Private Partnerschaft - Oder die notwendige Balance des Managers
Vielleicht haben Sie die Sommertage im Kreise der Familie wieder etwas zur Ruhe kommen lassen. Manchem, der tagtäglich in seiner Führungsaufgabe gefordert ist, ist dies vielleicht nicht gelungen. Dabei sind private Beziehungen, Partnerschaften außerhalb des beruflichen Umfeldes eine wichtige Angelegenheit, die zur Balance des Managers beitragen.

Gerhard Zapke-Schauer

        


 
ewinnen scheint alles zu sein. Oftmals gelingt es uns nicht und dann geraten wir in Selbstzweifel, auch in Zweifel, wie andere unser Scheitern beurteilen. Kündigen Sie uns die Beziehung auf, weil wir nicht den Erwartungen genügen? Private Beziehungen leben durch andere Inhalte als berufliche Beziehungen. Letztere sind auf Nützlichkeit aufgebaut, stürzen diese Nützlichkeiten, stürzen meistens auch die Beziehungen.

Oftmals hat man den Eindruck, berufliche Beziehungen sind streng digital. Liefert man den erwarteten Nutzen, so steigt die Tragfähigkeit der Beziehung mit dem Grad der Nützlichkeit, verschwindet der Nutzen, flieht die Partnerschaft. Diejenigen, die eine hohe Managementposition aufgeben mussten, sind oftmals tief enttäuscht, dass die Personen, mit denen sie bisher hervorragend in Verbindung standen, mit Aufgabe der Position auch ihre Aktionen und ihre Haltungen aufgegeben haben und nach geraumer Zeit vollständig von der Bildfläche verschwunden sind. Richard Bach und Russell Munson schreiben über die Möwe Jonathan:

»Niemals dürfen Seemöwen aufhören zu schweben oder zu fliegen, niemals dürfen sie absacken. Für eine Möwe bedeutet das Schmach und Schande.«

Dabei gehören vor allem Führungskräfte zu den Menschen, die Herausforderungen annehmen.

»Die meisten Möwen begnügen sich mit den einfachsten Grundbegriffen des Fliegens, sind zufrieden, von der Küste zum Futter und zurück zu kommen. Ihnen geht es nicht um die Kunst des Fliegens, sondern um das Futter.«

Führungskräfte arbeiten nicht nur wegen des überdurchschnittlichen Einkommens. Sie sind am Erfolg, an der Machbarkeit ihrer Ideen und der Erfüllung ihrer Aufgaben orientiert. Solche Grundhaltung macht sie für Ihre private Umgebung nicht gerade einfach.

»Diese Neigung machte ihn bei den übrigen Vögeln nicht gerade beliebt, das merkte er bald. Selbst seine Eltern waren unzufrieden, dass Jonathan ganze Tage mit seinen Experimenten im tiefen Gleitflug verbrachte und seine Übungen hundertfach wiederholte.«

Führungskräfte erleben Zuneigung von Mitarbeitern, Kunden und Shareholdern, wenn es ihnen gelingt, nach vielen mühevollen Anläufen ein Unternehmen weiter zu bringen. Im Laufe vieler Jahre könnte man die Begriffspaare Zuneigung-Erfolg und Ablehnung-Misserfolg als das praktische Paradigma des Manager-Lebens übernehmen. Vielleicht glaubt man plötzlich an die Aussage:

»Man kann überall hinkommen, man muss es nur wirklich wollen. Ich bin überall gewesen und in allen Zeiten, die ich mir vorstellen kann. (...) Seltsam, Möwen, die um ihrer begrenzten Wege und Ziele willen Vollkommenheit des Fliegens verachten, kommen nur langsam vorwärts und nirgendwo an.«

Privates
Im privaten Umfeld zählen diese Kategorien nicht. Die liebende Zuwendung unserer Partner geschieht ohne Bedingung. Ohne Bedingung an irgendeine Leistung. Man braucht kein Abitur, keine Kenntnisse einer Fremdsprache, keinen exzellent erarbeiteten Marketingplan und schon gar keine erfolgreiche bottom-line, um geliebt zu werden. Unsere Kinder lieben uns schon deswegen ohne diese Attribute, weil sie diese nicht kennen und unsere Partner lieben uns, weil sie am besten auf die Frage: »Wieso liebst Du mich?« nichts sollten antworten können. Wer liebt und Gründe angeben kann, der muss wissen, dass mit Wegfall dieser Gründe auch die Liebe entfällt. Das aber gerade verstehen wir nicht unter Liebe.

