versuchten wir am ISB (Institut für systemische Beratung) eine Gruppe zu formen, in der sich unter didaktischer Anleitung Bildungsfachleute aus verschiedenen Unternehmen in kollegialem Austausch gegenseitig ihre Kompetenzen zugänglich machen sollten. Es war wohl zu früh dafür. Dieselben Kollegen, die gerne Zeit und andere Ressourcen dafür einsetzten, um eher ihrem Umfeld fern »in die Schule« zu gehen, waren für selbstorganisiertes arbeitsplatznahes Lernen noch nicht zu gewinnen. Das Lernglück wurde eher jenseits der eigenen Horizonte gesucht, wenn auch »Umsetzung« in eigene Welten schwierig war.

Doch das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht. Die Berufswelt hat sich weiter ausdifferenziert und die Anforderungen an direkte Anwendung von Gelerntem sind gestiegen. Nicht allein Wissen und Anregung sind gefragt, sondern rollen- und feldspezifisches Können. Anwendungsorientiertes Aufbereiten des eigenen Wissens für andere sowie persönliche Überzeugungskraft im gemeinsamen Lernen und in der Zusammenarbeit waren immer mehr gefragt.

Die Nachfrage nach Bildung und Vorstellungen anspruchsvoller Praktiker von Lernen haben sich auch geändert. Unverbundene Belehrungen aus der Perspektive einzelner Fachrichtungen sind immer weniger gefragt. Die gesellschaftliche Wirklichkeit verlangt die Integration von Wissen und Erfahrungen aus vielen Disziplinen, die situationsspezifisch auf konkrete Fragestellungen zugeschnitten werden müssen. Interdisziplinär kann dabei nicht additiv heißen, aus den unverbundenen Perspektiven der jeweiligen Fachrichtungen, sondern integrativ und bezogen auf die Bewältigung von Aufgaben.

Die Lehre vieler Fachinstitutionen und Hochschulen stellt sich darauf nur sehr unzureichend ein. Ansprüche dieser Art werden leicht als »verwertungshörig« und »unwissenschaftlich« verunglimpft. Dass es hier auch unangemessene Vereinfachungs- und Rezeptwünsche gibt, ist unbestritten, doch gibt es auch differenzierte Formen sich den berechtigten Wünschen zu stellen. Das heißt in erster Linie Lernprozessgestaltung, die der ganzheitlichen Verantwortung von Praktikern und deren Wünsche nach effizientem, persönlichkeitsspezifischem und umsetzungsgeeignetem Lernen gerecht wird. Kein Bildungsprogramm kann heute per Lehre das ganze für professionelle Kompetenzbildung erforderliche Spektrum abdecken. Vielmehr muss damit Ernst gemacht werden, Bildungsveranstaltungen vorrangig als Foren für selbstgestaltetes beispielhaftes Lernen zu verstehen.

Vielfalt benötigt eine neue Lernkultur
Für die meisten organisationsinternen und -übergreifenden Teams gilt: Ihre Mitglieder kommen aus vielfältigen Grundberufen, sind in verschiedenen Branchen, Organisationstypen in vielerlei Rollen, Funktionen und Verantwortungen tätig. Auch bezüglich Alter, Geschlecht, Lernstilen, Lebensorientierung usw. werden sie eine Vielfalt bieten, die ein einheitliches Lehrprogramm niemals adressieren kann. Die Kunst muss darin bestehen, eine Lernkultur zu initiieren und zu pflegen, in der die Teilnehmer motiviert und in die Lage versetzt werden, sich ihr Wissen gegenseitig kompetent zur Verfügung zu stellen. Lernerfolg besteht eben auch im Lernen lernen, darin, immer lernfähiger zu werden, vorhandene Kompetenzen für eigenes Lernen zu nutzen und Lernen sich selbst wie auch anderen Beteiligten zur Freude zu machen.

So plausibel und naheliegend dies alles zu sein scheint, so sorgfältig muss eine entsprechende Lernkultur aufgebaut und gepflegt werden. Jeder, der schon selbstgesteuertes Lernen initiiert hat, weiß, dass dies ohne sorgfältige Steuerung nur zufällig gelingt. Ohne gezielte Maßnahmen und geeignete Regeln am Anfang finden sich z.B. eher Partner, die ohnehin gut zurechtkommen. Andere, denen eher wenig gelingt, und die am meisten Unterstützung brauchen, fallen leicht aus dem kollegialen Austausch heraus. Setzt man z.B. auf Anfangsbegeisterung, hält aber im Aufbau einer Lern- und Kooperationskultur nicht nach und etabliert Verbindlichkeit, fehlt leicht die für bleibende Effekte kritische Masse an neuer Erfahrung. Die daraus erwachsenden Enttäuschungen, Defizite, Versäumnisse und Konflikte verbrauchen dann oft ein Vielfaches an Kraft als man für richtigen Kulturaufbau gebraucht hätte. Was dann noch zu retten ist, bleibt fraglich.

