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Führung durch Mitarbeitergespräche? – Ein Irrweg!
Mitarbeiterbewertungen haben nie funktioniert. Und sie werden auch nie funktionieren. Der Grund dafür ist einfach: Sie suchen Probleme und Verbesserungspotenziale an der falschen Stelle: Beim Menschen. Die einzig sinnvolle Schlussfolgerung lautet darum: Mitarbeitergespräche gehören endlich abgeschafft!

        


 
aben Sie schon einmal mit ihrem Lebenspartner oder ihrer Lebenspartnerin (respektive: ihrer Freundin oder ihrem Freund) Folgendes versucht? »Schatz, komm mal bitte her in mein Büro. Setz dich bitte hin. Tja, Liebling, es ist Zeit für dein Jahresgespräch. Ich möchte jetzt gern mal mit dir durchgehen, wie deine Performance im gerade abgelaufenen Jahr gewesen ist. Und wir können dann bei der Gelegenheit auch gleich deine persönlichen Entwicklungsziele für das neue Jahr vereinbaren...«

Noch nie ausprobiert? Na so was. Könnte eigentlich ganz sinnvoll sein, sagen Sie? Nun gut, probieren Sie's ruhig aus! Ich tippe, Sie machen das nur ein einziges Mal. Das eigentlich Bemerkenswerte ist natürlich: In Unternehmen wie auch in öffentlichen Organisationen gilt so ein Umgang miteinander als normal. Mitarbeiterbeurteilungen sind Routine – kaum einer wagt auch nur daran zu denken, darauf zu verzichten!

Manager aller Ränge beurteilen und besprechen also ihre Mitarbeiter – nach bestem Wissen und Gewissen. Möglichst »partnerschaftlich« soll so eine Mitarbeiterbeurteilung sein. Darum gibt die Personalmanagement-Abteilung jährlich neue Parolen dafür aus, wie so etwas abzulaufen hat. Es gibt Gesprächsformulare, Rankings, Beurteilungsskalen und Kompetenzprofile. Und alle paar Jahre auch ein Training mit dem Titel »So führe ich Mitarbeitergespräche«.

Warum, so sollten wir uns fragen, halten Organisationen und Manager seit Jahrzehnten an einem bizarren Ritual fest, das niemals funktioniert hat? Mitarbeiterbeurteilung, das weiß jeder, der einmal irgendwo gearbeitet hat, ist in der Lage, den motiviertesten Kollegen innerhalb einer Stunde in einen frustrierten, nur noch seine Stunden absitzenden Zombie zu verwandeln, der am Wochenende erstmal seinen Lebenslauf entstaubt. So liebevoll ein Chef den Prozess auch angehen mag, so sehr eine Firma sich auch bemüht, den Ablauf per 360-Grad-Enhancements, »Feedbackstil« oder gar Coaching-Sahnehäubchen zu vervollkommnen: Mitarbeiterbewertung bleibt doch unausweichlich ein patriarchalisches und Hierarchie zementierendes Ritual, das keinen Platz haben kann in einer wahrhaft partnerschaftlichen Beziehung. Eben darum tun wir unseren Liebsten daheim das nämlich auch nicht an.

Fragt sich also, ob es in Unternehmen nicht vielleicht an »Liebe« fehlt. Und an der schlichten Einsicht, dass die Probleme von Organisationen in, sagen wir, 94 Prozent aller Fälle nicht im Menschen, sondern im System begründet liegen, wie der Systemiker Deming bereits vor Jahrzehnten argumentierte. Mitarbeiterbeurteilungen und -gespräche gehören abgeschafft. Sie sind nicht zu retten. Fragen Sie mal bei Southwest Airlines oder Semco nach – Unternehmen, die Werten wie »Partnerschaft«, »Mitarbeiter zuerst«, »Demokratie« und »Fun on the Job« wirklich Leben einhauchen: Weit und breit keine Mitarbeiterbeurteilung. Warum wohl?

Eine Frage des Welt- und Menschenbilds
Leistung zu beurteilen ist schwierig. Objektiv wollen wir sein. Und fair. Deshalb müssen wir ja auch Leistung sorgfältig messen – bei jedem Mitarbeiter auf die gleiche Weise. Nur dann können wir Anreize setzen und motivieren. Richtig? Unsinn! Das alles kann natürlich nicht funktionieren. Der amerikanische Berater Peter Block schreibt: »Mitarbeiterbewertung ist zu einem kulturellen, fast anthroposophischen Symbol der väterlichen, Boss-Untergebenen-Beziehung geworden, die charakteristisch ist für patriarchalische Organisationen. Dies ist eine Übung in Herrschaft, egal mit wie viel Sorgfalt sie betrieben wird.«

