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Trendradar: Handelstrends 2008+
Wie geht »Outsourcing of Outsourcing«? Was bedeutet »unstoring«? Warum droht beim Konsum ein Grounding? Die Forscher des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon⁄Zürich beschreiben die wichtigsten gesellschaftlichen Einflüsse und Entwicklungen. Der internationale Think-Tank erklärt zudem, was »open innovation« ist, welche Zukunft Qualität hat und weshalb der Rewe-Chef mehr Anstand verspricht.

Alain Egli und Tobias Gremaud

        


 
assenprodukte und Billigware waren gestern. Heute verlangen Konsumenten wieder vermehrt nach Qualität, die individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sein muss. Dabei bemächtigen sie sich auch noch der Macht über die Kommunikation über Produkte und Unternehmen. Folgende sechs Trends definieren die Welt des Handels vollkommen neu.
1. Globalisierung: Von der Einbahnstraße zum Zweiwegprozess
Der Reichtum wandert nach Osten. Die wirtschaftliche Kolonialisierung schlägt zurück; den westlichen Zauberlehrlingen entgleiten zunehmend Macht und Kontrolle. In der »birthing culture« Indiens sind vier Fünftel der Bevölkerung erwerbstätig, jährlich gibt es 3,5 Millionen Hochschulabsolventen, davon rund eine halbe Million Ingenieure – in Amerika sind es knapp 20 000. Ein Fünftel der Forscher von General Electric arbeitet heute in Indien, in fünf Jahren wird es ein Viertel sein. Die Löhne steigen rasch an, bis 2025 dürften vierzig Prozent der Inder zur Mittelklasse gehören. Der Fokus verschiebt sich zunehmend vom Export zum Konsum. In China gibt es heute mehr Brokerage Accounts als Mitglieder der Kommunistischen Partei, das Land heuert Inder an, Indien wiederum produziert in Vietnam und Rumänien – wir beobachten ein »Outsourcing of Outsourcing«. Bereits fahren Länder wie die USA oder Deutschland protektionistisches Geschütz auf; Stephen Roach, CEO von Morgan-Stanley, bezeichnete Washington unlängst als »die Zentrale der Antiglobalisierungsbewegung«.

2. Märkte: Von »supply and command« zu »reply and demand«
Die Kunden haben genug. Genug zu essen und genug anzuziehen sowieso. Genug aber auch davon, mit Massenprodukten und Marketinglügen abgespeist zu werden. Sie wehren sich, indem sie sich vor dem Einkauf nicht beim Händler oder Hersteller informieren, sondern bei anderen Kunden. Foren, Bewertungs- und Vergleichs-Sites im Internet geben ihnen genau die Übersicht, die ihnen in den intransparenten Märkten von gestern fehlte. Anbieter verlieren die Kontrolle über ihre Kommunikation.

Zudem suchen sich die Konsumenten zunehmend Erzeugnisse, mit denen sie sich von den anderen abgrenzen können – das Ende der Massenmärkte ist eingeläutet. Wer in solchen Märkten überleben will, sollte sich schnell auf die neuen Bedürfnisse seiner Käufer einstellen. Zum Beispiel mit »open innovation«: Der Spielzeughersteller Lego ließ seine größten Fans an der Weiterentwicklung der Produktreihe Mindstorms mitarbeiten – andere Firmen ziehen nach. Innovation in Nischenmärkten wird wohl nur noch mit Experimenten kostengünstig und effizient zu erreichen sein. Gewinnen wird, wer kluge Hypothesen aufstellen und testen kann.

3. Kaufkraft: Von Boom zu Bumm
Die Budgets werden neu verteilt: Weil die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie in absehbarer Zeit massiv steigen, werden die Konsumenten einen wachsenden Teil ihres Einkommens für Güter des täglichen Bedarfs ausgeben müssen – und sich insgesamt weniger leisten können. Oder zumindest diesen Eindruck haben. Denn wenn das täglich Brot und Benzin mehr kosten, dann geht’s gefühlsmäßig ans Eingemachte: Die Verteuerung der Alltagsprodukte wirkt wie ein Schock, zumal die jüngere Generation mit sinkenden Preisen aufgewachsen ist. Konsumenten mit kleinem Einkommen trifft es zuerst und am härtesten.

Die Rückbesinnung auf den Grundbedarf führt zu einer Art Grounding des Konsums: Erwartungen werden enttäuscht, Wünsche zurückgeschraubt, das frei verfügbare Geld lieber gespart. Der Boom im Premiumsegment schwächt sich in der Folge ab, weil sich die mittleren Einkommen immer weniger »Masstige« (in größeren Mengen gefertigte Prestigeprodukte) leisten können. Die Discounter werden von dieser Entwicklung profitieren und sich statt aufs »Trading-up« wieder stärker auf ihr Kerngeschäft »billig« konzentrieren. Und auch bei der Wahl der Ferienziele findet eine Verschiebung statt: Flugreisen werden wieder zum Luxus, den man sich – aus ökonomischen und aus klimatologischen Gründen – immer seltener leistet.