Es ist wichtig zu erfahren, dass man bedingungslos geliebt wird. Eben weil man da ist, nicht weil man eine Leistung liefert. Ehen sind keine Kunden-Lieferanten Beziehungen. Manche Führungskräfte verschließen sich vor diesem Gedanken der bedingungslosen Liebe und »erkaufen« sich die Zuwendungen ihrer Partner durch teure Geschenke oder einen aufwendigen Lebensstil. Diese »ars vivendi« ist nicht die Lebenskunst, die Manager benötigen.

Wenn der eigene Wert an der Anerkennung anderer gemessen wird, dann neigt man dazu, »marketing-orientiert in dieses Anerkennungssystem einzuzahlen«. Das Ergebnis ist bekannt: Je mehr Leistung, desto mehr Anerkennung. Führungskräfte benötigen die Chance, aus diesem Teufelskreis von Invest und Return bezüglich ihrer eigenen Wertstellung auszubrechen. Familien sind dazu die beste und naheliegendste Schule.

Die Folgen dieser Chance sind manchmal überraschend hilfreich. Führungskräfte, die sich in bedingungslosen Partnerschaften aufgehoben fühlen, werden ehrlicher. Die opportunistische Lüge, die versucht, Fehler und damit Ablehnung zu verstecken, ist nicht mehr notwendig, da Akzeptanz nicht mehr aus einem Leistungsgefüge gewonnen wird. Dies verändert auch die Projektkulturen am Arbeitsplatz. Meetings werden offener, man traut sich seine eigene Meinung zu sagen, ohne Angst, Anerkennung zu verlieren und damit persönlich »vernichtet« zu sein. Mut zum Widerspruch und Mut zur Transparenz treten auf. Übrigens auch Reden werden besser, weil sie sich auf Informationsweitergabe statt auf Anerkennung des Redners fokussieren. Mitarbeiter werden ermutigt, etwas zu wagen und fühlen sich sicherer, weil wir diesen Menschen ebenfalls deutlicher ohne reine Leistungsbeziehung begegnen.

Wir lernen durch den Schutz unserer privaten Partner, offen über Sorgen und Misserfolge zu sprechen und dort, wo wir dies nicht wollen, geschieht das Schweigen nicht aus Angst vor Entdeckung, sondern aus anderen Motiven. Wer sich aufgehoben fühlt, der erzählt nicht geschwätzig jedes Detail seines Berufsalltages, da er zur Stabilität seiner privaten Beziehung keine »Erfolgsstories« und keine »low hanging fruits« benötigt. Dies zeigt sich dann auch am Arbeitsplatz in geringerer Geschwätzigkeit und größerer verbaler Bescheidenheit. Angebertum hört auf, wenn wir zu Hause geliebt werden.

Die Balance am Arbeitsplatz
Die Balance zwischen Leistungsorientierung und Anerkennung ohne Bedingungen als Person ist eine wichtige Balance für den Erfolg im Berufsleben. Partner von Führungskräften gestalten diese Balance. Sie tun es nicht, um uns zu stabilisieren, denn das wäre ja bereits selbst wieder ein subtiles, fast verborgenes Investment-System. Nein, sie tun es einfach deshalb, weil sie uns lieben und alle übrigen Effekte sind Nebenwirkungen. Somit ist auch die Balance eine Nebenwirkung und keine Absicht.

Man kann diese Balance nicht absichtlich herstellen. Viel zu schnell geraten private Partnerschaften von Führungskräften in den Strudel der Nützlichkeiten und zerstören damit die Nebenwirkungen der nun in ihrer Basis zerstörten Liebesbeziehungen. Man kann die bedingungslosen Partnerschaften (wieder) erlernen. Obwohl sie emotionaler Natur sind, lässt sich doch über sie nachdenken.

