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Die Kunst der Integration
Viele Mergers & Acquisitions werden stark belastet durch kulturelle Differenzen und sogar mehr als die Hälfte scheitern an der mangelnden Integration der unterschiedlichen Unternehmenskulturen - so das Ergebnis eines Symposiums der Bertelsmann-Stiftung 2002. Künstlerische Mittel können ein Weg sein, hier Abhilfe zu schaffen.

        


 
as Unternehmen Haworth ist der zweitgrößte Büromöbelhersteller der Welt und in über 120 Ländern aktiv. In Deutschland kaufte Haworth in den vergangenen Jahren fünf ehemals im Wettbewerb stehende Möbelmarken. Die Mitarbeiter, die fünf verschiedene Möbelmarken repräsentieren, sollten auf einen gemeinsamen Messeauftritt eingestimmt werden. Das Problem: Wie macht man aus langjährigen Wettbewerbern auf der Orgatec ein schlagkräftiges gemeinsames Team?

Kulturelle Integrationsprobleme
Im Unternehmensalltag betreuen die Mitarbeiter verschiedene Kundengruppen und hatten bis dato wenig Berührungspunkte und Zusammenhalt. Außerdem dachten die Mitarbeiter eher aus der Perspektive ihrer Möbelmarke als aus der Perspektive des ganzen Unternehmens. Für die Vorbereitung zur Orgatec war es daher wichtig, eine Möglichkeit zu finden, die fünf verschiedenen Teams zu einem Team zusammen zu führen, um sich auf der Messe gemeinsam zu präsentieren.

Versucht wurde dies mit künstlerischen Mitteln; in einem Workshop Netzwerkbildung für die 60 Außendienstmitarbeiter wurde ein gemeinsames vielschichtiges Bild auf Keramikfliesen produziert. Die 60 Mitarbeiter waren künstlerisch nicht vorgebildet und keiner konnte sich vorstellen, wie in nur zwei Tagen ein gemeinsames fast 6m² Netzwerkbild aus Keramik entstehen sollte.

Workshop Netzwerkbildung
Diese Netzwerkbilder entstehen aus spontaner Malerei auf Keramikfliesen. Das Thema dieser Malerei ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen. Das Bild besteht aus einer Vielzahl von Einzelfliesen, ähnlich einem Puzzle. Aber es gibt einen Unterschied: Wenn man die einzelne Fliese betrachtet, erkennt man, dass jede Fliese wieder ein eigenständiges Motiv ergibt. Auch können, losgelöst vom gesamten Motiv, mehrere nebeneinander liegende Fliesen eine Einheit bilden, zum Beispiel als Dreier- oder Zweiermotiv.

Diese Eigenheit der Netzwerkbilder machte man sich auf dem Workshop zunutze und ließ die Mitarbeiter selbst ein Netzwerkbild malen. Im ersten Schritt malte jeder seine eigene Fliese in schneller spontaner Malerei. In diesem ersten Schritt haben die einzelnen Bilder noch nichts mit dem gesamten Motiv zu tun. Sie repräsentieren nur die beteiligten Individuen.

In einem zweiten Schritt wurden die Mitarbeiter aufgefordert, einen Teil ihres individuellen Bildes, der ihnen besonders gefällt, mit flüssigem Latex abzudecken. Dieser abgedeckte Teil wird später, nach Beendigung des ganzen Bildes wieder sichtbar sein. Es ist der Teil von sich selbst, auf den man stolz ist, den man zeigen möchte und der im Ganzen erhalten bleiben soll. Größe und Form des Bildes waren vorher festgelegt; das Gesamtbild bestand in diesem Fall aus 4 mal 15 Fliesen. In dieses Raster legten die Mitarbeiter ihre Fliese, wobei sie damit automatisch auch Ihre Position im ganzen Bild und damit indirekt auch im Team bestimmten.

Im nächsten Schritt wurde das ganze Bild mit einer weißen Glasur überzogen, so dass eine geschlossene, weiße Fläche entstand. Die vielen Einzelbilder der unterschiedlichen Mitarbeiter waren nicht mehr zu erkennen. Auf diese, nun große und leere Fläche, immerhin 3,60 Meter x 1,50 Meter, musste die gesamte Gruppe ein gemeinsames Motiv aufmalen. Die Einigung und Findung des gemeinsamen Motivs war ein längerer Gruppenprozess, der in sechs kleinen Gruppen zu jeweils zehn Personen durchgeführt wurde. Im gemeinsamen Plenum wurden die Ergebnisse vorgestellt und eines nach längerer Diskussion ausgewählt. Vermittelt über die ästhetische Diskussion wurden dabei Themen des Zusammenwachsens und der Teambildung diskutiert.

