Tim Jackson:
Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

ISBN: 3865812457
Erscheinungsjahr: 2011
oekom verlag
Allheilmittel Wachstum?
        


 
eit Beginn der industriellen Revolution ist Wirtschaftswachstum das zentrale Ziel in unserer Gesellschaft. Fernsehnachrichten, Politikerreden, Unternehmenskommunikation – von überall her erreicht uns die Überzeugung, dass unser Wohlstand unweigerlich mit dem wirtschaftlichen Wachstum verknüpft ist.
Seit aber die ökologischen Folgen einer solchen Wirtschaftsweise, wie etwa die Ressourcenausbeutung oder Klimakrise, mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken, steht Wirtschaftswachstum im Kreuzfeuer der Kritik und die Frage nach alternativen Methoden der Wohlstandsmessung ertönt. Eine echte Lösung der Umweltprobleme scheint bislang nicht in Sicht, oftmals werden das Streben nach höherer Effizienz und verbesserte Technologie als Heilmittel ins Rennen geschickt. Aber können dies wirklich die Lösungen sein?

Tim Jackson, britischer Ökonom und ehemaliger Umweltberater der britischen Regierung, sieht das wahre Problem im fortwährenden Wirtschaftswachstum. Wie kann unsere Ökonomie auf einem endlichen Planeten stetig wachsen? Trägt ein solches Wachstum nicht zwangsläufig die Saat der eigenen Zerstörung in sich? Die globale Wirtschaft ist heute ungefähr fünf Mal so groß wie vor einem halben Jahrhundert. Wenn die Weltwirtschaft weiterhin in solch einem Tempo wächst, dann wird sie im Jahr 2100 achtzig Mal so groß sein. Diese enorme Wachstumsrate, so viel ist für Jackson klar, wird sämtliche unserer Versuche über den Haufen werfen, die Umweltprobleme durch Sparsamkeit, Effizienzgewinne oder technologische Lösungen in den Griff zu bekommen.

Heute schon agieren wir außerhalb der Grenzen des vom Planeten Verkraftbaren und wenn es uns ernst ist mit der Rettung der Umwelt, müssen wir das Wirtschaftswachstum selbst in den Blick nehmen. In seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum plädiert Tim Jackson daher dafür, unsere Sucht nach Wachstum zu überkommen. Obwohl es gemeinhin als Sache von »Verrückten, Idealisten und Revolutionären« gilt, Wachstum in Frage zu stellen, hält Jackson es für absolut unabdingbar, eben dies zu tun.

Es steht außer Frage: Wirtschaftswachstum hat eine Menge Gutes beschert, etwa verbesserte Gesundheit, erhöhte Lebenserwartung und Wohlstand. Aber wahr ist auch: Wirtschaftswachstum hat seine Früchte höchst ungleich verteilt und die ärmsten Nationen der Welt haben enormen Aufholbedarf. Während ein Einkommenszuwachs in diesen Ländern einen großen Unterschied macht, ist der Effekt von höherem Einkommen in den reichen Ländern kaum noch auszumachen – das erreichte Niveau von Wohlstand ist bereits zu hoch. Und Untersuchungen zeigen, dass auch die Lebenszufriedenheit ab einem gewissen Einkommensniveau nicht mehr weiter ansteigt. Warum also, so fragt der Autor, streben wir in den reichen Ländern der Erde weiterhin so fanatisch nach Wirtschaftswachstum? Es gibt zwar vereinzelt Bewegungen, die sich für eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum einsetzen, jedoch: Unter den derzeitigen Bedingungen ist eine solche Marschrichtung nicht stabil. Sobald wir auch nur die geringsten Anzeichen von verlangsamtem Wirtschaftswachstum bemerken, bricht Panik aus. Und der Grund hierfür, so Jackson, ist schlicht, weil wir nicht wissen, wie unsere Wirtschaft ohne Wachstum funktionsfähig bleiben kann. Weil eine schrumpfende Wirtschaft bei steigender Arbeitsproduktivität immer mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt drängt, ist auch von der Seite der Politik nicht viel zu erwarten: Wachstum bedeutet Jobs und Jobs bedeuten Wählerstimmen.

