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No-frills im Mobilfunk – Der Weg aus der Wachstumskrise?
Jahrelang herrschte in der Mobilfunkbranche ein Wettlauf um technische Innovationen. Kundenorientierung blieb auf der Strecke. Nun mischen Billiganbieter den Markt auf und geben den Kunden, was diese wollen: telefonieren ohne technischen Firlefanz zu günstigen Preisen. Das Erfolgsrezept für neues Wachstum?

        


 
as seit geraumer Zeit für Turbulenzen in der Flugindustrie sorgt, rüttelt nun auch den Telekommunikationssektor auf: Billiganbieter, die Leistungen mit dezimiertem Service, dafür aber zu außerordentlich günstigen Preisen auf den Markt werfen und damit äußerst regen Kundenzuspruch ernten.

Der Trend der low-cost und no-frills Angebote im Mobilfunk hat seinen Ursprung in Dänemark im Jahr 2000. Telmore, ein Neuling im Mobilfunkmarkt, begann Kapazitäten von TDC Mobile zu kaufen und ging mit einem Festpreisangebot auf den Markt, das lediglich Sprachtelefonie und Short Message Service (SMS) beinhaltete. Da Telmore keine Infrastrukturkosten schultern musste, konnte die junge Firma Preise anbieten, die anfänglich 20 Prozent unter jenen der Konkurrenz lagen. Dieser Vorsprung war außerdem Resultat einer Kostenminimierungsstrategie: das Internet war der einzige Vertriebskanal, lediglich unterstützt durch ein Call Center, das Kundenanfragen gegen eine Gebühr behandelte. Teure Werbekampagnen und subventionierte Mobiltelefone wurden vermieden. Trotz dieses abgespeckten Angebots wies Telmore regelmäßig die höchste Kundenzufriedenheit aller dänischen Mobilfunkanbieter auf und konnte schon bald fast 20 Prozent des privaten heimischen Mobilfunkmarkts für sich in Anspruch nehmen. Der Erfolg dieser low-cost Strategie brachte die etablierten Netzbetreiber ordentlich unter Druck.

Der Wettlauf der Billiganbieter kann beginnen...
Inzwischen steht die Mobilfunkbranche mit dem no-frills Angebot am Beginn eines Massenphänomens. Überall in Europa entstehen Billiganbieter – vielfach von etablierten Anbietern nach dem Vorbild der Flugindustrie als no-frills Marke neben der herkömmlichen Premiummarke gegründet. Nach der dänischen Telmore trat das Billig-Telefonieren über tele.ring aus Österreich, der schwedischen Comviq und anderen europäischen Anbietern seinen Siegeszug an. Nun hat der Trend auch Deutschland erreicht: Hierzulande ging der Mobilfunkanbieter E-Plus im Mai diesen Jahres mit der neuen Billigmarke Simyo als Erster an den Start und die übrigen etablierten Telefongesellschaften ließen mit vergleichbaren Angeboten nicht lange auf sich warten.

Das Aufkommen dieses neuen Geschäftsmodells ist eine Reaktion auf die härter gewordenen Marktbedingungen im Mobilfunksektor. Die Zeiten des zweistelligen Umsatzwachstums sind in den entwickelten Industrienationen längst vorbei und bei Marktpenetrationsraten von beinahe 90 Prozent kann sich Wachstum nicht mehr alleine auf die Ausweitung der Kundenbasis stützen. Hand in Hand mit rückgängigen Wachstumsraten geht ein stärker kompetitives Umfeld in der Mobilfunkbranche.

Angesichts dieser Situation halten die Mobilfunkunternehmen intensiv Ausschau nach neuen Möglichkeiten des Umsatzwachstums. Sehr lange Zeit hofften sie auf eine Technologie-Revolution, die einen Wachstumsschub bringen soll, wie dies SMS einst verursachte. Technologische Innovationen gibt es in dieser Branche zwar zuhauf, doch enttäuschten die jüngsten Neuheiten die Hoffnungen auf einen Aufschwung. Unterhaltungsangebote und Informationsversorgung über iMode, Datenübertragung via MMS, Aufrufen von Internetinhalten mittels WAP und dergleichen andere Services und Schnickschnack: Die Masse der Kunden zeigte sich unbeeindruckt und die neuen, technisch immer ausgefeilteren Produkte konnten das Geschäft nicht beleben.

Back to the roots: Konzentration auf den Kernnutzen
Die ausbleibende Reaktion auf die technischen Höhenflüge wirft die Frage auf, ob die Mobilfunkanbieter ihre Innovationsbemühungen etwa in die falsche Richtung lenken. Entsprechen jene Leistungsfaktoren, die die Anbieter in ihren Entwicklungs- und Marketingaktivitäten in den Mittelpunkt stellen, jenen Eigenschaften, welche die Kunden vorrangig wünschen?