Mitarbeiterbeurteilungen sind vielköpfige Drachen. Was Budgets für das Management von Finanzen, Ressourcen und »Ergebnissen« sind (um Abteilungen und Bereiche auf Linie zu bringen), das sind Mitarbeiterbeurteilungen für das Management von Menschen (um einzelne Mitarbeiter unter Kontrolle zu halten). Tayloristische Organisationen nutzen Mitarbeiterbeurteilungen implizit oder explizit für vielfältige Zwecke. Würden wir in einem Unternehmen ein Brainstorming der möglichen oder praktizierten Funktionen von Mitarbeiterbeurteilungen durchführen, dann kämen wir vermutlich stets auf eine Liste, die in etwa die folgenden Elemente enthält:

:: Leistungsbewertung und –verbesserung
:: Motivation
:: Feedback
:: Coaching
:: Mitarbeiterentwicklung und Karriereplanung
:: Gehaltsanpassung und Beförderung
:: Hilfestellung für wenig leistungsfähige Mitarbeiter und juristisch verwertbare Dokumentation

Es ist offensichtlich, dass derartig unterschiedliche und teilweise miteinander im Konflikt stehende Personalmanagement- und Führungsfunktionen nicht erfolgreich innerhalb eines einzigen, einmal jährlich stattfindenden Prozesses gehandhabt werden können.

Das grundlegendere Problem ist jedoch: Mitarbeiterbeurteilungen tragen die Philosophie und Prämissen der hierarchisch-bürokratischen Kultur von Weisung und Kontrolle in die Sphäre des einzelnen Mitarbeiters hinein. Sie basieren auf der gleichen irrigen Grundannahme über den Menschen wie das »tayloristische« Steuerungsmodell insgesamt. Und die lautet: Wenn wir jeden Mitarbeiter einzeln »verbessern«, dann wird sich auch die Gesamtleistung der Organisation verbessern.

Ebenso wie andere formalisierte Steuerungsprozesse, die in die gesamte Organisation hineinreichen (z. B. Reporting und Budgetierung) sind Mitarbeiterbeurteilungen aufgrund des ihnen zugrunde liegenden Menschenbildes zu einem mit unkontrollierbaren Nebeneffekten verbundenen Ritual verkommen.

Individualleistung in Unternehmen – ein Paradoxon?
Ein weiteres Problem individueller Mitarbeiterbeurteilungen hängt damit zusammen, dass es unmöglich ist, individuelle Leistung in einer Organisation zu bestimmen. Ich behaupte: Es gibt in Organisationen keine individuelle Leistung. Individuelle Leistung kann zwar bei einem professionellen Leichtathleten oder einem in seinem Atelier arbeitenden freien Künstler relativ eindeutig und unabhängig von der Leistung anderer bewertet werden. Bei Mitgliedern in einer Organisation ist dies aber nicht möglich – immer hängt die Leistung eines Mitarbeiters in hohem Maße von der Leistung der Kollegen, anderer Bereiche, den Vorleistungen der Partner, der Umwelt oder gar den Kunden ab. Individualleistung messen und beurteilen zu wollen ist mithin konzeptionell unmöglich und sinnlos!

Diesen Prozess weiter verbessern zu wollen ist wenig fruchtbar. Denn so sehr wir uns auch bemühen, es gelingt uns nicht, Mitarbeiterbeurteilung produktiv zu machen. Die Wurzel des Übels liegt entgegen gängiger Annahme aber nicht bei den Managern und deren Unfähigkeit, den Prozess »richtig« oder »objektiv« durchzuführen. Es ist das Beurteilungssystem selbst, das nicht funktioniert, mitsamt seinen dahinter liegenden, unsichtbaren Annahmen.

Hinzu kommt das Problem der Verknüpfung des Beurteilungsprozesses mit Karrieresteuerung und Bezahlung. Wenn Mitarbeiterbeurteilungen und Leistungsmessung mit Vergütung, Belohnung und Bestrafung verknüpft werden, dann wird aus Feedback Bevormundung, aus Wettbewerb Wettkampf, aus Dialog Erpressung und aus Herausforderung Zwang.

Tools und Erhebungsprozesse können die menschliche Urteilskraft niemals ersetzen. Es ist eine unveränderliche Tatsache, dass Leistung letzten Endes nur beurteilt, nicht aber erhoben oder gemessen werden kann. Und dass diese Beurteilung immer und unausweichlich subjektiv ist. Dennoch dürfen sich Manager und Organisationen nicht der Verantwortung entziehen, mutig zu urteilen. Manager sollten zur Subjektivität des Urteils stehen. Nur dann können sie nämlich auch darauf verzichten, aufwändige Prozesse und Instrumente einzusetzen, die Scheinobjektivität in der Leistungsbewertung vorgaukeln, letztlich aber Motivation und Leistung zerstören!