Über den Umgang mit der Zukunft in Unternehmen
Wer sich nicht mit der Zukunft beschäftigt, wird auch nicht an der Zukunft teilnehmen. Unternehmen beim Umgang mit der Zukunft zu helfen, ist Aufgabe der Zukunftsforschung. Welchen Stellenwert hat diese im deutschen Management? Ergebnisse einer Studie über die Zukunft der Zukunftsforschung.

Jan Oliver Schwarz

        


 
in wesentlicher Teil einer Strategie oder einer strategischen Planung in einem Unternehmen ist die Frage, wie die Zukunft aussehen mag, wie sich der Wettbewerb, der Markt, die Konsumenten in der Zukunft verhalten, oder welche Technologien in der Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. In ihrem Buch Wettlauf um die Zukunft weisen Gary Hamel und C. K. Prahalad in den 90ern darauf hin, dass ein Unternehmen, das keine Vorstellung von der Zukunft entwickelt, an der Zukunft auch nicht beteiligt sein wird. Wobei sie betonen, dass der Erfolg eines Unternehmens im Wettbewerb darin liegt, als erstes die Zukunft zu erreichen.

Age of Discontinuity
Das Bestreben, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, hängt damit zusammen, dass in der Gegenwart Entscheidungen gefällt werden müssen, die auch die Zukunft betreffen und somit in der Gegenwart Informationen über die Zukunft gebraucht werden. Entscheidungen über eine Strategie können nicht getroffen werden, ohne dass Vorstellungen über die Zukunft in diese Entscheidungen einfließen. Somit lässt sich als ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor für ein Unternehmen die Zukunft beschreiben.

Einen weiteren Nährboden erfährt diese Unsicherheit durch ein Unternehmensumfeld, das in der Vergangenheit kontinuierlich an Dynamik gewonnen hat und Prognosen über die Zukunft immer schwieriger gemacht hat. Peter F. Drucker argumentierte bereits in den späten 60ern, dass in der Vergangenheit eine stärkere Kontinuität zwischen Ereignissen und Entwicklungen bestanden hat, und dass eine Zeit angebrochen ist, die er als »Age of Discontinuity«, als eine Zeit, in der der Bruch von Kontinuität allgegenwärtig ist, beschrieben hat. Eine Formulierung, die im Kontext von Informationstechnologien und Globalisierung keinesfalls an Aktualität verloren hat, eher im Gegenteil.

Toolkoffer der Zukunftsforschung
Unternehmen im Umgang mit der Komplexität und der Unsicherheit über die Zukunft zu helfen, ist der Anspruch von Zukunftsforschung. Dafür hat sie ihre Methoden entwickelt. Seit den 50er Jahren entstand eine Reihe von Methoden, die sich heute zum Toolkoffer der Zukunftsforschung zählen lassen. Die bekanntesten sind die Szenario Technik, Strategische Frühaufklärung, Delphi Technik, quantitative Prognosetechniken, Simulation and Gaming und Kreativitäts-Techniken.

Ziel der Szenario Technik ist es, verschiedene alternative Zukünfte bzw. Szenarien, aufzuzeigen und auch dazu anzuregen, in einem Planungsprozess über das Undenkbare nachzudenken. Als die wesentlich Aufgabe der Strategischen Frühaufklärung, oder auch Früherkennung, lässt sich die gezielte Umfeldbeobachtung eines Unternehmens beschreiben, mit dem Ziel, Veränderungen rechtzeitig wahrzunehmen und auf diese strategisch zu reagieren. Bei den quantitativen Prognosetechniken soll auf Grund einer bestehenden Datenbasis die Zukunft prognostiziert werden. Simulation und Gaming stehen für die gezielte Simulation auf mathematischer Basis, die Entscheidungs- und Handlungsabläufe erkennen lassen.

Eine Studie über die Zukunft der Zukunftsforschung
In der jüngeren Vergangenheit haben Zukunftsforschung und ihre Methoden in Deutschland ein zunehmendes Interesse erfahren. So lassen sich zumindest die wachsende Zahl von Veröffentlichungen, Konferenzen, Studien und Berichten über Zukunftsforschung in Unternehmen deuten. Die Fragen, die sich für eine Studie über die Zukunft der Zukunftsforschung im deutschen Management ergeben, lassen sich zusammenfassen:

:: Welche Perspektiven kann Zukunftsforschung in Unternehmen zugeschrieben werden?
:: Welche Methoden zeigen das größte Potential für eine sinnvolle Verwendung?
:: Hat Zukunftsforschung überhaupt eine Perspektive im deutschen Management?

Dabei ließen sich für die Studie1 zwei wesentliche Ziele formulieren. Zum einen hatte die Studie das Ziel, den Status quo in deutschen Unternehmen zur Verwendung von Methoden der Zukunftsforschung zu erfassen, zum anderen wurden die teilnehmenden Experten gebeten, ihre Einschätzungen über die zukünftige Entwicklung der Zukunftsforschung im deutschen Management zu benennen.

Um diese Fragen strukturiert anzugehen, wurde die Delphi Technik gewählt. Eine Delphi Studie ist ein Prozess, in dem Experten um ihre Einschätzung zu einem Thema gebeten werden, das in der Zukunft liegt. In dieser Studie wurden die Teilnehmer in der ersten Runde gebeten, einen Fragebogen mit quantitativen und qualitativen Fragen auszufüllen. In der zweiten Runde wurden die Gesamtergebnisse der ersten Runde mit den jeweiligen eigenen Einschätzungen den Teilnehmern zur Verfügung gestellt, mit der Bitte, die eigene Einschätzung im Lichte der Ergebnisse der Gruppe gegebenenfalls zu überdenken.

Die Teilnehmer der Delphi Studie blieben untereinander anonym. An der ersten Runde nahmen 84 Experten teil, an der zweiten Runde beteiligten sich 64, mit einer Rücklaufquote bezogen auf die erste Runde von 76 Prozent. Um eine möglichst große Bandbreite von Meinungen für diese Studie einzufangen, wurden Experten aus drei Gruppen rekrutiert: 1. Manager aus Unternehmen und Beratungen (branchenübergreifend), 2. Zukunftsforscher aus Beratungen und Think-Tanks und 3. Wissenschaftler im Bereich Management. Von den 64 Teilnehmern kamen 14 aus der Gruppen der Zukunftsforscher, 10 aus der Gruppe der Wissenschaftler und 40 aus der Gruppe der Manager aus Unternehmen oder Beratungen.

Ergebnisse der Studie
Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der Delphi Studie dargestellt. Zuerst jene Ergebnisse, die den Status quo der Zukunftsforschung in Unternehmen einfangen, dann die Ergebnisse, die sich mit der Zukunft der Zukunftsforschung befassen. Da sich für das Feld der Zukunftsforschung nur schwer eine allgemein gültige Definition finden lässt, standen die Methoden im Vordergrund dieser Studie.

Status quo in Unternehmen: Anwendung der Methoden der Zukunftsforschung

Obiger Abbildung ist zu entnehmen, dass die häufigsten Anwendungs-Methoden in Unternehmen die Strategische Frühaufklärung und die Szenario Technik sind, dicht gefolgt von den quantitativen Prognose- und den Kreativitätstechniken.
Weiter ergaben die Fragen nach dem Status quo in Unternehmen, dass Zukunftsforschung zu 36 Prozent von einzelnen Mitarbeitern und zu 28 Prozent von Abteilungen in Unternehmen betrieben wird. Eine kleinere Zahl von Teilnehmern (18 Prozent) gab an, dass Zukunftsforschung ein integrativer Bestandteil der strategischen Planung ist, oder dass externe Berater (17 Prozent) wie Zukunftsforscher genutzt werden. Die Frage nach der Verortung von Zukunftsforschung im Unternehmen ergab, dass Zukunftsforschung zu 56 Prozent in Abteilungen betrieben wird, die sich mit strategischer Planung, Unternehmensentwicklung oder Marketing beschäftigen, gefolgt (23 Prozent) von Corporate Technology und Innovations-Abteilungen.

