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Bauchrede für Kopfmenschen – Wie Marketing für Technologieprodukte funktioniert
Anbieter von Technologieprodukten kümmerten sich bislang wenig um Marketing. Doch verschärfte Marktverhältnisse machen es nötig, dass auch sie sich vermehrt über Kundenbedürfnisse Gedanken machen. Und sie müssen erkennen: Nicht das technisch Komplizierte, sondern das menschlich Einfache verführt, denn Kaufentscheide – nicht nur für Konsumgüter – werden stets mit Verstand und Bauchgefühl getroffen.

        


 
arketing ist in einem Unternehmen oft etwas, das die Verkäufer oder der Geschäftsführer nebenher mit erledigen, wenn Sie »Aug’ in Aug’« dem Kunden gegenüberstehen. Und das geht ja auch, denn die Produkte sprechen für sich selbst. Die Kunden sind sachkundig und wissen, die Leistungen stets zu würdigen. Großartig die Werbetrommel zu rühren, weckt eher den Verdacht, es stimme etwas nicht mit den Produkten. Wunderbar, wenn einem derart umfassende Vernunft hilft, viel Zeit und Geld zu sparen.

Förmlich können wir den Stoßseufzer hören, der nach der Lektüre dieser Sätze die Runde macht. Denn das war einmal! Es war einmal, dass sich die Dinge von selbst verkauften, weil sie doch so offenkundig gut und nützlich waren!

Möglicherweise haben Sie in letzter Zeit folgende Erfahrungen gemacht: Ihr Unternehmen hat ein neues Produkt entwickelt, eine technologische Sensation. Sie haben es auf der wichtigsten Branchenmesse präsentiert. Sie haben den Vertrieb losgeschickt. Aber aus irgendeinem Grund scheinen Ihre potenziellen Kunden keine Notiz davon nehmen zu wollen, dass das Produkt eines ihrer heikelsten technologischen Probleme löst. Obwohl Sie es detailliert erklärt haben und jeder es verstehen müsste, der ein wenig die spezielle Materie kennt. Sie haben statt dessen das Gefühl, Ihre Kunden wollen es gar nicht so speziell. Aber was wollen sie dann von Ihnen hören?

Oder: Sie mussten feststellen, dass Leute, die ähnliche Sachen machen wie Sie, nur längst nicht so gut, auf einmal mächtig zulegen. Und zwar nicht, weil sie plötzlich bessere Technologen und Entwickler geworden wären. Oh nein! Sie haben sich und ihre Produkte nur auf fast unverschämte Weise herausgeputzt. Und die Kunden? Von denen scheint keiner zu bemerken, dass da nur alter Wein in neue Schläuche gegossen wird. Sie laufen dorthin, wo sie mehr Unterhaltung geboten bekommen. Obwohl es doch angeblich alle so ernsthafte, den Tatsachen verpflichtete Menschen sind wie Sie! Nun haben Sie das Gefühl, Sie müssten Ihren Kunden auch etwas mehr »Putz« bieten. Aber was für einen?

Diese oder ähnliche Erlebnisse haben sich in Ihrem Kopf womöglich bald zu einem Begriff für jene fürchterliche Achillesferse verdichtet, die Ihr Unternehmen dem Markt bietet: Marketing. Sie müssen mehr Marketing treiben.

Was Sahnejoghurt und Industrieofen gemeinsam haben
Ein Sahnejoghurt und ein Industrieofen sind, so möchte man meinen, zwei grundverschiedene Dinge. Sie unterscheiden sich in Material, Funktion, Gebrauchswert, Haltbarkeit und unzähligen weiteren Eigenschaften. Kurz gesagt, sie kommen jeder aus einer ganz anderen Produktwelt.

Aber genau das kann man auch zur Gemeinsamkeit umdeuten: Sahnejoghurt und Industrieofen kommen beide aus der Produktwelt, sind beides Waren. Man stellt sie her, um sie zu verkaufen. Wenn Sie jetzt einwenden, Verkauf und Kauf von Sahnejoghurt und Industrieofen hätten doch so gar nichts Gemeinsames, dann fragen wir: Und was ist mit den Käufern? Sind sie nicht das Gemeinsame?

