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Wasserstoff: Europas Zukunftsstoff?
Während die Nachfrage nach Energie weltweit wächst, gehen die Vorräte an fossilen Brennstoffen als derzeit wichtigste Energiequelle zurück. Die internationale Gemeinschaft sieht Wasserstoff als Schlüsselkomponente für ein sauberes, nachhaltiges Energiesystem. Welche Schritte geht Europa auf dem Weg in die Wasserstoffwelt?

        


 
m September 2005 demonstrierten die Mitglieder aller politischen Fraktionen des Europäischen Parlaments seltene Einigkeit und bekräftigten ihre Forderung nach einem Paradigmenwechsel im Energiebereich: von der Nutzung fossiler Energiereserven hin zu einer grünen, auf Wasserstoff basierenden Wirtschaft.

Der Druck, nach alternativen Energiequellen zu suchen wächst: Fossile Brennstoffe gehen zur Neige, CO2-Emissionen müssen dringend gesenkt und die Abhängigkeit von den konfliktträchtigen, erdölproduzierenden Staaten des Nahen Ostens soll verringert werden. Europa braucht für eine dauerhaft hohe Lebensqualität eine saubere, zuverlässige, technisch und logistisch sichere Energieversorgung.

Der Teufel des Energieproblems wird schon lange an die Wand gemalt. Erst die in jüngster Zeit extrem gestiegenen Erdölpreise haben das Thema – mit erhöhter Dringlichkeit – erneut auf die politische Agenda der EU gebracht und waren aktueller Anlass für die Formulierung des »Manifests zur Vorbereitung der Wasserstoffwirtschaft«. Die Umsetzung des 13-Punkte-Programms solle spätestens bis 2025 in die »Dritte Industrielle Revolution« münden. Gefordert wird etwa die Zugrundelegung regenerativer Energiequellen zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft, die aktive Partizipation an einer europäischen Debatte in punkto Wasserstoffwirtschaft oder die Unterstützung der Kooperation zwischen Regierungen und der Energiewirtschaft.

Wundermittel Wasserstoff?
Gute Ideen setzen sich manchmal erstaunlich langsam durch. Bereits 1839 erfand der Physiker Sir William Robert Grove das Prinzip der Brennstoffzelle. Durch Umkehrung des Vorgangs der Elektrolyse konnte er unter Einsatz von Wasserstoff Strom herstellen. Die »galvanische Gasbatterie« war erfunden – quasi die erste Brennstoffzelle. Praktische Anwendungen für diese Erfindung fanden sich jedoch damals nicht, da der Strom, den sie lieferte, viel zu schwach war. An Bedeutung verlor Groves »galvanische Gasbatterie« auch, weil 1866 Werner von Siemens mit der Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips der Stromerzeugung auf mechanischem Weg in größeren Mengen zum Durchbruch verhalf.

Erst nach Groves Tod im Jahr 1896 griffen Wissenschaftler seine Idee wieder auf und versuchten die Brennstoffzelle so zu verbessern, dass sie als ernstzunehmende Energiequelle zu verwenden war. Doch erst in den 80er Jahren wurden die ersten kommerziellen Anwendungen in Betracht gezogen. Denn Wasserstoff und die Brennstoffzelle ermöglichen eine äußerst elegante Form der Energiegewinnung: Die Brennstoffzelle verursacht keine Schadstoffemissionen, da bei Verbrennung von Wasserstoff nichts weiter als Wasserdampf zurückbleibt. Aufgrund der vielen verschiedenen Quellen von Wasserstoff, wie etwa Erdgas, Biomasse oder Kohlenwasserstoffe, ist eine hohe Sicherheit der Energieversorgung garantiert.

All dies klingt zu schön, um wahr zu sein. Tatsächlich löst Wasserstoff nicht im Vorübergehen alle Energieprobleme und lässt die Umwelt wieder aufatmen. Zwar ist es richtig, dass Wasserstoff auf der Erde in großen Mengen vorhanden ist, aber fast ausschließlich in gebundener Form, also beispielsweise mit Sauerstoff als H2O in Wasser. Daher muss zur Gewinnung von Wasserstoff immer zunächst Energie aufgewendet werden. Umweltfreundlich ist dieser Vorgang nur, wenn dabei regenerative Energiequellen eingesetzt werden.