4. Konsum: Von Lust zu bewusst
Nach der »Spaßgesellschaft« der Neunzigerjahre nimmt die Werteorientierung zu: Menschen, deren Grundbedürfnisse weitgehend gedeckt sind, suchen nach Sinnerfüllung – auch beim Konsum. Sie wägen ab zwischen Masse und Qualität, zwischen Genuss und Verzicht, zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlicher Verantwortung. Das eigene Befinden, aber auch dasjenige von Mitmenschen und der Umwelt, rücken ins Zentrum des Kaufentscheids. Weil immer breitere Bevölkerungsteile »bewusst« konsumieren wollen, wird der bereits heute stark wachsende Markt für »nachhaltig« gefertigte Produkte einen Boom erleben und sich weiter ausdifferenzieren. Prominentester Zweig dieses »bewussten« Konsums bleiben »grüne« Produkte und Dienstleistungen.

Angesichts von immer besser vernetzten kritischen Konsumenten-Communities müssen sich Anbieter bezüglich Glaubwürdigkeit, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit stärker profilieren. Bereits gelobte Rewe-Chef Alain Caparros für sein Unternehmen »Transparenz und Anstand«. Der klassische Preiskampf um die Kunden wird vom Vertrauenswettbewerb abgelöst. Das bringt neue Chancen für Anbieter regional gefertigter Erzeugnisse. Ihr Plus im neuen Wettbewerb: kürzere Transportwege, transparente Produktions- und Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Einbettung vor Ort.

5. Innenstädte: Von Shoppingzentren zu Social Hubs
Nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, Tendenz stark steigend. Die Landflucht wird den urbanen Einzelhandel beeinflussen, stehen doch Retail und Stadtzentrum seit jeher in einem engen Wechselspiel. Schon heute wirken viele Einkaufsstraßen wie große Shoppingzentren. Als Begegnungsorte – »social hubs« – in einer zunehmend anonymisierten Welt ersetzen sie die Dorf- und Marktplätze von einst. Dabei ist nicht mehr der klassische Verkauf entscheidend, sondern der Erlebnis- und Erfahrungsgewinn der Kunden – der Trend: »unstoring« ergänzt »store concepts«.

Einfach Produkte anzubieten, reicht in diesem Umfeld nicht mehr; es müssen außergewöhnliche Produkte sein, und sie müssen mit einem außergewöhnlichen Service in einer außergewöhnlichen Umgebung präsentiert werden. Die Bedeutung der Einkaufsmöglichkeiten für die Identität von Städten wird weiter zunehmen, prägen sie doch Lebensgefühl und Stadtdesign grundlegend. Gleichzeitig müssen sich die Innenstädte im harten Standortwettbewerb bewusster selbst als Produkte inszenieren – Attraktivität wird gemacht. Der Einzelhandel als treibende Kraft wird dabei zum Convenience-Provider, zum Full-Service-Anbieter, der ebenso öffentliche Funktionen und Dienstleistungen übernimmt.

6. Produkte: Vom Bling-Marken zur Qualität
Jahrelang galt nur eines: die Marke. Produkte wurden zu Erlebnisträgern, statt auf Funktionalität trimmte man sie auf »emotionale Aufladung«. Doch diese Wirkung ist verpufft. Die Erlebnisökonomie hat das Pendel so weit auf die Seite der »unsichtbaren« Angebots-Bestandteile ausschlagen lassen, dass die Kernfunktionalität oft in Vergessenheit geriet: Marketing-Zuckerguss war sexier als Qualitätssicherung. Jetzt verlangen die Kunden wieder eine fassbare Qualität, gerade die chinesischen Rückrufaktionen in sensiblen Produktkategorien haben die vermeintliche Selbstverständlichkeit wieder ins kritische Bewusstsein der Konsumenten gerückt.

Wenn jetzt westliche Unternehmen, die in Fernost produzieren lassen, von harten Schlagzeilen eingeholt werden, geht es darum auch nicht um Pech oder um Fehler, die halt passieren können. Es geht auch nicht um China als »Fabrik der Welt«. Vielmehr werden Management-Hausaufgaben eingefordert, nachdem die Kehrseiten des Billigsttrends für alle offen wurden. Immer mehr Menschen wollen für ihr Geld wieder einen realen Gegenwert.

Damit bringen sie nicht zuletzt ein generelles Unwohlsein mit dem Zustand unserer Wirtschaft zum Ausdruck. Der Trend zur »neuen Qualität« macht es für die Anbieter schwieriger und einfacher zugleich: Zwar werden klassische Markenköder wie auch das grüne »Wertekostüm«, hinter dem sich einige Marktteilnehmer modisch verstecken, zunehmend durchschaut; doch wer seine Identität kennt und transparent dazu steht, wird auch zum Nennwert wahrgenommen – und nicht immer schon als Täuschung.  

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI).