James Surowiecki:
Die Weisheit der Vielen

ISBN: 3570006875
Erscheinungsjahr: 2005
C.Bertelsmann
Klüger als der klügste Kopf
 

        


 
er Masse traut man gewöhnlich nicht viel zu, und schon gar nicht, dass sie kluge Entscheidungen trifft. Massen hängt der Beigeschmack des Stumpfsinnigen, Mittelmäßigen an, man denke nur an Begriffe wie Massentourismus, Massenkonsum oder Massenwahn. Daher wird sich niemand jemals zur Masse zählen, Masse sind immer die anderen.

Ganz in diesem Sinne brachte Mitte des 19. Jahrhunderts der schottische Journalist Charles Mackay sein Buch Ungewöhnlich populäre Irrtümer und Massenwahn auf den Markt, das seitdem als Standardwerk betreffend kollektive Dummheit und massenhafte Verblödung gilt. Zahllose Beispiele und Vorkommnisse, die die Hirnlosigkeit von Massen belegen sollen, wurden seitdem gesammelt.
Der amerikanische Kolumnist James Surowiecki wagt mit seinem Buch Die Weisheit der Vielen nun die Gegenthese: Die Menge entscheidet in der Regel intelligenter und effizienter als der klügste Einzelne in ihren Reihen. Vorausgesetzt, jeder Einzelne denkt und handelt unabhängig, die Gruppe ist groß und vielfältig und sie kann darauf vertrauen, dass ihre Meinung wirklich zählt.

Diese Aufzählung von Rahmenbedingen lässt ahnen, warum im täglichen Leben oft nicht die »klügsten Entscheidungen« getroffen werden. Das Paradox liegt bei Surowieckis These nämlich darin begründet, dass Gruppen typischer Weise dann am klügsten entscheiden, wenn die einzelnen Mitglieder so individuell wie möglich handeln. Das oben beschriebenen »dummen Massen« oft eigene Herdenverhalten oder –denken könne daher nicht zu klugen Entscheidungen führen.

Auch mit dem Bemühen um Konsens hat die Weisheit der Vielen nichts zu tun. Dabei würden bloß langweilige Problemlösungen auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners gefunden. Die Haltung, niemanden vor den Kopf stoßen zu wollen, bringe keineswegs die klügsten Lösungen hervor.
Auch gibt es Grenzen der Weisheit der Vielen: wenn etwa Gruppen so starke Einzelpersönlichkeiten enthalten, dass andere Gruppenmitglieder ihr eigenes Denken aufgeben und dem Denken anderer folgen oder wenn Gruppen wichtige Informationen ignorieren.

Zur Untermauerung seiner These von der Weisheit der Vielen durchstöberte der Autor die wissenschaftliche Literatur, historische Archive und die aktuelle Medien-Berichterstattung und beschreibt eine Vielzahl von Exempeln – von verschwundenen und wieder gefundenen U-Booten über die SARS-Epidemie bis zum Verkehrsstau. Die Suchmaschine Google bietet oft unglaublich treffsichere Ergebnisse – weil sie auf der Weisheit der Massen basiert. So wie die freie Software Linux, die auf die permanente Verbesserung durch ihre Nutzer baut. Diese und unzählige andere Beispiele illustrieren, dass die Masse in der Tat imstande ist, die klügsten Lösungen hervorzubringen.

Was Die Weisheit der Vielen so lesenswert macht, ist vielleicht weniger die dem Buch zugrunde liegende These als vielmehr die Auswahl der illustrativen Beispiele. Diese werden allesamt klug und äußerst unterhaltsam beschrieben: egal, ob es um die Schilderung der Suche nach dem im Mai 1968 verschwundenen U-Boot Scorpion geht oder um die Erklärung der instinktiven Koordinationsregeln, die Vögel an den Tag legen, wenn sie in der Schar wie ein riesiger Organismus durch den Himmel ziehen.
Auf sehr kurzweilige Art und Weise bietet James Surowiecki seine scheinbar einfache Idee dar, die schwer wiegende Auswirkungen darauf hat, wie Unternehmen tätig sind, wie Innovationen hervorgebracht, wie Volkswirtschaften organisiert sein sollten und wie wir unser tägliches Leben führen.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/buch/0608a/0608a.htm