Tatsächlich deckt eine Studie der Unternehmensberatung Capgemini aus dem Jahr 2004 auf, dass die Anbieter ein nur unzureichendes Verständnis davon haben, welche Merkmale von Produkten und Leistungen die Kunden am meisten wertschätzen, was sie wollen, was sie nicht wollen und wofür sie zu zahlen bereit sind. Es klafft eine große Lücke zwischen den von den Anbietern ins Rennen geschickten Wettbewerbsfaktoren und den Kundenwünschen. Besagte Studie bringt ans Licht, dass für die Mehrheit der Mobilfunknutzer der ursprüngliche Zweck, nämlich zeit- und ortsunabhängiges Telefonieren, im Mittelpunkt steht; sie wollen mit ihrem Mobiltelefon keine Daten versenden, nicht fotografieren und auch nicht Musik hören.

Genauso wie die Fluggesellschaften haben die Mobilfunkanbieter erkannt, dass für den Kunden manchmal weniger mehr ist und dementsprechend ein abgespecktes Angebot zurechtgebastelt: so wie es den Flugpassagieren hauptsächlich um die Beförderung von A nach B geht, und zwar ohne Brötchen, Getränk und Zeitung, ist auch für die Telefonkunden vor allem das Basisangebot bedeutend. Technischer Firlefanz und zusätzlicher Service rechtfertigen für die wenigsten einen höheren Preis.

Aus oben genannter Capgemini-Studie geht hervor, dass 44 Prozent der Mobiltelefonierer für einen Preisabschlag auf weitere Zusatzservices wie beispielsweise iMode oder MMS-basierte Leistungen verzichten würden. 40 Prozent würden auf eine Online-Rechnung umsteigen und 36 Prozent hätten kein Problem mit einem reinen Internetvertrieb. Vielen Nutzern scheint die Tarifstruktur unnötig komplex zu sein. Statt eines Tarifdschungels, in dem abhängig von Netz, Uhrzeit und Tarifkategorie Minutenpreise festgelegt werden, wünschen sich Kunden einfachere Tarifmodelle. Auch höhere Transparenz hinsichtlich der angefallenen Kosten ist den Kunden wichtig. Insbesondere ältere Kundengruppen sehnen sich nach einfach zu bedienenden Geräten, allzu viele technische Spielereien erhöhen für sie lediglich die Komplexität ohne großen Nutzen zu stiften.

Diese Kundenanforderungen blieben bisher weitgehend unberücksichtigt, beschrieben sich doch viele Betreiber als »ein bisschen teurer, aber viel besser«. Dabei bedachten sie nicht, dass die Vielzahl der Kunden für die zusätzlichen Features keinesfalls zu zahlen bereit ist und vergaben so wertvolles Umatzpotential. Einerseits telefonierten bestehende Kunden weniger als sie dies bei Vorhandensein ihres Idealgeräts und –services tun würden oder sie blieben beim Festnetz anstatt Gespräche über das Mobilfunknetz zu führen. Andererseits gelang es immer weniger, neue Kundengruppen anzusprechen. Funktionsüberfrachtete Geräte üben insbesondere auf ältere Kundengruppen wenig Anziehungskraft aus.

Wachstum durch Kundenorientierung
Die Anbieter von no-frills Services haben genau diese Schwachstellen erkannt und ein Angebotsmodell entwickelt, das einerseits den Kundenprioritäten Rechnung trägt und andererseits die Profitabilität durch eine niedrige Kostenstruktur gewährleistet. Zugunsten geringer Preise müssen die Kunden auf ein subventioniertes Mobiltelefon und ein Netz von Geschäftsstellen verzichten. Der Vertrieb erfolgt über das Internet, ebenso wie das Aufladen des Kontos, der Abruf von Verbindungsnachweisen und Rechnungen. Ein Echtzeit-Update des Kontostandes stellt allerdings einen echten Zusatznutzen gegenüber dem herkömmlichen Rechnungsversand per Post dar. Das no-frills Angebot umfasst lediglich Sprachtelefonie und SMS. Aufwändige Werbekampagnen wird man nach dem Produktlaunch nicht mehr allzu häufig antreffen, der Fokus wird vielmehr auf Direktmarketing liegen. Mit einer geringen Zahl von Mitarbeitern wird ein automatisierter, undifferenzierter Kundenservice sichergestellt.

