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Die Geschichte des Neides
Wer viel Geld besitzt, ist verdächtig. Der Erfolgreiche muss sich schämen. Wenn Neider ihren Neid hinter Floskeln vom gerechten Ausgleich, von politischer Korrektheit oder gesellschaftlicher Solidarität verstecken, wird der Begriff »Besserverdiener« schnell zum Schimpfwort. Warum herrscht in unserer Gesellschaft das Gefühl, Vermögen verstecken zu müssen? Leben wir in einer Neidgesellschaft?

        


 
iner meiner Freunde fährt einen Aston Martin. Er hat rund 89.000 Euro gekostet. »Und«, frage ich ihn, »macht es Spaß, mit dem Wagen durch die Lande zu fahren?« »Ja schon, nur bei meinen Kunden kann ich mich damit nicht sehen lassen. Die meinen, ich fahre den Wagen von ihrem Geld.«
Mein Freund hat Recht. Es ist zweifellos das Geld seiner Kunden. Nur hat er es nicht für seinen Wagen bekommen, sondern für seine besonderen und Nutzen stiftenden Anregungen und Ratschläge. Dennoch gilt in unserem Land der Leitspruch: Wer viel Geld besitzt, ist verdächtig.

Als Marius Müller-Westernhagen einmal wegen seines Geldes angefeindet wurde, meinte er: »Hey Leute, ich habe mein Geld doch nicht gestohlen!« Eine ähnliche Logik regiert, wenn es ums Steuerzahlen für das viele Geld geht. Wenn ich über die Höhe meiner Steuerabgaben im Bekanntenkreis stöhne, höre ich nur: »Ich wollte, ich müsste so viel Steuern zahlen wie du.« Bis heute hat mich noch nie jemand zu meinen Steuerleistungen beglückwünscht. Keiner hat je gesagt: »Mensch Ulf, finde ich Klasse, dass du dem Staat so viel Geld gibst.«

Manchmal habe ich das Gefühl, Vermögen und Besitz müsse man verstecken. Stellt sich die Frage: Warum ist das so? Blicken wir tiefer. Das Wort »Besserverdiener« ist ein Schimpfwort. Die Erklärung: Der Erfolgreiche muss sich schämen. Da er mehr besitzt als andere, muss er irgendwie auf kriminellem Wege dazu gekommen sein. Irgendetwas kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Die Folge: Die Besserverdiener sollen mehr abgeben, denn sie leisten für die Gesellschaft nicht genug.

Leben wir in einer Neidgesellschaft? Ja, das tun wir. Das besonders Schlimme daran ist, der Neider wird niemals zugeben, dass er neidisch ist. Nein, er schwadroniert von Pflicht, von gerechtem Ausgleich, ist von politischer Korrektheit oder anderem Sendungsbewusstsein beseelt, schwadroniert über gesellschaftliche Solidarität oder behauptet, ihm sei großes Unrecht widerfahren. Für mich ist der Neid schlimmer als der Hass, denn Letzterer wird wenigstens zugegeben. Psychologen sprechen übrigens vor allem Ich-schwachen Menschen den Neid zu. Er gilt als Symptom eines unreifen Narzissmus.

Neider sind getriebene Leute, sie müssen den Scharlatanen des Erfolgs das Handwerk legen, für universelle Gerechtigkeit sorgen, dem Erfolgreichen nachweisen, dass sein Erfolg auf unredliche Art und Weise zustande gekommen sein muss. Psychologen glauben, dass der Neid nicht zu den ursprünglichen Begabungen der Menschen gehört. Menschen, die neidisch sind, müssen in ihrer frühen Liebe zu ihren Bezugspersonen einmal schwer enttäuscht worden sein.

Karl Marx meinte einmal: »Der allgemeine und als Macht sich konstituierende Neid ist die versteckte Form, in welcher die Habsucht sich herstellt.« Neidische Menschen sind laut Psychologen unfähig, eine stabile Freundschaft oder Kameradschaft aufzubauen. Der neidische Mensch sucht Beziehungen über den Besitz, den er anderen nicht gönnt. Intrigen, Mobbing, gemeine Gerüchte – alle finden im Neid ihre Ursache. Beseitigen wir den Neid nicht, werden wir in den Unternehmen auch die Konfliktherde Mobbing und Intrigen kaum beseitigen können.