Es geht nicht darum, wie viele Käufer von einem Industrieofen auch Sahnejoghurt kaufen, und umgekehrt. Es geht um das Kaufverhalten dieser Menschen. Grob gesagt, herrscht die Annahme, unser Käufer erwerbe seinen Sahnejoghurt (und auch Bücher, CDs, Fernseher oder Autos, eben alle Konsumgüter) allein in einem Akt freier Willensentscheidung. Dabei lasse er sich in erster Linie von seinen Vorlieben leiten, von Dingen also, die dem nüchternen Verstand nur teilweise untertan sind. Und genau hierfür, so die stillschweigende Übereinkunft aller Beteiligten, gibt es die ganze schöne Marketingwelt, die jeder von uns beim Besuch im Supermarkt oder abends beim Fernsehen erlebt.

Eine ebensolche Übereinkunft herrscht darüber, dass unser Sahnejoghurt-Käufer ein vollkommen anderer Mensch wird, wenn er zum Kauf eines Industrieofens (oder auch von Computerchips, Gabelstaplern und CNC-Bearbeitungszentren) schreitet. Hier nämlich wirke er bestenfalls als Beteiligter an einem Prozess kollektiver Willensbildung mit – und er tue dies ausschließlich unter Nutzung seines Verstandes. Deswegen sei es nur natürlich, das Marketing für solche Produkte so zu rationalisieren, dass auch nicht die Spur eines Verdachtes bleibt, hier solle irgendwer zu irgendetwas überredet werden.

Vermischen wir die Dinge
Glauben Sie, dass all das so ist? Dass Menschen sich verwandeln, wenn sie frühmorgens das Büro betreten, ähnlich wie jener nette Dr. Jekyll, der sich in Robert Louis Stevensons Geschichte in den bösen Mr. Hyde verwandelt? Räumen wir ein wenig auf. Oder besser gesagt, vermischen wir Dinge, die nur deshalb getrennt werden, weil Konsumgüter-Marketingwelt und Investitionsgüter-Marketingwelt (der Begriff hat sich, trotz seiner Unschärfe, zur Beschreibung allen Marketings außerhalb des Konsumgüter-Marktes eingebürgert, weswegen wir ihn auch benutzen) kaum miteinander reden.

Fangen wir beim Einfachen an: dem Mythos vom Einzelentscheid bei Konsumgütern. Wenn Sie verheiratet sind und sich den letzten Wochenendeinkauf mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner im Supermarkt ins Gedächtnis rufen, dann sollten wir mit diesem Punkt ganz schnell fertig werden. Aber wenn Sie noch nicht überzeugt sind, denken Sie an Ihren letzten Autokauf. Vielleicht können wir uns ja darauf verständigen, dass es Situationen gibt, in denen Sie noch nicht einmal über den Sahnejoghurt allein entscheiden können. Dass Sie sich statt dessen dabei ertappen, auch über ganz banale Kaufgegenstände mit dem Partner zu diskutieren. Dass Sie dies auf eine spezielle Weise tun, die Sie geübt haben, weil Sie Ihr Gegenüber kennen und demzufolge wissen, welche Argumentation Ihnen ein Maximum an Durchsetzungskraft verleiht.

Und nun fragen wir noch einmal: Worin besteht Ihrer Meinung nach, verglichen mit dem Beschriebenen, der fundamentale Unterschied in Ihrem Verhalten, wenn Sie eben beispielsweise am Kaufentscheid für einen Industrieofen beteiligt sind?

Dass der Industrieofen Sie persönlich völlig kalt lässt? Schwer zu glauben. Vielleicht haben Sie wochenlang an einer Entscheidungsvorlage gearbeitet. Als Mensch mit Ehrgeiz und technischem und betriebswirtschaftlichem Sachverstand haben Sie sich natürlich in die Materie vertieft. Sie haben die Zahlen geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass genau das von Ihnen vorgeschlagene Fabrikat die Anforderungen Ihrer Produktion am besten erfüllt. Aber zwei oder drei Ihrer Kollegen wollen sich Ihrer Argumentation einfach nicht beugen! Das lässt Sie nicht kalt. Zumal der günstige Ausgang der Entscheidung sichtbarer Ausdruck Ihrer guten Position im Unternehmen wäre. Und wenn Ihnen nun die Sachargumente ausgehen, dann greifen Sie, ehe Sie sich’s versehen, in dieselbe Argumentationskiste, die Sie für Ihren Partner im Supermarkt benutzen. Und weil Sie Ihre Kollegen weniger lieben als den Partner, sind Sie auch nicht sehr zimperlich in der Wahl der Mittel.