Am deutschen Markt zögerten die etablierten Mobilfunkanbieter lange, eine »Billigtelefonmarke« einzuführen. Ein solcher Schritt birgt die Gefahr, die Premiummarke zu verwässern sowie einer Erosion der Gewinnmarge Tür und Tor zu öffnen. Diese Risiken sind nicht von der Hand zu weisen, jedoch beweist auch hier wieder der Blick auf die Flugbranche: Billigableger lassen sich äußerst erfolgreich neben konventionellen Marken einführen.

Unabdingbar für den Erfolg wird eine Veränderung der bisher geübten Herangehensweise an Strategie und Innovation sein, die in der Mobilfunkbranche einer Schlacht um Marktanteile gleicht. Die Marktteilnehmer versuchen sich auf dem Markt mit einem Produktangebot einen Vorteil zu verschaffen, dessen Merkmale bloß eine Spur besser sind als diejenigen des Konkurrenzangebots. Anstatt die Kundenwünsche auszuloten und entsprechende Produkte zu entwickeln, wird die Konkurrenz für das eigene Handeln maßgeblich: Marktführer werden nachgeahmt und mit einem Quäntchen Mehr bei einigen Produktmerkmalen sollen den Konkurrenten Kunden abgejagt werden. Als Ergebnis gleichen sich die Angebote der Anbieter wie ein Ei dem anderen und es entsteht ein Wettkampf um die Kunden, indem die Marktteilnehmer versuchen, allen Kunden alles zu bieten. Das Endergebnis eines technisch überfrachteten Einheitsbreis hält leider für keinen einzigen Kunden genau das bereit, was er sucht.

Diese Ignoranz der Kundenwünsche stammt daher, dass Mobilfunkbetreiber in ihrem Herangehen an Innovation und Produktentwicklung eine sehr stark technologische Ausrichtung haben. Während viele Mobilfunkanbieter Innovation für eine Spielwiese für Ingenieure halten, um das technisch Machbare hervorzubringen, hat der Kunde ein völlig anderes Verständnis von Innovation: er erwartet Lösungen, wenn ihn irgendwo der Schuh drückt. Und am erfolgreichsten wird sein, wer den drückenden Schuh ortet, noch bevor der Kunde über diesen klagt. Zwar werden auch in der Mobilfunkbranche Marktrecherchen durchgeführt, jedoch fokussieren diese Studien oft auf nur auf die funktionalen Aspekte des Mobiltelefonierens und erfragen das Kundeninteresse an neuen technologischen Entwicklungen. Nur selten versuchen die Unternehmen die über funktionale Aspekte hinausgehenden Wünsche von Kunden und auch Nichtkunden zu verstehen.

Maßgeschneidert statt Einheitsgröße
Mit der Etablierung einer Billigmarke tun die Mobilfunker nun den ersten Schritt, sich weniger technologie-verliebt und stärker an Kundenbedürfnissen auszurichten. Eine »one size fits all«-Marktbearbeitung trägt nicht dem Umstand Rechnung, wie zersplittert der Markt der Mobiltelefonie ist. Die stark unterschiedlichen Kundenanforderungen lassen eine Marketingstrategie nach dem Strickmuster Henry Fords nicht mehr zu, der seinen Kunden das Ford Model-T »in jeder beliebigen Farbe, solange sie schwarz ist« versprach. Vielmehr ist die Produktentwicklung und –vermarktung nach exakt definierten Marktsegmenten oder –nischen auszurichten, die sich nach den Bedürfnissen, der Kaufkraft und dem Konsumverhalten der Kunden bestimmen.

Und so ist es nur folgerichtig, alle jene Kunden in ein Segment zusammenzufassen, die ihr Mobiltelefon einfach nur zum Telefonieren benutzen wollen und dabei Einfachheit ohne große technische Raffinessen zu einem günstigen Preis suchen. Durch speziell geschneiderte Angebote für dieses Kundensegment kann somit Umatzpotential abgeschöpft werden, welches andernfalls unter Umständen ungenutzt bliebe.

Die niedrigen Preise müssen durch eine Anpassung auf der Kostenseite widergespiegelt werden. So dürfen beispielsweise die Kunden der Billigmarke nicht durch dieselben Vertriebs- und Servicekanäle wie die Kunden der höherpreisigen Premiummarke geschleust werden. Stattdessen ist eine abgestufte Herangehensweise an Kundenservice zu verfolgen, bei der die Intensität des Service bestimmt wird durch den Wert, den ein Kunde repräsentiert. So muss sich etwa die Servicequalität bei der Hotline für Kunden des Premium- von solchen des Billig-Segments deutlich unterscheiden, ebenso wie Vertrieb und Beratung in Geschäftsstellen sich vom Vertrieb über das Internet abhebt.