Da nicht alle Teilnehmer auf einmal malen konnten, bestimmte die Gruppe einige Mitglieder, die den gemeinsamen Entwurf auf das große Bild übertrugen. Nach der Fertigstellung folgte ein spannender Vorgang: Die Latexaussparungen wurden entfernt. Nun wurden Teile der ersten Schicht des Bildes sichtbar, die individuellen Motive der einzelnen Mitarbeiter waren jetzt Teil eines gemeinsamen Bildes. Das Ganze und die Einzelnen waren ästhetisch im Bild präsent.

Nach dem Brennen wurde das Netzwerkbild auf dem Messestand während der Orgatec ausgestellt. Es zeigte den gelungenen Gruppenprozess, wofür die Haworth-Mitarbeiter das Motto fanden: »Haworth ist mehr als die Summe seiner Teile.« Das gemeinsame Malen des Netzwerkbildes bildete die Grundlage der Integration; alle weiteren Anforderungen und Aufgaben konnten auf diesem Fundament leicht gemeistert werden und trugen zum Zusammengehörigkeitsgefühl über den Messeauftritt hinaus bei.

Die Kommunikation vor der Kommunikation
Die Workshops Netzwerkbildung folgen der Einsicht, dass es ohne eine funktionierende Kommunikation in einem Team keine Entscheidungen geben wird, mit der sich alle identifizieren und an die sich alle halten. Der Workshop Netzwerkbildung ermöglicht dabei die Kommunikation vor der Kommunikation mit künstlerischen Mitteln und ohne dass es nötig ist, zum Thema Teamentwicklung explizit etwas sagen zu müssen. Der künstlerische Workshop folgt der Einsicht: »Community building first, decision making second!« Denn um ein notwendiges Maß an Dialogfähigkeit herzustellen, muss die Gruppe sich nicht nur einig über das Ziel sein. Sie erreicht nur dann Außergewöhnliches, wenn sie sich nicht nur einig, sondern wenn sie eins ist.

Die Workshops Netzwerkbildung bilden den Alltag im Betrieb auf einer anderen Ebene genau ab: Sich austauschen, Koalitionen bilden, Entscheidungsprozesse anschieben, mehrere Vorschläge prüfen, sich selbst in Bezug zur Gruppe sehen, eine Entscheidung gemeinsam im Team treffen und diese dann auch umzusetzen. Die Keramik materialisiert diesen Prozess und verleiht nach dem gelungenen Brand einem außergewöhnlichen Ergebnis dauerhaften sinnlichen Bestand. Ein Ergebnis, das sichtbar und vorzeigbar ist und sich durch die anschließende Digitalisierung auch problemlos im Internet zur Kommunikation verwenden lässt.

Die Mitarbeiter hatten das Gefühl, eine außergewöhnliche Leistung vollbracht zu haben. Sie mussten mit ihnen unbekannten Mitteln eine komplexe Teamleistung vollbringen, und das ist ihnen gelungen. Das Bild während der Messe den Kunden vorführen und damit auch etwas von dem gemeinsamen Team-Spirit physisch zeigen zu können, wurde von den Mitarbeitern als wertvolle Hilfestellung und als Bereicherung erlebt.

Ein Mitarbeiter nach dem Workshop: »Jetzt bin ich das erste Mal in der Lage, meinen Kunden die Entstehung eines Kunstwerkes zu erläutern.« Und die zuständige Führungskraft kommentierte: »Einfühlsam und mit Humor ist es gelungen, dramaturgisch ein großartiges Werk gemeinsam zu schaffen und vor allen Dingen bei jedem Einzelnen ein sehr hohes Identifikationspotenzial mit dem gemeinsam Geschaffenen zu erzeugen. Wir haben das Ziel, welches wir im Sinne eines Team-Geistes oder Team-Spirits definiert haben, mehr als erreicht. Jeder, der uns auf der Orgatec besuchte, hat uns dies bestätigt.«

Heute hängt das Kunstwerk an zentraler Stelle im Showroom des Unternehmens und fällt jedem Besucher sofort ins Auge.  

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