Für Jackson gibt es keine einfachen Lösungen. Eindrucksvoll zeigt er das Dilemma auf, in dem wir stecken: Wachstum ist nicht nachhaltig und die Abkehr von Wachstum ist instabil. Der einzige Weg aus diesem Dilemma scheint daher zu sein, den bislang beschrittenen Pfad zu verlassen und grundlegend neu über Wirtschaft nachzudenken. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir grundlegend über die unserer Ökonomie zugrundeliegenden Strukturen nachdenken müssen. Mit dem Wohlstand, den Wachstum mit sich gebracht hat, kommt auch die Verantwortung, alternative Entwicklungspfade zu erforschen.

Es geht heute daher darum, ein Konzept von Wohlstand zu definieren, das ohne steigende Einkommen auskommt. Und Umfragen belegen immer wieder, dass es Menschen gar nicht so sehr auf Geld ankommt, vielmehr wünschen sie sich Freunde, Anteil am sozialen Leben, Gesundheit, ein bedeutungsvolles Leben und Hoffnung für die Zukunft. Daraus folgert Jackson, dass es wahrlich um Partizipation geht und man von Wohlstand auch nur im Sinne eines geteilten Wohlstands sprechen kann: denn mein Wohl hängt am Wohl meiner Nächsten.

Dies legt nahe, dass sich die Rolle von Investitionen in der Wirtschaft ändern müsse. Bislang unhinterfragt kam Investitionen die Rolle zu, die Arbeitsproduktivität zu steigern, um Preise zu senken, Menschen dazu zu ermuntern, mehr zu kaufen, was den Ressourcenverbrauch anheizte. Das Ziel sind hohe Gewinne, Investitionen müssen sich in möglichst kurzer Zeit finanzieren und die Märkte gilt es auszuweiten, um immer mehr verkaufen zu können. Besonders interessant ist hier, wie Tim Jackson einen Bezug zwischen der ökonomischen Struktur und der menschlichen Psychologie herstellt. Das unternehmerische Streben nach Neuheiten, um den Konsumfluss aufrecht zu erhalten, findet nämlich eine perfekte Entsprechung im Konsumenten: Menschen mögen Neues. Es geht Menschen bei Produkten ja in den wenigsten Fällen allein um die funktionalen Eigenschaften, Konsum hat immer auch mit Identität, Status und Bedeutung zu tun. Produkte helfen uns, einen Platz in der sozialen Welt zu finden, eine Identität zu schaffen und deshalb muss immer wieder Neues angeschafft werden. Die Dynamik des Wachstums wird also auch durch die menschliche Psychologie aufrechterhalten.

Die konsumistische Ökonomie dreht sich um Neuheiten, weil so das System am Laufen gehalten wird. Tim Jackson plädiert mit seinem Buch dafür, kreativ zu sein, diese Zwangsläufigkeit zu überdenken und nach neuen Wegen zu suchen. Ein erster Schritt könnte eine neue Sicht auf Investitionen sein: Sie müssten zukünftig als ökologische Investitionen, als Erhaltung sozialer Güter, Bewahrung von Umweltgütern betrachtet werden. Es geht darum, den Gedanken zu stärken, dass die Gesellschaft eine Zukunft hat und Investitionen stellen eine Beziehung zwischen Gegenwart und Zukunft her.

Tim Jackson sieht Grund zur Hoffnung: Denn es gibt keinen Beleg dafür, dass Menschen tatsächlich jene engstirnigen, materialistischen, selbstsüchtigen, individualistischen Konsumenten sind, wie es uns die Wirtschaft zu glauben gelehrt hat. Vielmehr richtig ist, dass die Sozialpsychologie nur ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen selbstsüchtigem und anderem Verhalten, zwischen der Jagd nach Neuem und der Bewahrung von Altem kennt. Evolutorisch gesehen sind jeweils beide Pole dieser Spannungen wichtig: Menschen haben sich sowohl zu sozialen als auch zu individuellen Wesen entwickelt; sowohl das Schaffen einer Grundlage für eine solide Gesellschaft als auch das immerwährende Streben nach Neuem sind unabdingbare Voraussetzungen menschlicher Entwicklung.

Dieser breite Blick auf das Problem ist das Besondere an Wohlstand ohne Wachstum: Tim Jackson sucht nicht nur nach ökonomischen Auswegen, gleichzeitig betont er, dass ein sozialer Wandel als auch eine Neubestimmung unserer Wertebasis stattfinden müsse. In seinem klar verständlichen Buch analysiert Tim Jackson schonungslos das Wachstumsdogma der Industrieländer, entwickelt konkrete Überlegungen für eine Postwachstumsökonomie und liefert damit das vielleicht lesenswerteste Buch zum Thema eines neuen Wohlstandsbegriffs.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/buch/1108a/1108a.htm