In gesättigten Märkten wie dem Mobilfunkmarkt geht die Zukunftsvision freilich über eine Strategie der Aufteilung des Marktes in einige Segmente hinaus. Die heute herrschende Informationstransparenz tut ein Übriges, um die Vision von Marktsegmenten bestehend aus einem einzigen Kunden Wirklichkeit werden zu lassen. Dies bedeutet, die Anpassung des Angebots an die Kundenwünsche auf die Spitze zu treiben: Für jeden einzelnen Kunden würde ein individuelles Paket geschnürt und in jedem einzelnen Fall mit einem Preis versehen. Die heutigen technologischen Möglichkeiten lassen ein solches »Mass Customization« auch unter Machbarkeits- und Kostengesichtspunkten in greifbare Nähe rücken.

Ausgangspunkt des Angebots kundenindividueller Leistungen ist ein gutes Verständnis davon, welche Faktoren für den Kunden Wert schaffen. Denn nur eine individuelle Anpassung hinsichtlich der Faktoren, die für die Kaufentscheidung verantwortlich sind und die einen echten Wettbewerbsvorteil darstellen wird zu Mengenwachstum führen. Daran anschließend gilt es den richtigen Grad der Kundenbezogenheit zu finden, der dann gegeben ist, wenn die Individualisierung des Leistungsangebots sowohl für das Mobilfunkunternehmen als auch für den Kunden Vorteile bringt. Konkret geht es um die Beantwortung der Frage: »Ist die Ausweitung des Angebots die zusätzlich entstehenden Kosten wert?«

Mobilfunkunternehmen müssen in ihrem Streben nach »Mass Customization« also auch eine sehr stark ausgeprägte Kenntnis der Kostentreiber haben, weil der Erfolg dieses Unterfangens davon abhängen wird, wie gut es gelingt, eine Balance zwischen dem Wert der Anpassung an Kundenwünsche und den Kosten der dadurch zusätzlich entstehenden Komplexität herzustellen. Ob vor diesem Hintergrund die Anpassung an jeden einzelnen Kunden wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt fraglich. Denkbar scheint aber jedenfalls ein modulartiges Angebot, bei dem etwa die Anzahl freier Gesprächsminuten und SMS, Gerätesubvention, Zugang zur Help-Hotline etc. zur Disposition stehen. Je nach Zusammenstellung eines individuellen Mobilfunkvertrages durch den Kunden wird dann ein Preis an das ausgewählte Paket geknüpft.

Eine solche Vorgehensweise würde einen Schlussstrich ziehen unter das Problem der unpassenden Kundenansprache. Jeder Kunde hätte genau das Angebot zur Auswahl, das er wünscht. Auch die Verfolgung technischer Innovationen fände in einer solchen Strategie wieder seinen Platz, denn es gibt sehr wohl Kunden, die an technisch innovativen Produkten Gefallen finden. Die vorgeschlagene Konzentration auf den Kernnutzen darf nicht bedeuten, die Verfolgung des Geschäfts mit neuartigen Services zu vernachlässigen. Langfristig können nur durch das Hinzufügen neuer Services oder Produkteigenschaften neue Märkte – und somit nachhaltiges Wachstum – geschaffen werden. Die Bemühungen müssen auf das Identifizieren und Nutzen von Nachfrage gerichtet werden, über die sich die Nutzer selbst noch nicht bewusst sind. Mit SMS haben die Mobilfunkunternehmen selbst eindrucksvoll bewiesen, wie dies funktionieren kann.

Innovation ist lebenswichtig für Mobilfunkbetreiber, um sich aus dem Dilemma rückgängigen Wachstums und steigenden Wettbewerbs zu befreien. Umsatzpotential mit Hilfe von no-frills Angeboten abzuschöpfen bringt zwar neues Wachstum, kann aber nicht das Ende der Reise sein. Werden solche Billigangebote allerdings in eine intelligente Segmentierungsstrategie eingegliedert, ist dies ein Ansatzpunkt für langfristigen Erfolg.  

 

:: Arthur D. Little, Exane BNP Paribas: Mobile Operators: More Effort Required, 2005
:: Capgemini (in Zusammenarbeit mit INSEAD): Recharging Mobile Innovation. Strategies to Create New Market Space, 2004
:: W. Chan Kim, Renee Mauborgne: Value Innovation: The Strategic Logic of High Growth, Harvard Business Review, Juli 2004
:: W. Chan Kim, Renee Mauborgne: Creating New Market Space, Harvard Business Review, Januar 1999