»Jonathan, erinnerst Du Dich, was Du mir vor sehr langer Zeit einmal gesagt hast - dass man den Schwarm so sehr lieben muss, dass man zurückkehrt und ihm hilft? - Sicher. - Ich begreife nicht, wie Du einen Mob lieben kannst, der eben noch versucht hat, Dich umzubringen. - Oh, Fletcher, den Mob liebt man nicht! Man liebt nicht den Hass und das Böse, natürlich nicht. Du bist nicht unerfahren, Du musst Dich ständig bemühen, die wahre Möwe, den guten Kern in jeder einzelnen von ihnen, zu erkennen. Du musst ihnen helfen, sich selbst zu sehen.«

Beziehungen zwischen Menschen beruhen auf einem aktiven Anerkennungsakt. Wer diesen fertig bringt, der gestaltet auch aktiv Beziehungen außerhalb des Privaten. Mitarbeiter fühlen diesen aktiven Anerkennungsakt ebenso wie ihn Kunden identifizieren. Das immer wieder geforderte »Zuhören können« ist kein Zuhören aus utilitaristischen Motiven, es ist tatsächliches Interesse an der mentalen und emotionalen Position des anderen. Ob diese Position dann verwendbar ist, also selbst nützlich z.B. für den Projekterfolg wird, ist unabhängig vom vorherigen interessierten Zuhören.

Führungskräfte, die sich nicht in der Balance zwischen Utilitarismus und Liebe befinden, haben verlernt zuzuhören. Sie mögen auch meistens ihre Mitarbeiter nicht, sondern verwenden diese zum Unternehmenserfolg. Menschen entziehen sich solchen mechanistischen Systemen. Die, die es nicht können, verkaufen sich an ihre Chefs, anstatt mit diesen um eine gemeinsame Sache zu kämpfen.

Manche Führungskräfte kamen aus einem echten Team und wechselten in eine neue Position in einen anderen Unternehmensbereich, um dort auf große Schwierigkeiten zu stoßen. Schuld daran ist oftmals ein anfängliches Misstrauen, eine Überzeugung, dass die »geerbten« Mitarbeiter Versager sind und zu wenig Realitätssinn haben. Es dauert nicht lange und man »mag diese Mitarbeiter nicht mehr«. Dieses »Nichtmögen« lässt sich nicht verheimlichen, es kriecht wie Wasser durch die Ritzen und lässt die Balance zwischen sympathischem Vertrauen und Nützlichkeit zu Lasten der Nützlichkeit ausschlagen. Auf diesen Input schlägt das System zurück. Schwindende Ownership, geringe Gefolgschaft, deprimierte Innovation, untaugliche Prozesse und Kämpfe um Besitzstände sind die darauf folgenden Horrorszenarien, die dann unerwünschte Ergebnisse in der bottom-line nach sich ziehen.

Stabile intakte private Partnerschaften können hier Milliardenergebnisse von Unternehmungen ermöglichen. Führungskräfte, die (wieder) erlernen, dass Menschen Selbstvertrauen aus der bedingungslosen Zuneigung durch andere entwickeln, sind Führungskräfte mit hohem Potential für Unternehmensgewinne:

»Jonathan seufzte und sah über das Meer hinaus. Du brauchst mich nicht mehr. Was Du brauchst ist Selbstvertrauen. Finde zu Dir selbst täglich ein wenig mehr. Finde die wahre, unbegrenzt freie Möwe Fletcher.«

Wer erlebt, dass man anwesend sein darf ohne Leistungsprinzip, der erhöht seine Fähigkeit zur Leistung und bringt diese freiwillig ein. Eben nicht als Investment, sondern als Beitrag zu dem Gemeinsamen. Man muss nur erst einmal erkennen, dass die Freiwilligkeit dieses Beitrages nicht durch Anreizsysteme entsteht, sondern durch die Sicherheit, auch dann anerkannt zu werden, wenn man die Leistung nicht erbracht hätte. Im Privaten gilt dieses Prinzip im Totalen, am Arbeitsplatz ist es eingeschränkt durch die Gesamtnützlichkeit einer Unternehmung zum Kunden.

Bei Maschinen gibt es dieses Anerkennungsprinzip nicht, obwohl manche Ihrem Computer einen Namen geben und ihn sanft streicheln. Bei Menschen am Arbeitsplatz gilt es sehr wohl. Wer allerdings Lob, Anerkennung und Einbindung ausschließlich aus Nützlichkeitsüberlegungen verteilt, hebt den wahren Charakter von Lob, Anerkennung und Einbindung auf. Diesen Unterschied kennen leider nur diejenigen Führungskräfte, die zuhause wirklich um ihrer selbst geliebt werden.  

 

:: Die Zitate stammen aus dem Buch: Bach, Richard: Die Möwe Jonathan
:: Inhalte wurden dem Seminar: »ars vivendi - Die Kunst mit einem Manager zu leben« der Euratio Akademie in Florenz, Italien, entnommen.
 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0309a/0309a.htm