Die Mehrheit (94 Prozent) der Teilnehmer an der Studie stimmten der Aussage zu, dass die Auseinandersetzung mit der Zukunft in Unternehmen, insbesondere bei strategischen Fragen, eine zunehmend größere Rolle spielen wird und dass die Zukunftsforschung hier einen sinnvollen Beitrag leisten kann.

Diese Methoden der Zukunftsforschung werden in Zukunft in Unternehmen (allgemein) an Bedeutung gewinnen

In obiger Abbildung sind die Antworten dargestellt, die von der Gesamtheit der Expertengruppe auf die Frage gegeben wurden, welche Methoden in der Zukunft in Unternehmen an Bedeutung gewinnen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Strategischen Frühaufklärung (86 Prozent) und der Szenario Technik (83 Prozent) am ehesten zugesprochen wird (»stimme ich zu« und »stimme ich eher zu«), in Unternehmen (allgemein) in der Zukunft an Bedeutung zu gewinnen. Die niedrigsten Werte erhielten die Delphi Methode (48 Prozent) und Simulation und Gaming (47 Prozent). Der hohe Anteil der neutralen Aussagen lässt sich als ein Indikator dafür verstehen, dass einige Methoden der Zukunftsforschung noch nicht ausreichend bekannt sind.

Auf die Frage, welche Methoden der Zukunftsforschung weiter entwickelt werden müssen, um einen sinnvollen Beitrag im Umgang mit der Zukunft in einem Unternehmen zu leisten, wurden unter anderem folgende Antworten gegeben:

:: Methoden, die weiter entwickelt werden müssen: Szenario Technik, Quantitative Methoden, Strategische Frühaufklärung, Gaming und Simulationen
:: Keine neuen Methoden sollten entwickelt werden, Fokus auf der praktischen Umsetzung
:: Kombination von Methoden
:: Integration von Zukunftsforschung in die Planungsprozesse

Auf die Frage, was Zukunftsforschung tun muss, um mehr Akzeptanz in Unternehmen zu erreichen und welche Probleme heute bestehen, gaben die Teilnehmer der Delphi Studie unter anderen folgende Antworten:

:: Zukunftsforschung vereinfachen, weniger akademisch
:: Erfolgsgeschichten von Zukunftsforschung herausstellen
:: Weg von der »journalistischen« Trendforschung
:: Ergebnisse müssen messbar gemacht werden
:: Bedeutung von weichen Faktoren muss stärker herausgestellt werden
:: Zukunftsforschung muss stärker mit akademischen Standards arbeiten
:: Ergebnisse sollten einfach und anschlussfähig sein

Zukunft für die Zukunftsforschung
Die Studie hat gezeigt, dass der Zukunftsforschung eine Zukunft im deutschen Management zugeschrieben wird und dass die Akzeptanz von Zukunftsforschung allgemein steigt. Verbessert werden müssen die strategische Frühaufklärung und die Szenario Technik. Die Studie hat außerdem herausgestellt, dass nicht die Entwicklung von neuen Methoden notwendig ist, sondern dass vielmehr der Fokus auf der Implementierung dieser Methoden liegen muss. Das Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit, Ergebnisse von Zukunftsforschung im jeweiligen Unternehmen anschlussfähig zu halten und individuell auf die Bedürfnisse und spezifischen Anforderungen anzupassen.  

 

1 Schwarz, Jan Oliver: The Future of Futures Studies in Management: A Delphi Study with a German Perspective, 2006
 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0607a/0607a.htm