Dramen im Innern
Mobbing beim Technologieprodukte-Kauf? Dass, zumindest die Vorstufe davon, unterschwellige, auf emotionaler Ebene ausgetragene Kämpfe zwischen den Beteiligten, gut getarnt von Sachargumenten, auftreten, kann man sich ausrechnen. Auf jeden Fall haben Kaufentscheide bei Technologieprodukten ebenso mit Prestige zu tun wie bei hochwertigen Konsumgütern. Der Umstand, dass die Verbindung nicht so augenfällig ist, ändert nichts daran. Eine Maschine kann man nicht am Handgelenk tragen wie eine hochwertige Uhr. Aber jeder Verantwortliche im Unternehmen, der die Maschine erfolgreich arbeiten sieht, weiß, wem dieser Erfolg zu danken ist. Man muss diese Wirkweise nur umdrehen, um auf eine andere starke Emotion bei Technologieprodukte-Kaufentscheiden zu kommen: Angst. Dass eine Fehlentscheidung bei der Anschaffung eines kostenintensiven Investitionsgutes das Ende der Karriere bedeuten kann, leuchtet ein. Und zwar für denjenigen, der – Gruppenentscheid hin oder her – letztlich die entscheidende Unterschrift gegeben hat. Bekanntlich ist der Misserfolg ein Waisenkind.

Prestige und Angst, über solche Dinge wird in Unternehmen nicht gern geredet. Sie werden verdrängt. Emotionen, gleich welcher Art, erscheinen als unpassend, gar gefährlich für Kaufentscheide bei Technologieprodukten. Es geht ja um Betriebsvermögen und Unternehmensstrategie. So kommt es zu einer merkwürdigen Verschiebung der Wahrnehmung dessen, was im Entscheidungsprozess wichtig ist. Die Wahrnehmung setzt erst ein, wenn die Bestelllisten ausgefüllt und Vertragsverhandlungen geführt werden. Für diese Phase werden Marketing-Unterlagen entwickelt. Dann aber ist der Entscheid schon gefallen, vielleicht aus Gründen, die keiner mehr im Einzelnen nachvollziehen kann.

Fürs Protokoll gibt es rationale Kriterien zuhauf: das innovativere technische Detail des einen Anbieters, das zu weitmaschige Kundendienstnetz des anderen. Wenn es darum geht, das irrationale Moment von Kaufentscheiden mit betriebswirtschaftlich vertretbaren Argumenten zu tarnen, dann erlebt die Bürokreativität eine Blütezeit.

Nicht nur mit dem Bauch – aber erst recht nicht ohne
Es mag der Eindruck entstanden sein, wir behaupten, Technologieprodukte würden nur unter dramatischen Umständen und nur nach »Bauch« gekauft. Dem ist selbstverständlich nicht so. Die rationalen, also technischen und betriebswirtschaftlichen Argumente, die für oder gegen einen Anbieter und sein Produkt sprechen, werden in den meisten Fällen akribisch zusammengetragen. Aber sehr oft ergeben sie ein unangenehm diffuses Bild, auf dessen Grundlage kein klarer Ja-Nein-Entscheid gefällt werden kann. Das hängt auch damit zusammen, dass sich Produkte aufgrund ständig engmaschiger werdender Zulieferernetze mehr und mehr gleichen. Und damit, dass sie in ein Korsett internationaler Standards und Vorschriften gepresst sind, das die Tendenz zur Nivellierung noch verstärkt.

Um das Bild zu schärfen, bleibt dem Entscheider daher oft nur eines: den Bauch zu Hilfe zu nehmen. Welchem Anbieter, welchem Produkt traut er am meisten? Und wenn er mehreren traut: Welcher Anbieter, welches Produkt »gefällt« ihm am besten?

Selbstverständlich wird er keinem Kollegen verraten, dass er am Ende fleißiger Analyse vor einer so banalen Frage steht. Möglicherweise gesteht er es sich nicht einmal selbst ein. Aber in seinem Inneren handelt er danach, weil er gar nicht anders kann. Seinen Mitentscheidern ergeht es übrigens ebenso.