Wasserstoff ist also keine Energiequelle, sondern bloß Energieträger, mit dessen Hilfe Energie gespeichert und transportiert werden kann. Um an Wasserstoff zu kommen, muss also erst einmal eine große Menge Energie aufgewendet werden. Um keine falschen Erwartungen zu wecken, besteht daher erheblicher Bedarf, Entscheidungsträger und Konsumenten über die wahre Funktionsweise einer Wasserstoffwirtschaft aufzuklären.

»Henne-und-Ei«-Dilemma
Wer geht nun den ersten Schritt in Richtung der Wasserstoffwelt? Automobilhersteller warten auf eine fertige Tankstelleninfrastruktur, Kraftstoffversorger warten bis die kritische Menge an Autos vorhanden ist, und der Kunde will eine Technik, die sofort reibungslos und ohne Mehrkosten funktioniert. Und alle warten auf staatliche Instanzen, die die Risiken auffangen.

Hier ist die EU gefordert. Sie muss politische Rahmenbedingungen festlegen und der Wasserstoffwelt durch Forschungsförderungen, Steueranreize, finanzielle Zuschüsse oder Infrastrukturentwicklungen den Weg ebnen. Außerdem könnte die EU die Akzeptanz der neuen Technologie stärken und den Markt für den Endverbraucher vorbereiten, indem sie als »early adopter« die neue Technologie für den eigenen Gebrauch einsetzt.

Von der Vision zur Wirklichkeit
Im Januar 2004 richtete die Europäische Kommission die Forschungsgruppe The European Hydrogen and Fuel Cell Technology Platform (HFP) ein, die als unabhängiges Organ aus Vertretern aus Industrie, Wissenschaft und öffentlichen Einrichtungen besteht. Die Aufgabe dieser Technologieplattform besteht darin, die Einführung einer weltweit führenden Wasserstofftechnik zum Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung zu erleichtern. Unter der Maßgabe, die Energieversorgung zu sichern, Treibhausgasemissionen zu senken und neue Chancen für die europäische Wirtschaft zu eröffnen, legte die Plattform Ende 2004 als Ergebnis ihrer Forschungsbemühungen eine Strategie zur Markteinführung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie vor. Die Forschungsgruppe definierte ein 10-Jahres Forschungsprogramm, eine mittelfristige Vision bis 2030 und eine langfristige bis 2050 sowie eine Umsetzungsstrategie einschließlich Meilensteinen und Marktpenetrationszielen. Für das Jahr 2050 schwebt als Vision vor, Wasserstoff in Industrienationen allgemein verfügbar zu machen und nicht nur als Kraftstoff für Fahrzeuge, sondern als Ergänzung zu Elektrizität aus regenerativen Energiequellen einzusetzen.

Zumindest auf dem Papier steht also der Wasserstoffwelt nichts mehr im Wege. Bis die kommerzielle Nutzung von Wasserstoff Wirklichkeit ist, sind aber noch einige große Hürden zu nehmen. An der Technik muss noch gefeilt werden, um Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit zu verbessern. Auch aus Kostensicht stellt Wasserstoff noch keine ernsthafte Konkurrenz zu Benzin und Diesel dar. Die Herstellung von Wasserstoff ist heute noch extrem teuer, ebenso die Logistik, da zum Transport und zur Lagerung eine Abkühlung auf minus 253 Grad Celsius notwendig ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass EU-weite Regelungen hinsichtlich steuerlicher Anreize für den Einsatz fehlen und Haftungs- und Versicherungsfragen sowie diverse Sicherheitsbedenken offen sind.

Trotz der noch zu bewältigenden Probleme verspricht die Tatsache Zuversicht, dass die Wasserstoffwirtschaft von den großen Konzernen und der Politik gleichermaßen gewollt ist. So rückt die Verwirklichung einiger »Leuchtturm«-Projekte die Vision in greifbare Nähe. Viel beachtet ist das Ende 2001 initiierte Projekt CUTE (Clean Urban Transport for Europe), das von der EU mit 18,5 Millionen Euro gefördert wird und den Einsatz von Brennstoffzellen-Bussen und deren Wasserstoffversorgung im Feldversuch testet. Bis 2006 sind in neun Städten (Amsterdam, Barcelona, Hamburg, London, Luxemburg, Madrid, Porto, Stockholm und Stuttgart) noch 27 Busse in Betrieb.

Erste Schritte zur Wasserstoffwirtschaft sind also getan. Europa weiß um die Wichtigkeit dieses Vorhabens. Die Wettbewerbsfähigkeit im 21. Jahrhundert wird nicht zuletzt durch die Beherrschung der Energie der Zukunft bestimmt.