Die Geschichte des Neides
Wieso ist der Neid so weit verbreitet? Schauen wir uns die Geschichte des Neides näher an. Die Ersten, die sich damit beschäftigt haben, waren die alten Griechen. Sie entdeckten, dass es zwischen denen, die etwas besaßen, und denen, die weniger hatten, immer wieder Streit gab. Diejenigen, die etwas besaßen, wollten nicht teilen, und die, die nichts oder wenig besaßen, wollten immer etwas davon abhaben. Auf der Seite der Besitzenden wurde der Geiz vermutet: Der Besitzende rückt nichts oder zu wenig von seinem Besitz heraus.

Dieses gilt es zu verändern. Denn die Ungleichheit im Besitz führt schnurstracks zum Neid. Da lag für die Griechen die wahre Ursache. Die Ungleichheit im Besitz war die Ursache des Neides. Doch Aristoteles schaute noch etwas genauer hin. Er entdeckte drei verschiedene Formen:

Der Ohnmachtsneid
»An mir geht immer das Glück vorbei.« »Immer gerate ich ins Hintertreffen.« »Ich komme im Leben immer zu kurz.« Wir kennen diese Aussagen. Der ohnmächtige Neider leidet. Es schmerzt ihn, wenn andere mehr besitzen als er. Allerdings täuscht der arme Kerl sich sehr, wenn er den Grund für diesen Schmerz beim anderen und nicht bei sich selbst sucht. Thomas von Aquin fand diese Art Neid ziemlich krankhaft. Er meinte, wie kann jemand über etwas Schmerz empfinden, worüber man sich eigentlich freuen sollte. Schon den alten Griechen war restlos klar, wie diese Art von Neid die Menschen zerfrisst.

Der Verlustneid
Die zweite Sorte Neid bezeichneten die Griechen als Verlustneid. »Soll der andere ersticken an seinem Besitz.« »Soll er daran zu Grunde gehen.« Man wünschte der beneidenswerten Person die Pest an den Hals. Für Karl Marx war diese Form des Neides die Quelle für starke Emotionen in der ersten Phase des Kommunismus. Thomas von Aquin kannte die Reaktionen der Neider in diesem Fall sehr genau. Er meinte, diese Art von Neid würde Missgunst, Ehrabschneidung, Schadenfreude, Hass und Ohrenbläserei erzeugen.

Der Ehrgeizneid
Die dritte Sorte Neid stellte für die alten Griechen etwas Positives dar. Dieser Neid führt nämlich zu verstärkten eigenen Anstrengungen. Ich neide dem anderen nicht mehr seinen Besitz, sondern ich will mit ihm gleichziehen. Wie der Fallschirmspringer, der seinen Kollegen an sich vorbeirauschen sieht, da sich dessen Fallschirm nicht öffnet. »Was, du willst ein Wettrennen?« Er löst seinen Fallschirm und stürzt hinterher.

Adam Smith fand im 18. Jahrhundert diese Form des Neides recht akzeptabel. Wettbewerb fördert Wirtschaftswachstum. Er wusste allerdings, dass dieser Wettbewerb einige erfolgreich werden lässt, andere nicht. Diese Ungleichheiten führten für ihn zum Gesellschaftsneid. Dieser aber gefährde Recht und Ordnung. Also muss die Politik helfen und den Besitz vor all diesen Neidern schützen.

Die Beseitigung des Neides
Was taten nun die alten Griechen? Klug, wie sie waren, wollten sie den Neid beseitigen. Er war eine Krankheit. Sie beschlossen deshalb etwa 500 vor Christus, den Besitz der Menschen gleichmäßig zu verteilen. Dann schauten sie einige Jahrzehnte zu, ob die Krankheit Neid verschwand. Leider Fehlanzeige. Die Menschen blieben trotz der Gleichverteilung neidisch. Sie hatten weiterhin das Gefühl, zu kurz zu kommen. Die landläufige Meinung: »Eigentlich steht mir etwas mehr zu als den anderen, da meine Verhältnisse anders sind.«

Und das Ende vom Lied? Die Griechen stellten fest, dass Menschen doch nicht gleich sind. Deswegen kann man sie auch nicht gleich behandeln. Der Neid blieb. Die Konsequenz: Die Griechen schafften die Gleichverteilung wieder ab. Sie schien ihnen ein untaugliches Mittel, um die Krankheit Neid zu beseitigen.

Interessant ist, wie die alten Griechen ihre Methode nannten. Sie nannten sie soziale Gerechtigkeit. Ich denke, es wäre in der heutigen Situation sicher hilfreich, die Geschichte des Neides so manchem Politiker oder Gewerkschafter hinter die Löffel zu schreiben, wenn er von sozialer Gerechtigkeit schwafelt (und dahinter seinen Neid verbirgt?).  

 

Dieser Artikel ist erstmals auf changeX erschienen.