Ist die Ausgangslage sehr komplex – viele Anbieter, eine Vielzahl zu beachtender Details –, dann kann es sogar sein, dass die erste Bauchentscheidung gleich am Anfang steht, als Befreiungsschlag zur Herstellung einer Basis-Übersichtlichkeit. (»Diese hier machen mir den Eindruck, als könnten sie es nicht. Jene kommen erst einmal prinzipiell in Frage.«) Erst dann folgt die Sachanalyse und zum Schluss eventuell noch die oben beschriebene emotionale Zäsur.

Erinnert all das – Ausdiskutieren unter wechselndem Heranziehen von Emotion und Sachargumenten – nicht sehr an Kaufentscheide, die man privat zu fällen hat? Nicht gerade vor dem Tiefkühlregal, aber eben doch im Baumarkt oder Autohaus? Bilanz dieses Gedankenspiels: Kaufentscheide, gleich, ob für Investitions- oder Konsumgüter, werden meist kollektiv getroffen. Und stets in einer Mischung aus Verstand und Emotion. Der Käufer einer Maschine, eines Gerätes oder einer Software für betriebliche Zwecke ist derselbe Käufer, den wir in Supermarkt und Boutique treffen.

Gute Produkte – von guten Unternehmen
Was folgt daraus für den Gegenstand unserer Betrachtung, das Marketing? Was für Konsumgüter recht ist, sollte für Technologieprodukte billig sein. Gekauft werden Produkte, die aus einer sorgfältigen Analyse der Kundenbedürfnisse heraus entwickelt werden und dabei genau auf Lücken im Angebot zielen. Kundenbedürfnisse aber sind nicht technisch kompliziert, sondern menschlich einfach; Angebotslücken sind nicht offenkundig, sondern versteckt und klein.

Gekauft werden Produkte, deren Funktionalität sich auf eine logische und dem Auge wohlgefälligen Weise in der äußeren Gestalt niederschlägt – kurz gesagt: in gutem Produktdesign. Jawohl, das gilt auch und gerade für Technologieprodukte!

Gekauft werden Produkte, deren Preis dem Produktversprechen angemessen und daher weder zu hoch, noch zu niedrig ist. Gekauft werden Produkte, die befördert durch einen engagierten Vertrieb und geeignete Kommunikationsmittel ihr einfaches, menschliches Produktversprechen zielgenau ins Herz des Kunden versenken – und die (technologieproduktetypische) Schrotladung technischer Details zurückhalten, bis der Kunde danach fragt.

Gekauft werden Produkte, die aus einem guten Haus kommen. Wenn es einen, zumindest quantitativen, Unterschied zwischen Konsumgütern und Technologieprodukten gibt, dann liegt er hier. Weil die meisten Technologieprodukte sehr viel teurer sind als Konsumgüter und weil der Entscheid für ein bestimmtes Fabrikat meist langfristiger gilt als das konkret gekaufte Produkt (oft steigt man in ein System ein, das man nicht ohne Schmerzen wieder verlassen kann), ist die Vertrauenswürdigkeit des Anbieters von allerhöchstem Wert. Ja, ohne den guten Namen des Anbieters ist das Produkt nichts wert.

Für jeden deutschen Maschinenbauer in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wäre diese Aussage eine Binsenweisheit gewesen. Er wusste genau, welchen Wert seine Kunden etwa der Unternehmenstradition oder der Führung durch einen genialen Erfinder zumaßen. Und deshalb sprach es auch aus jeder Anzeige und jedem Firmenprospekt.

Heute aber muss man wieder darauf hinweisen, dass man darauf hinweisen muss. Wir haben uns an eine bunte, globalisierte Konsummarkenwelt gewöhnt, die Produkte marketingtechnisch in jedem denkbaren Abstand von ihrem Erzeuger platziert. Sie wissen, dass der Golf ein Produkt von Volkswagen ist. Aber welche Firma produziert die Pampers, in die Sie – vielleicht – Ihr Baby wickeln? Möglicherweise wissen Sie es nicht, und es kann Ihnen auch egal sein. Aber mit solcher Gleichgültigkeit ist es bei Technologieprodukten vorbei.

Deshalb sollten Sie nicht nur nachdenken, wofür Ihr Produkt steht, sondern auch, wofür Ihr Unternehmen steht, und es mit den Aussagen zu Ihrem Produkt verbinden. Wenn möglich, mit der gleichen Anschaulichkeit und Unterscheidungskraft.