Sorgfältig gestaltetes selbstgesteuertes kooperatives Lernen ist in vielen Bereichen schlicht effizienter und effektiver. Angesichts der Umsetzungsdefizite überall ist dies ein positives Argument. Außerdem dient es der Berufs- und Lebenszufriedenheit und der Gesundheit. Nach Antonovski sind Menschen umso weniger krankheitsanfällig, je besser sie ihre Welt verstehen, je wirksamer sie sich fühlen und je mehr Ihnen ihr Wirken Sinn macht. Da dies alles heute auch von Spiegelungen in relevanten Bezugsgruppen abhängig ist, dient gemeinsames Lernen auch der Professions-Kulturpflege in solchen Gemeinschaften. Und schließlich ist zu hoffen, dass solche Gemeinschaftserfahrungen einem Ausgeliefertsein und möglicher Korrumpierbarkeit im Angesicht sinn- und skrupelloser Organisationsdynamiken entgegenwirken. Und neben den personenqualifizierenden Effekten ist mit systemqualifizierenden zu rechnen, dies je mehr Gleichgesinnte in einer Organisation zusammen Wirkung erzeugen. Organisationen werden wachsamer, wirksamer und wirtschaften besser. Bildung dieser Art ist besser und billiger als klassische Weiterbildung und kommt daher einem verantwortlichen Umgang mit Ressourcen entgegen.

Fallstricke bei der Einführung
Organisationen achten heute ohnehin auf kernaufgabennahes Engagement ihrer Mitarbeiter und stellen gleichzeitig höhere Ansprüche an Prozesse und Kooperationen. Einerseits wird eine arbeitsplatznahe Qualifizierung für angemessen gehalten, andererseits sollen aus Ersparnisgründen wenig externe Weiterbildungen in Anspruch genommen werden. So war das ISB gefordert, seine Erfahrungen in Sachen kollegialen Lernens als didaktische Konzepte, als methodisches Vorgehen, als Arbeitsfiguren und Hilfsmittel multiplizierbar aufzubereiten und Multiplikatoren zur Verfügung zu stellen. Dies einerseits durch programmatische Aufbereitung der vorhandenen Erfahrung und als methodisches Starter-Set für die Einführung in eine selbstverantwortete professionelle Lernkultur am Arbeitsplatz.

Mittlerweile haben wir selbst auch immer mehr Erfahrungen damit gesammelt, kollegiales Lernen in solchen Organisationen einzuführen, denen die ISB-Kultur nicht vertraut ist und in denen keine ausgebildeten Fachleute zur Verfügung stehen. Es funktioniert. Aber es funktioniert nur, wenn viele Prinzipien beachtet und auf den ersten Blick unscheinbare Gestaltungs-Gesichtspunkte verstanden und ernst genommen werden. Kollegiales Lernen ist neben Portfolioarbeit und Spielung ein »Trojanisches Pferd« für die Einführung intelligenter arbeitsplatznaher Lernsysteme. Trojanische Pferde müssen brauchbar und unverdächtig erscheinen. Dies ist gegeben. Jeder erkennt anhand erlebter Kostproben darin schnell eigene gute Lernerfahrungen und Lebenstauglichkeit.

Darin liegt aber auch eine Gefahr. Man glaubt vorschnell, sich schon auszukennen und alles schon irgendwie hinzukriegen, egal welche Kompromisse bei der Einführung gemacht werden. Während sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass man Antibiotika lange genug nehmen muss, um nachhaltige Wirkung zu sichern und Resistenzen zu vermeiden, beachtet man differenzierte Medikation sowie Dosis und Dauer von Maßnahmen bei Organisationsentwicklung oft nicht genug. Man ist leicht in Gefahr, für die Einführung und Regie zu wenig Sorgfalt zu verwenden und vieles zu Unerfahrenen oder gar Uninteressierten zu überlassen. Man glaubt es dennoch hinzukriegen, auch wenn man nicht bis zu dem Punkt, an dem diese Form des Lernens ein hochwertiger stabiler Selbstläufer geworden ist, dranbleibt. Doch dann versanden die Initiativen bald und alle fallen auf das Niveau ihrer alten Gewohnheiten zurück. Enttäuschungen machen sich breit, es wird an solchen Ansätzen und Initiativen überhaupt gezweifelt. Statt Aufbruch zusätzlicher Flurschaden. Dabei ist so vieles möglich, wenn man die wenigen erfolgsrelevanten Erfahrungen berücksichtigt und die verfügbaren Arbeitsmittel klug einsetzt.